Wahlversprechen im Zukunftscheck Verwaltung digital: Eine App für Ausweisantrag, Kfz-Zulassung & Co?
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09. Februar 2025, 05:00 Uhr
Die Grünen wollen eine Deutschland-App: Damit sollen Bürger und Unternehmen alle Behördenanliegen online erledigen können – also zum Beispiel das Beantragen eines Reisepasses oder von Eltern- oder Wohngeld. Insgesamt geht es um rund 6.000 Dienstleistungen. Das klingt nach Zukunft – doch lässt sich eine solche App überhaupt zeitnah umsetzen? Die Digitalisierung der Verwaltung stockt und Bund, Länder und Kommunen sind unterschiedlich weit.
- Vor mehr als 20 Jahren geplant, bis heute nicht umgesetzt: eine zentrale digitale Plattform für alle Verwaltungsleistungen.
- Grenzen der Verwaltungsdigitalisierung: Föderalismus und Unklarheiten bei der Finanzierung.
- Wahlversprechen im Zukunftscheck: Fazit.
Langes Warten im überfüllten Bürgeramt oder die verzweifelte Suche nach einem zeitnahen Termin bei der Online-Terminvergabe: Viele kennen das. Wer seinen Führerschein umtauschen, die neue Wohnung oder den Hund anmelden oder ein Führungszeugnis beantragen will, muss oft Geduld mitbringen. Das soll in Zukunft Geschichte sein, wenn es nach Bündnis 90/Die Grünen geht. Ihre "Vision", wie sie es nennen: Das alles geht bequem per Handy oder Computer mit der Deutschland-App.
Deshalb werden wir gemeinsam mit den Ländern und Kommunen eine plattformunabhängige Deutschland-App auf Open-Source-Basis einführen. Darin sollen schrittweise alle staatlichen Verwaltungsangebote und Leistungen sicher, unkompliziert, barrierefrei und anwendungsfreundlich zur Verfügung stehen.
Im Hintergrund soll aus Sicht der Grünen eine zentrale, digitale Plattform stehen, die die Verwaltungsebenen von Bund, Ländern und Kommunen verbindet. Die Partei will auch dafür sorgen, dass dafür ausreichend Geld zur Verfügung steht.
Vor einem Vierteljahrhundert begonnen, noch immer nicht fertig
Schon vor bald 25 Jahren sagte der damalige Kanzler Gerhard Schröder: "Die Daten sollen laufen, nicht die Bürgerinnen und Bürger" und startete die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung des Bundes. Trotz dieser frühen Initiative sei Deutschland auch heute noch weit vom Ziel entfernt, dass Menschen und Unternehmen ihre Daten nur einmal einer Behörde mitteilen müssen (Once-Only-Prinzip), stellt der Nationale Normenkontrollrat fest, der die Bundesregierung auch bei der Digitalisierung der Verwaltung berät. Dabei könnten dadurch auch jährlich Kosten in Milliardenhöhe gespart werden. Ohne eine digitale Verwaltung macht eine App wenig Sinn, sind sich Experten einig.
Über Parteigrenzen hinweg herrscht der Konsens, dass Deutschlands Verwaltung digitaler werden muss. Die mehr als 6.000 Behördenleistungen von Bund, Ländern und Kommunen digital anbieten – das sollte bis 2022 passieren. So schrieb es das Onlinezugangsgesetz (OZG) 2017 vor. Dieses Vorhaben scheiterte aber. Das Gesetz wurde 2024 angepasst und dem Staat mehr Zeit gegeben. Der Bund teilte Ende des vergangenen Jahres mit, seine priorisierten OZG-Leistungen digitalisiert zu haben. Insgesamt waren ein halbes Jahr vorher laut Bundesrechnungshof gut 1.000 der weit über 6.000 Verwaltungsleistungen vollständig digital nutzbar – zum Beispiel der Elterngeldantrag. Weitere Anträge können zumindest online ausgefüllt werden.
Flächendeckend heißt nicht einheitlich Das Beispiel Elterngeld zeigt: Nur weil eine Leistung bundesweit digital verfügbar ist, heißt das nicht, dass es überall gleich funktioniert. Sachsen hat inzwischen ein eigenes Portal für den Elterngeld-Antrag und nutzt nicht mehr das Bundesportal ElterngeldDigital. Dieses können aktuell Eltern in zehn Bundesländern nutzen, darunter Sachsen-Anhalt und Thüringen. Die meisten müssen den online ausgefüllten Antrag dann allerdings ausdrucken und ans zuständige Amt schicken. Nur in manchen Ländern und einzelnen Städten kann der Antrag auch direkt online versandt werden.
Auf dem Weg zur vollständigen Digitalisierung befänden wir uns irgendwo in der Mitte, wenn überhaupt, sagt Caroline Fischer. Sie ist Verwaltungswissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Digitalisierung, zurzeit an der Universität Twente in den Niederlanden. Auch für sie als Expertin sei es schwer zu durchschauen, welche Leistungen schon online angeboten werden. Es gebe ein "föderales Wirrwarr". Das bestätigt ein Blick auf das Dashboard Digitale Verwaltung des Bundesinnenministeriums. Es zeigt, wie unterschiedlich weit die Kommunen und Länder sind.
Man komme bei der Digitalisierung mit dem Föderalismus an seine Grenzen, sagt auch der Rechtswissenschaftler Jonas Botta vom Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung. "Wir müssen, was die Infrastruktur angeht, einfach mehr Zentralisierung wagen." Länder und Kommunen hätten schon viele Aufgaben, gerade die Kommunen trügen die Hauptlast der Verwaltungsleistungen. Thilak Mahendran, der bei der Denkfabrik "Agora Digital" mehrere Forschungsprojekte zum digitalen Regierungshandeln betreut, sieht großen Handlungsbedarf. Er schlägt eine Grundgesetzänderung vor, so dass die gemeinsame Infrastruktur vom Bund finanziert werden könnte: "Dafür müssten Bund und Länder gemeinsam feststellen, dass so eine Infrastruktur ein Projekt von gesamtstaatlicher Bedeutung ist."
Eine App für alle Anliegen?
Das Thema Deutschland-App müsse man realistisch betrachten, so Mahendran, der auch Mitglied der Grünen ist. Es sei wichtig, die App fürs Erste auf wenige, durchdigitalisierte Verwaltungsleistungen zu konzentrieren, wie beispielsweise das Wohngeld, Führerschein oder Elterngeld. Digitalisierungsberater Florian Marcus, der im digitalisierten Estland lebt, begrüßt eine solche App. Wichtig sei aber vor allem, dass die Daten verknüpft werden und Nutzer sie nicht jedes Mal wieder eingeben müssen. Auch die Finanzierung müsse geklärt werden.
Als erstes brauche es eine digitalisierte Verwaltung, denn Deutschland hänge weit hinterher, mahnt Constanze Kurz vom Chaos Computer Club. Ohne die bleibe die App eine schöne Idee. Für eine App sieht Kurz aktuell wenig Realisierungschancen. Auch Juniorprofessorin Caroline Fischer warnt: "Natürlich könnte man diese App jetzt schon bauen, aber ich glaube, das wäre kontraproduktiv. Dann hat man eine App, die man nicht benutzen kann und dann sind die Leute frustriert und die App startet mit einem schlechten Image." Ein guter Zwischenschritt wäre aus ihrer Sicht, den Portalverbund von Bund, Ländern und Kommunen auszubauen. Dort können Nutzer schon jetzt Online-Anträge finden und stellen.
Die befragten Experten gehen davon aus, dass es mindestens vier, wahrscheinlich eher mehr Jahre dauert, bis eine solche App nutzerfreundlich realisiert werden könnte.
Erfahren Sie mit einem Klick mehr zu: Portalverbund und BundID
Auf dem Portalverbund können Nutzer nach einer Dienstleistung suchen. Nach mehreren Klicks erfahren sie, ob es für ihren Wohnort einen Online-Antrag gibt, aber auch, wer ansonsten zuständig ist. Online können die Menschen zum Beispiel deutschlandweit ein Polizeiliches Führungszeugnis beantragen. Dafür brauchen sie ihren Personalausweis mit aktivierter PIN, ein geeignetes Smartphone und eine App. Manche gehen dann lieber doch aufs Amt.
Der eGovernment MONITOR 2024 zeigt, dass der Anteil der Online-Ausweis-Nutzer in Deutschland zum ersten Mal seit Beginn der Messung stark angestiegen ist. 22 Prozent haben ihn genutzt. Wer seinen Online-Ausweis einmal bei der BundID registriert hat, kann dieses zentrale Konto zur Identifizierung bei Online-Anträgen nutzen. Laut Bundesinnenministerium sind mehr als 1.500 Onlinedienste und Portale bereits angebunden. Die BundID soll als zentrales Bürgerkonto zur DeutschlandID weiterentwickelt werden.
Fazit: Gute Idee, aber mit Blick auf das Tempo der Digitalisierung unrealistisch
Eine Deutschland-App ist nur dann zukunftsfähig, wenn dahinter auch eine vereinte, digitalisierte Verwaltung steht. Dazu gehört auch, dass die Ämter intern digital arbeiten und Online-Anträge nicht mehr ausdrucken und abheften. Auch wenn mit Portalverbund und BundID erste Schritte gegangen sind, ist es noch ein langer Weg. Denn noch nicht mal die Hälfte der Behördenleistungen ist online möglich und die Verknüpfung von Bund, Ländern und Kommunen ist kompliziert. Wie viele Jahre es dauert, hängt davon ab, wie viel Geld, Zeit und Arbeitskraft die Politik investiert. Eine App mit zahlreichen Online-Anträgen auf allen Ebenen in der nächsten Legislaturperiode ist unrealistisch.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 09. Februar 2025 | 21:45 Uhr