Persönliches Budget Zu wenig Geld für Menschen mit Behinderung
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06. April 2024, 05:00 Uhr
Menschen mit Behinderung haben das Recht, selbst zu bestimmen, wie sie leben wollen. Um das zu realisieren, haben sie Anspruch auf ein persönliches Budget. Im Fall eines Mannes aus Magdeburg ist das seiner Meinung nach zu gering. Er kann seinen Assistenten keinen Lohn nach Tarif zahlen – für ihn könnte das lebensgefährlich werden, sagt er.
- Zu wenig Budget, um Tariflöhne zahlen zu können.
- Trotz einstweiliger Verfügung: Seit einem halben Jahr muss Rother warten.
- Fünf von sieben Leistungsberechtigten in Sachsen-Anhalt müssen kämpfen.
Die Muskulatur von Michael Rother wird mit den Jahren immer schwächer. Trotz der spinalen Muskelatrophie arbeitet der 38-jährige Magdeburger in Vollzeit für das Robert-Koch-Institut. Doch er ist auf Hilfe angewiesen – 24 Stunden am Tag. "Davon hängt mein Leben ab!", sagt der Rollstuhlfahrer. Verschluckt er sich, kippt sein Kopf nach vorn oder liegt er falsch im Bett und das bekomme niemand mit, sterbe er. Wegen seiner schweren und fortschreitenden Erkrankung ist Rother auf Assistenten angewiesen, die sein Leben erhalten und ihm im Alltag helfen.
Die Helfer hat Rother selbst eingestellt, er ist deren Arbeitgeber. Menschen mit Behinderung dürfen laut Bundesteilhabegesetz selbst bestimmen, wo und wie sie leben wollen. Um die Assistenten, die sie benötigen, einstellen zu können, erhalten die Betroffenen Geld – ein sogenanntes Persönliches Budget. Dazu soll eine Zielvereinbarung zwischen dem behinderten Menschen und der zuständigen Behörde geschlossen werden. Diese legt fest, welche Ziele der sozialen Teilhabe erreicht werden sollen. Und wie hoch der Geldbetrag sein muss, um diese Ziele zu erreichen.
Doch Rother ringt seit Jahren mit Behörden in Sachsen-Anhalt um diese Zielvereinbarung – weshalb bis heute kein persönliches Budget genehmigt wurde. Er erhält zwar einen Geldbetrag von rund 21.000 Euro monatlich. Das reiche aber nicht für die benötigten knapp fünfeinhalb Vollzeitstellen. Laut Rother wären rund 7.000 Euro mehr pro Monat nötig, um Stundensätze auf Tariflohnbasis zahlen zu können.
Davon hängt mein Leben ab!
"Das bedeutet, so im Querschnitt aller Angestellten brauche ich 18 Euro plus die Zahlungen für Rufbereitschaft und Jahressonderzahlung", erklärt Rother. "Womit wir irgendwie bei 20 Euro sind, plus Arbeitgeberanteile und so." Derzeit bekomme er einen Stundenlohn von 16,55 Euro für die Assistenten refinanziert; doch damit kann er im Augenblick nicht alle nötigen Stellen besetzen. Lösen kann er das Dilemma nicht richtig: "Weniger Leute, Überstunden, die momentan nicht ausbezahlt werden können." Rother lebt in der Angst, dass sein Versorgungssystem jederzeit zusammenbrechen könnte.
Unter Tariflohn: Hat das Land zu wenig Geld bewilligt?
Dabei haben Menschen wie Rother das Recht auf soziale Teilhabe dieser Art. Roland Rosenow ist Dozent für Sozialrecht an der Katholischen Hochschule Freiburg und war lange in der Behindertenberatung tätig. Er hat einen juristischen Fachkommentar zum Bundesteilhabegesetz verfasst. MDR Investigativ hat ihn gefragt: Rechtfertigt das Gesetz, Tariflöhne für die Assistenten zu verweigern?
"Nein, es gibt dafür keine gesetzliche Rechtfertigung", sagt Rosenow. Die Behörden müssten mit dem persönlichen Budget sicherstellen, dass die Betroffenen auch bekommen, was sie brauchen. "Dazu muss man angemessene Gelder zahlen, sonst klappt das nicht. Wir haben immerhin Pflegekräftemangel. Das bedeutet, wenn ich nicht wenigstens Tarif zahle, in manchen Gegenden vielleicht sogar über Tarif, dann bekomme ich einfach nicht die Kräfte, die ich brauche."
Die bewilligten Zahlungen an Rother entsprechen nicht den Tariflöhnen. Rother hat vor dem Sozialgericht Magdeburg geklagt und über eine Einstweilige Verfügung in wesentlichen Punkten Recht bekommen: Die Orientierung am Tariflohn sei nicht zu beanstanden, heißt es dort. Rother wurde vorläufig ein Anspruch von rund 28.000 Euro pro Monat zugesprochen. Doch dann hat das Landessozialgericht die Vollstreckung dieses Beschlusses bis zum Abschluss des Gesamtverfahrens ausgesetzt, und seit fast einem halben Jahr bewegt sich – nichts.
Die Mehrheit der Betroffenen beschwert sich
Rother hat sich schließlich an den Petitionsausschuss des Landtages in Sachsen-Anhalt gewandt. Deren Mitglied ist auch die Linken-Landtagsabgeordnete Nicole Anger. Sie geht davon aus, dass die Ursache der Probleme vor allem bei den Behörden in Sachsen-Anhalt liegen: "Im Petitionsausschuss haben wir fünf Petitionen von Leistungsberechtigten aus dem persönlichen Budget im Assistenzmodell – von insgesamt sieben, die im Land gewährt werden! Das zeigt ja, dass es dort ein absolutes Systemversagen gibt!" Konkrete Fragen zum Einzelfall von Michael Rother wollte das Sozialministerium in Magdeburg gegenüber MDR Investigativ nicht beantworten.
Das zeigt ja, dass es dort ein absolutes Systemversagen gibt.
Roland Rosenow erlebt in seinen Beratungen häufig, dass die Betroffenen erst durch eine Klage zu ihrem Recht kommen: "Wir können uns kaum vorstellen, wie rücksichtslos Behörden im Sozialleistungsbereich mitunter Rechtsauffassungen vertreten, die ohne Wenn und Aber falsch sind!"
Aus Sicht des Experten tun manche Behörden dies vor allem, um Geld zu sparen. "Natürlich können die Betroffenen sich vor Gericht wehren, aber das dauert Jahre!", so Rosenow. "Und oftmals ist während dieser Jahre das Geld gespart. Und dann kommt dazu, dass viele Betroffene gar nicht die Kraft, die Durchhaltekraft haben, sich vor Gericht zu wehren. Viele geben auf!"
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 27. März 2024 | 20:15 Uhr
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