Barrierefreiheit Öffentliche Stellen in Sachsen-Anhalt verwenden kaum Leichte Sprache
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von Alisa Sonntag, MDR SACHSEN-ANHALT
22. Dezember 2023, 18:46 Uhr
Kommunen und öffentliche Stellen sollen so kommunizieren, dass es alle Menschen verstehen können. Das bedeutet: Informationen müssen auch in Leichter Sprache vorhanden sein. In Sachsen-Anhalt ist das laut einem Experten oft nicht der Fall. Aber: Es tut sich etwas im Bereich Leichte Sprache.
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- Damit alle Menschen sie verstehen können, sollen öffentliche Stellen Informationen auch in Leichter Sprache zur Verfügung stellen.
- In Sachsen-Anhalt ist das laut einem Experten aktuell aber noch selten der Fall.
- Menschen mit Lernschwierigkeiten könnten helfen, das zu ändern.
Die entscheidenden Worte stehen im Behindertengleichstellungsgesetz Sachsen-Anhalt und gelten seit 2019. "Die Träger der öffentlichen Verwaltung sollen Informationen vermehrt in Leichter Sprache bereitstellen", steht da klar und deutlich in Paragraf fünf. Leider ist Leichte Sprache bei öffentlichen Stellen in Sachsen-Anhalt aber noch Mangelware. Das ist nicht nur für Menschen mit Lernschwierigkeiten ein Problem.
Leichte Sprache besonders bei öffentlichen Stellen wichtig
Die Leichte Sprache ist eine besondere Kommunikationsform für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Anja Seidel hat zum Thema Leichte Sprache geforscht und leitet aktuell das Büro für Leichte Sprache des Vereins Leben mit Handicaps in Leipzig. Sie erklärt, dass Leichte Sprache bei öffentlichen Stellen besonders wichtig sei, weil sie Menschen mit Lernschwierigkeiten die Teilhabe an Gesellschaft und Politik ermögliche oder zumindest erleichtere: "Und wie das immer ist mit Themen der Teilhabe und Barrierefreiheit: Wenn es nur einer einzigen Person etwas nützt, dann ist das schon super."
Letzten Endes erreichen wir nur mit Leichter Sprache eine inklusive Welt.
Das sieht auch Jörg Polster so. Er ist Pressesprecher des Allgemeinen Behindertenverbandes Sachsen-Anhalt (ABISA) und des bundesweiten Dachverbandes. Dass gerade öffentliche Stellen die Leichte Sprache benutzen, ist unbedingt nötig, sagt er: "Letzten Endes erreichen wir nur mit Leichter Sprache eine inklusive Welt."
So funktioniert Leichte Sprache ↓
In der Leichten Sprache soll jeder Satz nur eine Aussage enthalten, zusätzlich steht jeder Satz in einer neuen Zeile. Bilder sind wichtig, um den Text leichter verstehen zu können. Außerdem sollen Fremdwörter gemieden und stattdessen Alltagssprache genutzt werden.
"Wenn man in Leichter Sprache schreibt", erklärt Anja Seidel, geht man immer davon aus, dass der Mensch, der den Text liest, sehr wenig Vorwissen hat." Das berge allerdings die Gefahr, dass Texte in Leichter Sprache sehr lang würden. Deswegen sei es wichtig, die Informationen bewusst auf ihren Kern zu reduzieren. Außerdem spiele der logische Aufbau des Textes eine besonders große Rolle. "Man kann wunderbar alle Regeln der Leichten Sprache einhalten und einen Text produzieren, der komplett unverständlich ist, wenn der logische Aufbau nicht passt", sagt die Expertin Seidel. Deswegen ist es aus ihrer Sicht besonders wichtig, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten jeden Text in Leichter Sprache auf Verständlichkeit prüfen.
Leichte Sprache kann hilfreich für alle sein
Etwa fünf Prozent der Bevölkerung, so Seidel, sind auf die Nutzung von Leichter Sprache angewiesen. Aber auch für Menschen ohne Lernschwierigkeiten kann die Leichte Sprache nützlich sein. So sagt auch Polster vom Behindertenverband: "Das betrifft ja nicht nur Menschen mit Behinderung. Ich arbeite in einem Ministerium. Und selbst mir fällt es manchmal schwer, Behördenschreiben zu verstehen."
Bei seiner Arbeit im Wirtschaftsministerium ist Polster dafür zuständig, 120 Schwerbehinderte im Land mit allen Fragen und Problemen zu betreuen, die in den Zuständigkeitsbereich des Ministeriums fallen. Polster ist selbst schwerbehindert, "eine unsichtbare Behinderung", wie er selbst sagt. Er hat Probleme mit der Wirbelsäule und der Lunge.
Ich arbeite in einem Ministerium. Und selbst mir fällt es manchmal schwer, Behördenschreiben zu verstehen.
Anderen zu helfen, das sei für ihn eine Herzensangelegenheit, sagt Polster. Und fügt hinzu: Er sei außerdem auch einer, der nicht Nein sagen kann. Nicht nur auf der Arbeit und bei ABISA setzt der 58-Jährige sich für Menschen mit Behinderung ein. Er ist unter anderem auch stimmberechtigtes Mitglied des Landesbehindertenbeirates, als SPD-Mitglied stellvertretender Landesvorsitzender von Selbst Aktiv, dem Netzwerk von behinderten Menschen in der SPD, und berät als zertifizierter Barrierescout ehrenamtlich Ortsbetreiber zu Barrierefreiheit. Außerdem betreibt er einen eigenen Blog mit Themen rund um Barrierefreiheit.
Selbst Schwerbehindertenbescheide nicht in Leichter Sprache
Sowohl in seinen Ehrenämtern als auch bei der Arbeit erlebe er, dass nur selten Informationen in Sachsen-Anhalt in Leichter Sprache verfügbar seien: "Das ist sehr problematisch. Nach unserem Dafürhalten wird das bisher noch gar nicht umgesetzt." Bei seiner Arbeit als Schwerbehindertenvertreter treffe er immer wieder auf Anfragen von Schwerbehinderten, die bei Anträgen und Bescheiden Übersetzung benötigten.
"Wenigstens in den Bereichen, die mit Schwerbehinderten zu tun haben, müssten Informationen in Leichter Sprache herausgehen", findet er. "Aber nicht einmal die Stelle, die die Feststellung der Schwerbehinderung prüft und die Bescheide verschickt, macht das."
Wenigstens in den Bereichen, die mit Schwerbehinderten zu tun haben, müssten Informationen in Leichter Sprache herausgehen.
Viel zu oft, sagt Polster, höre er in dem Zusammenhang, dass juristische Sprache sich nicht in Leichte Sprache übersetzen lasse. In anderen Ländern sei dies jedoch alltäglich. Zumindest, findet der Pressesprecher des Landesbehindertenverbandes, könnte man den Bescheiden eine Übersetzung in Leichte Sprache beilegen, mit der Anmerkung, dass nur der Bescheid im Behördensprech rechtsgültig sei – "dann könnten die Empfänger die Bescheide zumindest verstehen."
Öffentliche Stellen setzen Leichte Sprache nur langsam um
Zumindest die Idee, Behördenschreiben auch einen Brief in Leichter Sprache beizulegen, ist auch in Magdeburg angekommen – in der Theorie.
In einer Stellungnahme der Stadtverwaltung zu einer Anfrage aus dem Stadtrat Magdeburg steht: "In allen Bereichen der Stadtverwaltung sollten behördliche Schreiben in Einfacher Sprache formuliert werden und ein Beiblatt in Leichter Sprache zu dem behördlichen Schreiben für die Bürgerinnen und Bürger der Landeshauptstadt zur Verfügung gestellt werden."
In der Stellungnahme steht allerdings auch deutlich, dass in Sachen Leichter Sprache auch in Magdeburg noch Handlungsbedarf bestehe. Insbesondere bei behördlichen Schreiben wie Leistungsbescheiden finde Leichte Sprache bisher nur sehr punktuell im Eingliederungshilfebereich und bei der Arbeit der Fallmanager Anwendung.
Ähnlich klingt das auch beim Ministerium für Soziales, das MDR SACHSEN-ANHALT als eine weitere öffentliche Stelle in Sachsen-Anhalt auch zum Thema Leichte Sprache angefragt hat: Das Ministerium stelle "anlassbezogen" Informationen in Leichter Sprache zur Verfügung. Die Bereitstellung verschiedener barrierefreier Formate könne allerdings "nur sukzessive erfolgen". Eine Anfrage zur Thematik an die Pressestelle der Stadt Dessau-Roßlau blieb bis zur Veröffentlichung dieses Artikels unbeantwortet.
Leichte Sprache wird von Überwachungsstelle nicht geprüft
Dass die Leichte Sprache in Sachsen-Anhalts öffentlichen Stellen noch nicht ausreichend angekommen ist, zeigt auch ein Gespräch mit der Überwachungsstelle in Sachsen-Anhalt. Sie überprüft, wie barrierefrei Websites öffentlicher Stellen in Sachsen-Anhalt sind – nach Kriterien, die die Landesregierung festgelegt hat. Die Leichte Sprache ist keines davon.
Das ist die Überwachungsstelle ↓
2019 musste die Landesregierung eine EU-Verordnung zur Barrierefreiheit umsetzen. Daraus ist nicht nur die Vorgabe entstanden, dass Websites öffentlicher Stellen barrierefrei sein müssen (Behindertengleichstellungsgesetz Sachsen-Anhalt Paragraf 16), sondern auch eine Instanz, um das zu prüfen: die Überwachungsstelle. Stichprobenartig begutachtet sie, wie barrierefrei die Websites und Apps öffentlicher Stellen sind. Dabei wird zum Beispiel überprüft, ob Bilder für Menschen mit Sehbehinderung mit sogenannten Alternativtexten hinterlegt sind, die sie beim Betrachten der Seite auslesen lassen können.
Über die Prüfungsergebnisse erstattet die Überwachungsstelle einerseits den überprüften öffentlichen Stellen und andererseits auch der Öffentlichkeit Bericht. Mit erschreckender Bilanz: 2022 erfüllten 51 Websites öffentlicher Stellen, bei denen die Überwachungsstelle eine sogenannte vereinfachte Überprüfung durchgeführt hatte, im Schnitt nur 32,4 Prozent der Kriterien für Barrierefreiheit.
Die Landesregierung hat sie nicht als Kriterium zur Überwachung mit festgelegt – obwohl das auf Bundesebene und in anderen Bundesländern durchaus anders ist. Dabei sind Polster und Seidel und auch die Landesfachstelle für Barrierefreiheit sich einig, dass Leichte Sprache ein wichtiger Teil der Barrierefreiheit ist. Auf die Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT nach den Gründen für die Entscheidung verwies das Sozialministerium Sachsen-Anhalt auf eine EU-Richtlinie (Richtlinie 2016/2102), eine europäische Norm (EN 301 549 V3.2.1) sowie die sogenannten Web Content Accessibility Guidelines (WCAG 3.1.5).
Polster sieht kritisch, dass die Überwachungsstelle Leichte Sprache nicht mit überprüft: "Wir als Behindertenverband fänden es wichtig, dass auch die Leichte Sprache mit überwacht würde. Sie gehört schließlich zur Barrierefreiheit dazu." Er wünsche sich, dass das Land die Leichte Sprache als Überwachungskriterium ergänze und dafür auch weitere Mittel zur Verfügung stelle.
Missachtung der Barrierefreiheit bleibt für öffentliche Stellen ohne Folgen
Und noch einen weiteren Wunsch äußert Polster im Namen der Menschen mit Behinderung in Sachsen-Anhalt: "Schön wäre es, wenn auch die Umsetzung der Barrierefreiheit hier mit etwas mehr Nachdruck geschehen würde."
Aktuell sind die gesetzlichen Regelungen für barrierefreie Kommunikation öffentlicher Stellen – ob nun online oder offline – zahnlose Tiger. In Sachsen-Anhalt ist die Regelung nur eine Kann-Regelung. Entscheiden öffentliche Stellen, keinerlei Informationen in Leichter Sprache anzubieten, hat das für sie keine Folgen.
Schön wäre es, wenn auch die Umsetzung der Barrierefreiheit hier mit etwas mehr Nachdruck geschehen würde.
"Wir wünschen uns, dass es da ein bisschen mehr Handhabe gibt", sagt Polster. "Also eventuell ein Bußgeld für öffentliche Stellen, die bei der Überprüfung schlecht abschneiden, oder zumindest eine Frist, bis wann die Probleme behoben sein müssen."
Wie Menschen mit Lernschwierigkeiten helfen könnten
Um Leichte Sprache in ihre Kommunikation einzubauen, brauchen Behörden laut Seidel vor allem zwei Dinge: Zeit und Geld. Zwei Ressourcen, die immer und überall knapp sind. So erklärt zum Beispiel die Pressesprecherin der Stadt Magdeburg Ina Fester bezogen auf die städtische Website: Es sei weiterhin Ziel, Inhalte dort barrierefrei zu gestalten und in Leichter Sprache anzubieten. Die Kosten für Übersetzungen in Leichte Sprache seien mit circa 145 Euro pro Normseite allerdings sehr hoch. Wegen der Haushaltssperre könnten Übersetzungen damit aktuell nicht stattfinden. Allerdings würden Alternativen wie der Einsatz einer KI-basierten Software überprüft.
Die Expertin für Leichte Sprache Anja Seidel empfiehlt allerdings, dass Texte nicht nur von Menschen übersetzt, sondern zusätzlich auch von Menschen mit Lernschwierigkeiten auf Verständlichkeit überprüft werden. Bis man das Übersetzen in Leichte Sprache erfolgreich beherrsche, brauche es allerdings viel Übung und im Optimalfall auch eine Ausbildung. Doch das Thema Leichte Sprache, meint Polster, schlage sich zumindest im Fortbildungsprogramm vom Aus- und Fortbildungsinstitut des Landes Sachsen-Anhalt bisher noch gar nicht nieder.
Seidel schwärmt von einem vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderten Modellprojekt des Netzwerks Leichte Sprache und der Caritas Augsburg. Beim Projekt "Fachkraft Leichte Sprache" wurden Menschen mit Lernschwierigkeiten ausgebildet, um gemeinsam mit Übersetzerinnen und Übersetzern Texte in Leichter Sprache unter anderem für Behörden zu verfassen.
Mehr zum Projekt "Fachkraft Leichte Sprache" ↓
Ziel des Modellprojektes war es, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, also fair bezahlte Arbeit zu schaffen. Menschen mit Lernschwierigkeiten sollten zum Beispiel in Behörden und an öffentlichen Stellen arbeiten – nicht nur als Prüfpersonen, sondern auch für kleine Büroarbeiten und zur Aufklärung über Leichte Sprache. "Das wäre super, denn sie sind ja Expertinnen und Experten in ihrer eigenen Lebenswelt", sagt Seidel.
Die im Modellprojekt entwickelten Materialien – Unterrichtseinheiten und Curriculum – können Interessierte nach wie vor online herunterladen und für weitere Projekte nutzen.
Es tut sich etwas im Bereich Leichte Sprache
Beim Thema Leichte Sprache ist in Sachsen-Anhalt mittlerweile ein Stein ins Rollen gekommen. Wenn man Jörg Polster glaubt, dann hat das vor allem mit Christian Walbrach zu tun, dem Behindertenbeauftragten, der seit 2019 im Amt ist. "Für mich ist das der erste Landesbehindertenbeauftragte in Sachsen-Anhalt, der mit vollem Kopf und Herz – und tatsächlich auch oft über die Arbeitszeiten hinweg – bei der Sache ist", sagt Polster und nickt zufrieden.
Im September 2021 habe – angestoßen durch den Landesbehindertenbeauftragten – an der Hochschule Magdeburg-Stendal eine Fachtagung zu Leichter Sprache stattgefunden, an der sich vielerlei Akteure, auch Vereine wie ABISA, beteiligt hätten. "Dabei sind die Magdeburger Empfehlungen entstanden", erklärt Polster, "eine Broschüre, in der die Notwendigkeit und Verpflichtung, aber auch die Umsetzung der Leichten Sprache für Behörden erklärt wird."
Überwachungsstelle: "Thema nimmt an Fahrt auf" ↓
Kathrin Wille, die Leiterin der Überwachungsstelle in Sachsen-Anhalt, sagt, in ihrer Wahrnehmung nehme das Thema Barrierefreiheit im Land an Fahrt auf: "Die Sensibilisierung für Barrierefreiheit ist in der Zeit, in der wir die Prüfungen durchführen, gewachsen." Ihr Vorgesetzter, der Leiter der Landefachstelle für Barrierefreiheit Klemens Kruse, ergänzt: Auch die Leichte Sprache sei seinem Eindruck nach durchaus etwas, das öffentliche Stellen beschäftige.
Die Broschüre ist ein Anfang. Nun, sagt Polster, versuche der Landesbehindertenbeauftragte auf dem politischen Weg, die Leichte Sprache in die Behörden zu bringen.
MDR (Alisa Sonntag)
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