Energiewende H2-ready-Gasheizung: "Eine unerreichbare Verheißung"
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20. Juli 2023, 15:03 Uhr
Statt auf Wärmepumpen wollen viele Hausbesitzer lieber auf eine H2-ready-Heizungen setzen. Doch ob und wann Wasserstoff zum Heizen tatsächlich in Wohnungen ankommt, ist fraglich. Lieber sollten Verbraucher bei "H2-ready" abwarten.
- Heizen mit Wasserstoff geht: Aber ist es auch sinnvoll?
- Kontra aus der Fachwelt – und auch einige Befürworter
- Viele Probleme sind lösbar – vielleicht aber nicht alle.
- Fazit für die private Heizung: Warte ab, wer kann!
Drei bis vier Milliarden Jahre haben Pflanzen auf der Erde die Energie der Sonne in etwas verwandelt, das wir heute "fossile Energieträger" nennen. Im Klimawandel soll nun das Zeitalter ihrer plumpen Verbrennung enden und Sonnenenergie direkter genutzt werden, durch Photovoltaik oder durch die von Temperatur-Differenzen auf der Erde immer erfrischte Windkraft.
Da Sonne und Wind sich jedoch nicht direkt für jede Anwendung nutzen lassen, für die Beheizung von Wohnungen etwa, könnte Wasserstoff als transportabler Brennstoff ins Spiel kommen, klimaneutral aber nur, wenn seine technisch aufwändige Herstellung und andere Prozesse ohne fossile Energieträger auskommen. Investitionen für die Industrie laufen an.
Sollten sich deshalb auch private Haushalte – mit Blick etwa auf das neue Heizungsgesetz – schon jetzt auf Wärme aus Wasserstoff einstellen und sich etwa sogenannte "H2-ready"-Heizkessel einbauen? (Hier geht es direkt zum Fazit)
Heizen mit Wasserstoff ist möglich
Grundsätzlich ist Heizen mit Wasserstoff jetzt schon möglich, etwa mit Brennstoffzellen-Anlagen, die Wasserstoff aus Erdgas gewinnen und nutzen. Vorteile sind neben Klimaschonung durch weniger Kohlendioxid: Strom und Wärme, erzeugt mit hohem Wirkungsgrad in leicht installierbaren, ruhigen und kompakten Anlagen, geringere Energiekosten, auch durch die höhere Unabhängigkeit vom Strompreis und schon jetzt hohe Förderung. Nachteile sehen Experten in der vorläufig weiteren Abhängigkeit von Gas, vor allem aber in noch relativ hohen Anschaffungs- und Wartungskosten.
Es könnte also dauern, bis solche Kosten sich auch rechnen, vor allem für Altbauten und Häuser mit geringerem oder eher ungleichem Bedarf an Strom und Wärme. Fachberatung je nach Einzelfall ist da sicherlich nötig.
Die zweite Möglichkeit ist, Wasserstoff in Heizkesseln ganz direkt zu verbrennen, ähnlich wie Heizöl oder Erdgas. Das allerdings geht nicht mit herkömmlichen Anlagen. Sie müssen ausgetauscht oder umgerüstet werden. Von Beratern heißt es, dass komplett mit Wasserstoff laufende Heizungen "noch Zukunftsmusik" seien. Das heutige H2-Ready-Siegel bedeute nur, dass Geräte mit bis zu 20 Prozent Wasserstoff im Erdgas umgehen können. So etwas gibt es bisher aber nur in lokalen Pilotversuchen.
Die meisten der H2-Ready-Kessel deutscher Hersteller sollen zwar auf 100 Prozent umrüstbar sein. Doch von Beratern heißt es für die nähere Zukunft: "Die Verfügbarkeit von Wasserstoff wird wahrscheinlich für Heizzwecke nur regional begrenzt vorliegen" und eher eine "Nischenanwendung". Den Fokus legt das neue Gebäude-Energie-Gesetz klar auf die Wärmepumpe, wohl auch weil heute noch unklar ist, wo all der grüne Wasserstoff herkommen soll.
Viel Kontra zum Heizen mit Wasserstoff
Die mit Abstand meisten Stimmen aus Politik und Wissenschaft, von Umweltschützern und Branchen-Fachleuten sehen darum vorläufig kaum eine Zukunft für Wohnungsheizungen mit Wasserstoff – aus genannten Gründen und anderen mehr, die beispielhaft der NABU hier auflistet.
Die wichtigsten Gegenargumente sind demnach, dass Wasserstoff in den dafür nötigen Mengen in mindestens den nächsten zehn Jahren kaum zu beschaffen oder hierzulande herstellbar sein wird, dass Ertüchtigungen der Leitungen bis zum Haus nicht so schnell machbar und nicht günstig zu haben sind und dass die Industrie den Brennstoff effektiver einsetzen könne.
Ein Problem: Wasserstoff ist extrem leicht, flüchtig, von geringer Dichte und instabil. Er muss extrem gekühlt und so verflüssigt oder chemisch gebunden werden. Das macht ihn technisch aufwendig und teuer – Stand jetzt.
Dass bisherige Leitungen grundsätzlich für Wasserstoff genutzt werden können, zeigt zwar ein Beispiel aus Bad Lauchstädt. Auch das Projekt dort setzt aber vorerst allein auf industrielle Abnehmer ganz in der Nähe.
Für den Schornsteinfeger, Energieberater und SPD-Politiker Stefan Bolln, Vorsitzender im Energieberaterverband GIH, ist die Sache klar. Er sagte im Deutschlandfunk kürzlich: "Die gesamte Fachwelt sagt: Das wird nichts." Es werde vielleicht punktuell kleinere Netze geben, wo Wasserstoff eingesetzt wird, "vielleicht in Nordfriesland." In Ballungsräumen aber "wird das nichts". Die Diskussion sei "ein Ablenkungsmanöver", das nur verunsichere.
Klarer noch kritisierte sein Vorgänger an der GIH-Spitze, Jürgen Leppig, das "Märchen vom Heizen mit Wasserstoff". Dessen Kosten dürften "wohl noch sehr lange auf einem für die meisten unfinanzierbaren Niveau" liegen und H2-ready-Heizungen laut GEG nur eingebaut werden, wo Betreiber ein Netz für Wasserstoff planen, "was derzeit ebenfalls illusorisch" sei. Statt Offenheit für Technologie werde hier "eine unerreichbare Verheißung" geschaffen.
Um einer von mancher Seite geforderten Technologieoffenheit zu genügen, schafft der Gesetzgeber hier nichts anderes als eine unerreichbare Verheißung.
Geschildert werden aber auch optimistischere Szenarien und es gibt Befürworter wie Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), der für Wasserstoffheizungen wirbt. In der Bundesregierung machte sich auch die FDP beim Heizungsgesetz für "Technologiefreiheit" stark.
Doch nicht nur parteipolitische Befürworter gibt es. Der Heizungsanlagen-Anbieter Viessmann etwa sieht grünen Wasserstoff als "konsequenten Weg, den Gebäudesektor klimaneutral zu machen." Dem Argument, bestehende Leitungen seien nicht für Wasserstoff zu nutzen, wird widersprochen: Die bestehenden Gasnetze könnten genutzt werden, was so günstiger sei als der sonst nötige "teure Ausbau von Stromnetzen und Reserve-Kraftwerken".
Wer soll eigentlich was bezahlen?
Was die Leitungsnetze angeht, hat natürlich leicht reden, wer dafür nicht verantwortlich ist. Die ostdeutschen Kommunen jedenfalls hatten zuletzt dafür noch kein frisches Geld.
Zugleich ist nach wie unklar wie ein Markt und eine Marktordnung für Wasserstoff aussehen werden. Auch daran wird zwar gearbeitet, wobei für den Großhandel wohl die Energiebörse EEX in Leipzig dienen soll.
Noch länger unklar dürfte aber bleiben, mit welchen Mengen an grünem Wasserstoff überhaupt zu rechnen wäre. Dass es Importe in größerem Stil brauche, hatte die "Wirtschaftsweise" Veronika Grimm schon 2021 dem MDR gesagt: "Es ist davon auszugehen, dass wir auch in Zukunft einen großen Teil unserer Energie importieren", per Pipeline oder Schiff aus der ganzen Welt.
Als Vorteil beschrieb Grimm im Film vom MDR Wissen – übrigens vor der russischen Invasion in der Ukraine – "dass wir unsere Energie-Abhängigkeiten diversifizieren können" und das sei "eigentlich eine schöne Perspektive".
Probleme lösbar - vielleicht aber nicht alle
Für die Ökonomin Grimm ist Wasserstoff "vielleicht nicht die Kohle der Zukunft, aber ein wichtiger Faktor, den wir nicht aussparen sollten". Was heute noch teure Probleme sind, lässt sich auf die längere Sicht vielleicht auch lösen, nicht nur die Frage etwa nach dem grünen Strom zur Herstellung von grünem Wasserstoff – auch die etwa nach dem nötigen Wasser, denn auch Süßwasser ist eine zunehmend knapper werdende Ressource.
An industriellen Lösungen arbeiten Konzerne wie Thyssen-Krupp schon länger. Doch werden deren Elektrolyseure grünen Wasserstoff bald auch für mehr oder weniger angepasste Gasheizungen in Wohnungen produzieren? Und was würden der und das ja weiter nötige Erdgas bis dahin kosten?
"Das wird uns noch in den nächsten fünf bis zehn Jahren beschäftigen", erklärte uns Bernd Abel vom Institut für Technische Chemie der Universität Leipzig auf Nachfrage von MDR AKTUELL: "Man sollte sich da nicht kirre machen lassen", sagte Abel. Vieles sei jetzt "mit heißer Nadel gestrickt" und Privatleuten momentan doch eher zu raten, noch etwas abzuwarten.
Fazit zur H2-Heizung: Warte ab, wer kann!
Mehr noch als das geplante Gebäude-Energie-Gesetz selbst erscheint der Wasserstoff-"Hochlauf" heute noch als ordnungspolitisches Experiment mit ungewissem Ausgang. Es gibt dafür zwar gute und nicht nur klimapolitische Gründe. Wer mit dem Einbau einer neuen Heizung aber noch warten kann, ist gut beraten, das auch zu tun. Das Gebäude-Energie-Gesetz, so wie es zuletzt geplant wurde, erzeugt nun ja auch weit weniger Zeitdruck als befürchtet.
Wer sich ohne Nachteile oder Risiken "H2-ready" machen kann – gut. Besser aber wäre es, die im GEG jetzt bis Ende 2027 verpflichtenden kommunalen Wärmeplanungen abzuwarten und bei Wasserstoff genau zu beobachten, was sich in der näheren Umgebung wirklich tut. Sich ohne Not schon jetzt in dieses flüchtige Element zu stürzen, bleibt vorläufig eine unsichere Sache.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 05. Juli 2023 | 21:45 Uhr