Bundestagswahl Warum haben die Grünen im Osten so schlechte Wahl-Ergebnisse?

24. September 2021, 05:00 Uhr

Während die Grünen im Westen Deutschlands zum Teil längst zur Volkspartei gewachsen sind, hat es die Partei in so manchem Wahlkreis von Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen schwer. Bei der vergangenen Bundestagswahl hatte die Partei mancherorts so schlechte Ergebnisse, dass sie nur unter "Sonstige" aufgelistet wurde. Droht dieses Schicksal auch bei Wahl 2021?

Klimaschutz, Energiewende oder E-Mobilität – das Wahlprogramm von Bündnis 90/ die Grünen polarisiert im Osten Deutschlands. Als Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock am vergangenen Freitag in Chemnitz war, schlug ihr auch Gegenwind entgegen. Rechtsextreme hatten kurzfristig eine Gegenveranstaltung angemeldet.

"Klar hat man da Angst, dass die kommen", sagte Wahlkampfhelferin Coretta Storz, die seit rund einem Jahr bei den Grünen dabei ist. "Es ist auch nicht so, dass uns im Wahlkampf bis jetzt keine negativen Emotionen entgegengebracht worden wären."

Im Endspurt vor der Bundestagswahl 2021 wollte Annalena Baerbock die Chemnitzer von ihrem Programm doch noch überzeugen. Ihr Ziel: die Wahl gewinnen und Kanzlerin werden. "Dafür trete ich als Kanzlerkandidatin an, für einen echten Aufbruch", sagte sie auf der Bühne am Theaterplatz. Die Klimafrage sei die Aufgabe unserer Zeit:

Die Aufgabe auch meiner Generation ist, dafür zu sorgen, dass meine Kinder, ihre Kinder, ihre Enkelkinder in 20 Jahren auch noch ein gutes Leben haben.

Annalena Baerbock Kanzlerkandidatin von Bündnis90/die Grünen

Vor der Bühne gab es Applaus – und Pfiffe. Zwischen den über 200 Besuchern auf dem Theaterplatz hatten sich einige Störer eingefunden. Viele waren nicht gekommen, aber genug, um unangenehm aufzufallen.

Doppelt so viele Stimmen im Westen wie im Osten

In Städten wie Chemnitz, Leipzig oder Jena sind die Grünen in den vergangenen Jahren stärker geworden. Dennoch: so erfolgreich wie im Westen sind Bündnis90/die Grünen in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen nicht. Bei der jüngsten Bundestagswahl 2017 wählten im Osten nur fünf Prozent die Grünen. Im Westen waren es fast doppelt so viele. Ein ähnliches Verhältnis hat es bei der Europawahl zwei Jahre später gegeben. Zwar schnitt die Partei in Ost und West deutlich besser ab, doch mit 22,5 Prozent holte die Partei im Westen fast doppelt so viele Stimmen wie im Osten.

Vor allem im ländlichen Raum haben die Grünen einen schweren Stand. Ein Beispiel ist Hoyerswerda im Wahlkreis Bautzen I. "Gegenüber Politik ist hier einfach wenig Vertrauen da. Das gilt es gezielt wiederaufzubauen", sagt der grüne Direktkandidat des Wahlkreises Lukas Mosler. Der 24-jährige Industriekaufmann tritt das erste Mal zur Wahl an. Im Straßenwahlkampf bekam er in Hoyerswerda bisher wenig Zuspruch. Gesprächen mit AfD-Anhängern geht er lieber aus dem Weg.

Viel Ablehnung auf dem Land

Doch Mosler hat Unterstützung aus dem Westen. Nicolá Lutzmann ist aus Heidelberg angereist, einer grünen Hochburg. Zusammen sind sie auf dem Marktplatz in Hoyerswerda unterwegs, aber viele Flyer werden sie nicht los. Lutzmann kennt den zähen Wahlkampf noch von früher: "Also es gab Zeiten, wo einem schon vor die Füße gespuckt worden ist." Heute hänge das davon ab, wo man unterwegs sei. "Hier hat man tatsächlich eher Ablehnung."

Das zeigt sich auch an den unterschiedlichen Wahlergebnissen: Nur 2,4 Prozent der Stimmen gingen bei der jüngsten Bundestagswahl im Wahlkreis Bautzen I an Bündnis90/Die Grünen. Dagegen konnte die Partei in der Grünen-Hochburg Heidelberg mehr als 17 Prozent der Zweitstimmen gewinnen.

Bei den jungen Wählern punkten die Grünen

Für den Wahlforscher Professor Ulrich Eith liegt dies vor allem an einer unterschiedlichen Zusammensetzung der sozialen Milieus in Ost und West. "Den größten Zuspruch bekommen die Grünen in den urbanen Milieus der gehobenen Mittelschicht", so Eith. Und die finde man im Osten weit weniger als im Westen.

Hinzu kommt, dass die Bevölkerung im Osten vielerorts älter ist als im Westen. In Bautzen lag das Durchschnittsalter 2019 bei 48,4 Jahren, in Heidelberg bei nur 40,4. Und die Grünen kommen vor allem bei jungen Menschen gut an. Bei der Europawahl 2019 gaben 34 Prozent der Wählenden unter 25 Jahren den Grünen ihre Stimme. In der Altersgruppe über 60 waren es hingegen nur zwölf Prozent.

In der Altstadt seiner Heimat Heidelberg hat Nicolá Lutzmann kein Problem, seine Flyer loszuwerden. Lutzmann ist Biologe, sitzt im Gemeinderat und ist Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Ökologie. 38 Prozent der Wähler stimmten in Heidelberg bei der letzten Landtagswahl für die Grünen. Zuspruch gibt es hier aus allen Altersklassen. "Ich bin 82 Jahre alt, und es sind nicht nur die Jungen, die die Grünen wählen. Meine Generation ist gut vertreten", sagt ein älterer Bürger.

In Baden-Württemberg längst eine Volkspartei

In Baden-Württemberg sind die Grünen längst zu einer Volkspartei geworden, regieren das Land seit über zehn Jahren – seit 2016 zusammen mit der CDU. Die Grünen gelten hier als pragmatisch, kompromissbereit und wirtschaftsnah. Eine Partei der "Realos".

Dieses Erfolgsrezept ist den Aktivistinnen von "Fridays for Future" zu wenig. Auf der Neckarwiese im Stadtzentrum haben sie ein "Klima Camp" organisiert. Ihr Protest soll auf den Zusammenhang zwischen Klimawandel und globaler Ungerechtigkeit aufmerksam machen. Die junge Klimabewegung ist eigentlich eine Verbündete der Grünen. Doch für Leonie Rath und Line Niedeggen machen auch die Grünen zu viele Kompromisse bei den Themen Klima- und Asylpolitik. Eine Koalition der Grünen mit der Union, so wie in  Baden-Württemberg, lehnen sie ab.

"Nach 16 Jahren CDU/CSU dürfte eine Koalition mit den Grünen ausgeschlossen sein. Ich verstehe ich nicht, wie man da noch sagen kann: Na gut, dann gucken wir halt noch mal von Neuem", sagt Leonie Rath. "Aber was wäre die Konsequenz daraus? ", antwortet Nicolá Lutzmann. "Dass die Grünen nicht mit in der Regierung sitzen und das noch viel weniger Inhalte durchkommen?" Leonie Rath kann er damit nicht überzeugen. Sie will lieber die Linke wählen.

Ob die Grünen überhaupt an einer Koalition beteiligt sein werden, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Mit der CDU will Annalena Baerbock eigentlich nicht regieren, genauso wenig mit der Linken. Und damit es für rot-grün reicht, müsste die Partei noch einiges an Wählern mobilisieren – im Osten wie im Westen.

Quelle: MDR exakt/ mpö

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 22. September 2021 | 20:15 Uhr

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