Hier fehlt Barrierefreiheit In mehreren Städten in Sachsen-Anhalt ist der Weg ins Rathaus versperrt
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10. April 2024, 14:38 Uhr
Nicht alle Rathäuser in Sachsen-Anhalt sind barrierefrei erreichbar. Das zeigt eine Umfrage von MDR SACHSEN-ANHALT und CORRECTIV zur Barrierefreiheit in den 104 Städten im Land. Für Rollstuhlfahrer sind Rathaus und Stadtrat oft nur teilweise zugänglich – oder gar nicht. Auch für Menschen mit Seh- oder Hörbehinderung, kognitiver oder psychischer Beeinträchtigung gibt es häufig Barrieren. Das ist ein Problem für die Kommunalpolitik, denn Zehntausenden Menschen wird so die Teilhabe erschwert.
- Viele Rathäuser in Sachsen-Anhalt sind nicht barrierefrei, zeigt eine Recherche von MDR SACHSEN-ANHALT und CORRECTIV zu Barrierefreiheit.
- Nur in einigen Städten sind Verwaltung und Stadtrat mit dem Rollstuhl zugänglich. Für Menschen mit Hör- und Sehbehinderung gibt es noch häufiger Hürden.
- Leichte Sprache wird bislang kaum angeboten. Auch die Websites vieler Städte haben noch Barrieren.
In vielen Städten in Sachsen-Anhalt ist der Weg ins Rathaus offenbar nicht barrierefrei. Das zeigt eine Recherche von MDR SACHSEN-ANHALT und CORRECTIV. Die fehlende Barrierefreiheit ist nicht nur ein Problem bei Behördenterminen. Sie führt auch dazu, dass sich nicht alle Menschen gleichberechtigt an der Kommunalpolitik beteiligen können, weil die Sitzungen der Stadträte nicht für alle zugänglich sind.
Nur zwei von drei Städten beantworten Fragen zur Barrierefreiheit
Wie barrierefrei – oder eben nicht – die Rathäuser sind, lässt sich allerdings nicht genau sagen. Von den 104 Städten im Land haben nur 69 die Anfrage beantwortet. Viele verstehen unter Barrierefreiheit vor allem, dass Orte für Menschen mit eingeschränkter Mobilität zugänglich sind.
Auf weitere Arten von Behinderungen wie Seh- und Hörbehinderungen, kognitive oder psychische Einschränkungen sind nur wenige Antworten eingegangen. Dabei sind laut Daten des Statistischen Landesamtes rund zehn Prozent der Schwerbehinderten in Sachsen-Anhalt seh- oder hörbehindert (Stand: Ende 2021).
Für wen Barrierefreiheit wichtig ist ↓
In Sachsen-Anhalt haben laut Daten des Statistischen Landesamtes Ende 2021 rund 174.000 schwerbehinderte Menschen gelebt. Das entspricht etwa acht Prozent der Bevölkerung. Als schwerbehindert gelten demnach Personen, deren Grad der Behinderung mindestens 50 Prozent beträgt, weil "ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit" langfristig eingeschränkt sind.
Damit Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, müssen Orte für sie genauso nutzbar sein wie für Menschen ohne Behinderung. Weil das nicht immer vollständig erfüllt ist, wird manchmal auch von "Barrierearmut" gesprochen, statt von "Barrierefreiheit".
Barrieren abzubauen hilft beispielsweise auch älteren Menschen, Eltern mit Kindern oder Personen, die durch eine Erkrankung zwischenzeitlich eingeschränkt sind.
Zu den Ergebnissen der Recherche Weil nur knapp zwei von drei Städten in Sachsen-Anhalt die Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT und CORRECTIV beantwortet haben, sind die Ergebnisse nicht repräsentativ. Deshalb können hier zwar die grundsätzlichen Antworten dargestellt werden, generelle Aussagen sind allerdings nur an wenigen Stellen möglich.
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Mit dem Rollstuhl in den Stadtrat: Das geht nicht überall
Mit Rollstuhl oder Gehhilfe zugänglich sind nach der Recherche von MDR SACHSEN-ANHALT und CORRECTIV 38 Rathäuser in Sachsen-Anhalt. Sie verfügen demnach über einen Fahrstuhl oder sind ebenerdig erreichbar. Teilweise zugänglich – beispielsweise über einen Lift oder nur in einzelnen Gebäuden – seien 17 Rathäuser.
Dass Menschen mit Mobilitätseinschränkungen an Stadtratssitzungen teilnehmen können, gaben 44 Städte an. In zehn Städten sei das nicht möglich und in 14 weiteren nur, wenn der Bedarf besteht. Dann würde die Sitzung beispielsweise in ein anderes Gebäude verlegt.
Wenige Städte berücksichtigen Seh- und Hörbehinderungen
Für weitere Arten von Behinderungen haben nur wenige Städte Angaben gemacht. Demnach verfügen nur fünf über Orientierungs- und Leitsysteme, um Menschen mit Sehbehinderung den Zugang zu Rathaus und Stadtrat zu ermöglichen. Weitere sechs würden bei Bedarf Hilfe anbieten, um an Stadtratssitzungen teilzunehmen. Möglichkeiten, mit denen Menschen mit Sehbehinderung wichtige Dokumente wie Bescheide oder Formulare erfassen können, gebe es in kaum einer Stadt.
Ähnlich ist die Lage für Menschen mit Hörbehinderung. Nur fünf Kommunen gaben an, dass Gebärdensprachdolmetscher vor Ort seien, und eine, dass man das Dolmetschen bei Bedarf anbiete. In 13 Kommunen sieht man den Bedarf bislang nicht. Auch bei Stadtratssitzungen gaben nur drei Städte an, dass es Gebärdensprachdolmetscher gebe. In weiteren sieben bestehe zumindest grundsätzlich die Möglichkeit dafür oder es werde ein Livestream angeboten.
Offenbar Unklarheit über Leichte Sprache in vielen Rathäusern
Auf kognitive und psychische Einschränkungen sind 14 der 104 angefragten Kommunen eingegangen. Davon gaben wiederum sieben an, entsprechende Barrieren mindestens teilweise abzubauen. Häufig bedeute das, das Personal zu schulen oder zu sensibilisieren, Ansprechpartner bereitzustellen oder Orte einfach auszuschildern. Dass Stadtratssitzungen für Menschen mit kognitiver oder psychischer Beeinträchtigung zugänglich seien, gab nur eine Kommune an.
Leichte Sprache wird in der öffentlichen Verwaltung noch kaum angeboten. Das hatte eine Recherche von MDR SACHSEN-ANHALT bereits Ende 2023 ergeben, die gemeinsame Umfrage mit CORRECTIV zeigt ein ähnliches Bild. Demnach gaben nur acht Kommunen an, wichtige Dokumente in Leichter Sprache anzubieten. Weitere sechs erklärten, das zumindest teilweise oder nach Bedarf zu ermöglichen. Aus den Rückmeldungen lässt sich allerdings entnehmen, dass in vielen Kommunen Unklarheit darüber herrscht, was Leichte Sprache überhaupt ist.
Welche Städte in Sachsen-Anhalt Barrieren abbauen
Allerdings gibt es laut Umfrage auch Positivbeispiele. So hat die Stadt Haldensleben in der Börde im Jahr 2000 das Rathaus umgebaut, inklusive Zugangsmöglichkeiten für Menschen mit Gehhilfe oder Rollstuhl, taktiler Hilfen für Sehbehinderte und akustischer Hinweise im Aufzug. In Halberstadt im Harz werden Stadtratssitzungen demnach live mit Untertitelung auf Youtube übertragen. Und in Köthen im Kreis Anhalt-Bitterfeld könne bei Bedarf über einen Verein ein Gebärdensprachdolmetscher hinzugezogen werden.
In Annaburg im Kreis Wittenberg können nach Angaben der Stadt alle veröffentlichten Dokumente mit einer Software vorgelesen werden. Die Stadt Bismark im Kreis Stendal habe Kontakt zum Blinden- und Sehbehindertenverband, um Dokumente einzulesen. Auf der Website von Aschersleben im Salzlandkreis seien digitale Inhalte und Dokumente für Software lesbar. Die Internetseite von Oranienbaum-Wörlitz im Kreis Wittenberg biete dafür ebenfalls ein Programm an.
Barrierefreie Website – oft noch eine Wunschvorstellung
Dass digitale Dokumente für Menschen mit Sehbeeinträchtigung barrierefrei oder barrierearm sind, sagen laut MDR SACHSEN-ANHALT und CORRECTIV aktuell fünfzehn Städte in Sachsen-Anhalt. Sieben davon verweisen auf die Website. Der größte Teil der Gemeinden, die die Anfrage beantworteten, hat mit "Nein" auf die Frage geantwortet, ob sie relevante Dokumente für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen zugänglich machen.
Viele Städte gaben an, dass sie in der kommenden Zeit die Barrierefreiheit auf ihrer Website verbessern wollen. Das ist auch nötig, denn laut einer EU-Richtlinie und dem Landesgesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen sind öffentliche Stellen dazu verpflichtet, ihre Websites barrierefrei zu gestalten – und das eigentlich schon seit September 2020. Ausnahmen gibt es nur, wenn die Umgestaltung eine unverhältnismäßige Belastung darstellt.
Barrierefreiheit-Projekt: Stopp! Wo kommst du nicht voran?
Nur etwa zwei Drittel der insgesamt 104 Städte in Sachsen-Anhalt haben die Anfrage, wie barrierefrei ihr Rathaus ist, überhaupt beantwortet. Mit dem Projekt "Stopp! Wo kommst du nicht voran?" wollen MDR SACHSEN-ANHALT und CORRECTIV genauer herausfinden, wie barrierearm das Land ist und Lösungen diskutieren.
Seit dem 10. April können Sie Ihre Erfahrungen im CrowdNewsroom teilen. In Dessau, Halberstadt und Tangermünde wird es mobile Lokalredaktionen geben, in denen das ebenfalls möglich ist. In den Orten sind zudem weitere Veranstaltungen geplant.
MDR (Ricarda Wenge, Maren Wilczek, David Wünschel)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 11. April 2024 | 12:00 Uhr
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