Deep-Fake-Schockanrufe Wie Betrüger mit falschen Stimmen Geld erpressen
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18. September 2023, 19:31 Uhr
Eigentlich ist Werner H. (Name geändert) auf Schockanrufe vorbereitet. Doch als ihm die Stimme seiner Tochter am Telefon von einem Unfall berichtet, vergisst er die wichtigste Vorsichtsmaßnahme. Betrugsversuche wie dieser Schockanruf haben in Sachsen-Anhalt zugenommen. Für Deep-Fake-Anrufe, bei denen Stimmen nachgeahmt werden, reichen wenige Daten aus sozialen Netzwerken. Die Polizei gibt Tipps, um nicht auf Betrüger reinzufallen.
- Eine Frau aus Mitteldeutschland ruft vermeintlich bei ihrem Vater in Bayern an – ein Schockanruf, bei dem Betrüger Geld fordern.
- Die Zahl solcher Betrugsversuche ist in Sachsen-Anhalt deutlich gestiegen.
- Für Deep-Fake-Anrufe, bei denen die Stimme nachgeahmt wird, reichen wenige Daten. Die Polizei rät zu gesundem Misstrauen.
Es ist Freitag nach Maria Himmelfahrt in einem kleinen Ort in Bayern. Werner H. (Name durch die Redaktion geändert) liest in der Zeitung, als gegen 10 Uhr das Telefon klingelt. "Eigentlich gehe ich nicht an unbekannte Telefonnummern, da werde ich misstrauisch, aber ich habe einen anderen Anruf erwartet. Als ich abnahm, hörte ich sofort die Stimme meiner Tochter."
Schock am Telefon: "Papa, Papa, du musst mir helfen"
Mit einer Stimme, die sich fast überschlägt vor Aufregung, weinend und verzweifelt, meldet sich vermeintlich seine hunderte Kilometer entfernt in Mitteldeutschland lebende Tochter: "Papa, Papa, du musst mir helfen, es ist etwas ganz Schlimmes passiert. Ich habe eine Frau überfahren, die ist jetzt tot. Ich brauche deine Hilfe." Werner H. verfällt in Schock und kann gar nicht recht auf die Tochter eingehen.
Daraufhin meldet sich eine Polizistin, es würden noch persönliche Daten der Tochter benötigt, die hier im Revier sitze. Noch geschockt, übermittelt der Vater Namen und Geburtsdatum. "Dann wollte ich meine Tochter noch einmal sprechen", berichtet Werner H., "Aber die Polizistin sagte, das wäre jetzt nicht möglich, sie ist komplett durch den Wind. Ich würde in zehn Minuten einen Rückruf erhalten." Doch dazu kommt es nicht.
Deep-Fake: Schockanrufe mit neuer Qualität
Der geschockte Vater ruft seine Frau an. Diese bleibt gelassen und beruhigt ihren Mann. "Meine Frau hat unsere Tochter angerufen, die in aller Ruhe unbeschadet in ihrer Wohnung auf ein Paket wartete", sagt Werner H. Also kein Unfall, keine Tote und keine Polizei. Ein sogenannter Schockanruf, wie er jeden Tag in Deutschland passiert. Nur die Qualität der Anrufe ist nun eine andere.
Das weiß auch das Landeskriminalamt (LKA) in Sachsen-Anhalt, denn deutschlandweit ist diese neue Anrufqualität ein Problem: "Für die Gesellschaft bedeutet das, dass Betrüger immer einfacher Bilder, Stimmen oder auch Texte verfremden und zu ihrem Nutzen ändern können. Es wird somit schwieriger, Echtes von Gefaktem zu unterscheiden. In der Prävention muss dies in Zukunft stärker bedacht und vermehrt darauf hingewiesen werden", so ein Sprecher des LKAs.
Wie Deep-Fakes auch für pornografische Inhalte und zur Erpressung genutzt werden, hat das MDR-Investigativ-Format exactly in dieser Reportage beleuchtet:
Schockanrufe nehmen zu – und Betroffene sind jünger als bisher
Genaue Zahlen zu Deepfake-Anrufen gibt es nicht. Die Kriminalstatistik weist hier nur allgemeine Betrugsfälle aus. Jedoch ist deren Zahl im letzten Jahr angestiegen.
Waren es 2021 noch 788 Schockanrufe, hat sich die Zahl im Folgejahr fast verdoppelt auf 1.259 Fälle. Auch die Altersgruppe der Betroffenen wird den Daten zufolge größer: Waren 2021 vorrangig Personen über 70 Jahre betroffen, beginnt der Altersschwerpunkt der Betroffenen nun bereits mit 51 Jahren.
Neben der Notsituation werden auch andere Varianten an Betroffenen ausprobiert: "Es kommen auch Anrufe an, bei denen vorgegeben wird, dass Geld und Wertsachen im Bankschließfach nicht mehr sicher seien und zur Verwahrung an die Polizei übergeben werden müssten." Eine andere Variante sei, dass den potenziellen Opfern gesagt werde, bei ihrem Geld, das auf dem Bankkonto liegt, handele es sich um Falschgeld, das durch die Polizei überprüft werden müsse.
IT-Experte: Für einen Deep-Fake-Anruf reichen wenige Daten
Für diesen Betrug sind vor allem Daten erforderlich. Diese sind oft direkt und frei verfügbar im Internet, sagt der IT-Experte Marian Kogler aus Halle: "Technisch funktioniert dies über eine Audioaufnahme. Man kann sie beispielsweise über soziale Medien oder andere Quellen erhalten. Dafür benötigt man nur sehr wenig Material, nur wenige Sekunden, um eine Stimme nachzuahmen."
Es muss nur gut genug sein, um den gewünschten Effekt, nämlich Angst oder Panik, auszulösen.
Gerade weil Telefone keinen perfekten Ton wiedergeben, fallen auch kleinere Fehler weniger auf. Bei Hintergrundgeräuschen muss es nicht perfekt sein. "Es muss nur gut genug sein, um den gewünschten Effekt, nämlich Angst oder Panik, auszulösen", sagt er. Die Technologie stecke noch in den Kinderschuhen, aber Kogler geht davon aus, dass sich diese Technik zunehmend weiterentwickeln und "durchsetzen" wird.
Kaum Schutz, außer der eigene Verstand
Auch Werner H. hielt sich für gewappnet vor einem Fake-Anruf. "Wir hatten Wochen zuvor im Fernsehen einen Beitrag über Enkeltricks gesehen und uns in der Familie auf eine Sicherheitsfrage verständigt", berichtet er, "Doch gerade durch die Aufregung des Anrufs habe ich dann genau diese Frage vergessen zu stellen."
Für die Polizei gibt es Tipps, die man bei solchen Trickanrufen beachten kann:
- Legen Sie am besten auf, wenn Sie nicht sicher sind, wer anruft und Sie sich unter Druck gesetzt fühlen.
- Rufen Sie den Angehörigen unter der Ihnen bekannten Nummer an.
- Sprechen Sie am Telefon nie über Ihre persönlichen und finanziellen Verhältnisse.
- Übergeben Sie niemals Geld oder Wertsachen an unbekannte Personen!
- Ziehen Sie eine Vertrauensperson hinzu oder verständigen Sie über den Notruf 110 die Polizei!
Ebenfalls wird die Polizei nie mit der Nummer 110 anrufen, auch hier gab es in der Vergangenheit Betrugsfälle. Und: "Niemals ist die Behandlung eines Unfallopfers von einer vorherigen Zahlung eines Geldbetrages abhängig", so die Polizei. Ein solches Vorgehen am Telefon sollte skeptisch machen.
MDR (Lars Frohmüller, Marcel Roth)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 18. September 2023 | 19:00 Uhr
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