Bundestagswahl Kohleausstieg: Was die Menschen in der Lausitz vor der Wahl bewegt

23. September 2021, 05:00 Uhr

In den bundesweiten Umfragen zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CDU ab. Im Wahlkreis Bautzen I heißt es zur Bundestagswahl eher CDU gegen AfD. Doch was treibt die Wähler in der Lausitz um – und welche Schwerpunkte setzen die Direktkandidaten der Parteien?

Roland Ermer steht in letzter Zeit etwas später als üblich in seiner Backstube. Der Wahlkampf für den Bundestag kostet viel Zeit und Kraft. Der Bäckermeister ist Direktkandidat für den Wahlkreis Bautzen I. Doch dass er dabei für die CDU antritt, erwähnt er kaum. Auf seinen Plakaten muss man das Parteilogo suchen. "Die bisherige Bundespolitik habe ich ja noch nicht mit zu verantworten. Ich bin weder im Bundestag gewesen, auch nicht im Landtag", sagt er. Es habe einige Dinge gegeben, die nicht gut bei den Bürgern angekommen seien. Nun gehe es darum den Wahlkreis zurück zu gewinnen.

Im Landkreis Bautzen tritt Roland Ermer wieder gegen Karsten Hilse von der AfD an – ebenso wie bei der Bundestagswahl 2017. Damals hatte der Polizist Karsten Hilse überraschend das Direktmandat geholt – mit 33 Prozent der Erststimmen. Die CDU mit Roland Ermer verlor damals im Wahlkreis knapp 19 Prozentpunkte. Dass seitdem der AfD-Mann den Wahlkreis Bautzen I im Bundestag vertritt, gefällt dem Konservativen gar nicht.

CDU-Kandidat kritisiert AfD-Mann

"Es kann nicht sein, dass da einer so polarisiert, das muss sich einfach ändern", sagt Roland Ermer. Hilse habe teils Dinge getan, die eines Volksvertreters nicht würdig gewesen seien. "An der B 96 unter der schwarz-weiß-roten Flagge zu stehen oder sich festnehmen zu lassen in Berlin."

Im Bundestag machte der AfD-Mann vor allem als Leugner des Klimawandels durch CO2 Ausstoß von sich reden und mit seiner Nähe zur Querdenker Szene, die in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Bei einer Demo gegen das Infektionsschutzgesetz wurde er im November 2020 vor dem Reichstag festgenommen. Gegen ihn wird wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt ermittelt. Er ist aktiv bei der corona-kritischen Bewegung "Eltern stehen auf" genauso wie bei den Protesten entlang der B96, an denen viele Reichsbürger und Rechtsextreme teilnehmen.

Das große Thema von Karsten Hilse ist der Ausstieg aus der Braunkohle. Das treibt im Lausitzer Revier viele Menschen um. Hilse sagte bei einem Wahlforum der Landeszentrale für Politische Bildung in Hoyerswerda: "Wir sind dafür, diesen Kohleausstieg nicht durchzuführen." An dem Forum nahmen  am 15. September alle Direktkandidatinnen und -kandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien teil: Neben den beiden Favoriten von CDU und AfD sind Caren Lay von der Linken, Lukas Mosler von den Grünen, Kathrin Michel von der SPD und Matthias Schniebel von der FDP da.

Ausstieg aus der Kohle bewegt viele Menschen

"Wenn dieser Kohleausstieg durchgezogen wird, dann prognostiziere ich, dass diese Stadt wieder auf das Maß herunter schrumpft, wie es vor 1955 war", sagte Karsten Hilse. Damals habe Hoyerswerda vielleicht noch 8.000 Einwohner gehabt. Derzeit sind es noch rund 30.000. "Weil, wenn die Kohle geht, gehen auch die Menschen", so Hilse.

Der AfD-Mann spricht damit bekannte Ängste an, denn viele haben in der Region den heftigen Strukturbruch nach der Wende erlebt. Rund 80.000 Menschen arbeiteten am Ende der DDR in der Lausitzer Braunkohleindustrie. Große Teile davon wurden von einem Tag auf den anderen dichtgemacht – andere Branchen folgten. Es war ein Schock für die Bevölkerung. Die Folge: massive Abwanderung. Allein die Stadt Hoyerswerda verlor nach 1990 mehr als die Hälfte ihrer Bevölkerung.

Hausbau trotz unsicherer Zukunft

Doch wie sieht es heute aus? Im Industriepark Schwarze Pumpe wird unter anderem Braunkohle im Kraftwerk verstromt und in der Brikettfabrik verarbeitet. Bei der Lausitzer Energie und Bergbau AG (LEAG) arbeiten insgesamt noch 7.400 Menschen. Die LEAG-Tochter-Firma TSS Logistik transportiert Briketts und Kohlestaub. Dieses Unternehmen hat rund 350 Mitarbeiter.

Viele von ihnen sind ebenfalls der Auffassung: Der Ausstieg müsste rückgängig gemacht werden, erzählt Jürgen Kaulfuß. "Es sind ja auch viele Jüngere dabei, die nicht das Glück wie ich haben, jetzt in Rente zu gehen." Die könnten nur durchhalten und hoffen, dass es doch noch besser wird. "Irgendwann werden sie merken, dass die Kohle noch gebraucht wird."

Der Kraftfahrer Marcel Molch gehört mit seinen 35 Jahren zu den Jüngeren in der Belegschaft. Er arbeitet seit 20 Jahren bei TSS. Heute ist er Betriebsratsvorsitzender. Doch auch wenn er 2038 nicht mehr das tun werde, was er derzeit tue, "werden wir etwas machen. Davon bin ich überzeugt."

Ein Beleg für diese Überzeugung: Marcel Molche baut mit seiner Frau gerade ein Haus – in Sichtweite des Kraftwerks Schwarze Pumpe. Sie haben sich für diese Investition entschieden, obwohl beide in der Kohle beschäftigt sind. Nicole Molch arbeitet in der Disposition bei TSS.

Landkreis Bautzen: Die Bevölkerung nimmt weiter ab    

"Wir haben das beide lange diskutiert", sagt Marcel Molch. Sie hätten sich dazu entschlossen, mutig zu sein. "Wir vertrauen aber auch darauf, dass das, was aktuell in verschiedenen Gesetzen unterschrieben wurde, auch nach den Bundestagswahlen eingehalten wird. Dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass die Lausitz nicht abgehangen wird."

Der Landkreis Bautzen ist fast so groß wie das Saarland, es leben aber nur 300.000 Menschen hier. Die Arbeitslosenquote liegt bei 5,3 Prozent und es herrscht Fachkräftemangel. Die Bevölkerung nimmt weiter ab, denn der Nachwuchs fehlt. In Bischofswerda wurde vor vier Jahren die Geburtsstation wegen Personalmangels geschlossen.

Vor dem Lausitzklinikum in Bischofswerda hat Caren Lay von der Linken ihren Wahlkampfstand aufgebaut: "Wir setzen uns für ein auskömmliches Gesundheitssystem ein. Mehr Geld für die Gesundheit, mehr Personal", erklärt sie. Caren Lay ist seit 2009 Bundestagsabgeordnete der Linken für den Wahlkreis Bautzen I, über die Liste gewählt. 

Bei ihrem Wahlkampf wird sie an diesem Tag von Allgemeinmedizinerin Ingrid Heyser unterstützt. Sie ist 70 Jahre alt und hat die Konsequenzen des Strukturwandels nach der Wende miterlebt:

Dadurch, dass die ganze Industrie weggebrochen ist, sind auch die Ausbildungsmöglichkeiten weggebrochen. Uns fehlt praktisch eine ganze Ausbildungsgeneration, die rübergegangen ist.

Ingrid Heyser

AfD: Von der Protestpartei zum Establishment?

Das Gefühl des Abgehängtseins habe der AfD bei der vergangenen Bundestagswahl genützt, findet Caren Lay. Doch inzwischen habe sich die Partei in der Region Bautzen etabliert. Es habe sich ein Milieu gefestigt, dass in der "AfD auch ihr Sprachrohr sieht und dass das, was die AfD tut, nämlich vor allen Dingen über Migranten und über Wölfe schimpfen, eigentlich ausreicht". Denn wenn die Menschen weiterverfolgen würden, was die Bundestagsabgeordneten tun, dann würden sie sehen, dass sich ihr "direkt gewählter Kandidat gar nicht so für die Interessen in der Region engagiert hat".

"Die AfD ist hier stark, weil viele nicht wissen, was sie sonst wählen sollen und Unmut haben", sagt Henry Weiher. Er ist zusammen mit seiner Lebenspartnerin Ivonne Nowak in deren Heimatstadt Hoyerswerda gezogen, nachdem beide mehrere Jahre im Westen Deutschlands gelebt und gearbeitet hatten. Viele in der Region fühlten sich abgehängt und "haben noch nicht verstanden, dass wir in einem Wandel sind".

Der 35-Jährige sieht dort auch nach 2038 – wenn die Braunkohleindustrie wegbricht – Perspektiven. "Wir haben hier unsere Wurzeln, hier unser Büro, hier unsere Wohnung zu einem Preis, der nicht so extrem hoch ist wie in der Großstadt", sagt Henry Weiher. Doch die Bundestagswahl bereitet dem jungen Paar dieses Mal Kopfzerbrechen: "Ich kann mich persönlich nicht entscheiden, zu wem ich tendiere, wer mich überzeugt. Das ist dieses Jahr Tatsache schwierig", sagt Ivonne Nowak.

CDU war in Sachsen einst unangefochten

Die CDU, einst unangefochtene stärkste, politische Kraft in Sachsen, schwächelt, weil die Wähler offenbar lieber Friedrich Merz oder Markus Söder als Kanzlerkandidaten gesehen hätten. Henry Weiher hält CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet im Osten für eine Fehlbesetzung: "Ich kann mir gut vorstellen, dass es daran liegt. Er hatte viele Momente wo er nicht souverän wirkte und ich glaube, dass verzeihen die Leute dann nicht so schnell."

Der AfD-Mann Karsten Hilse hätte sich vor vier Jahren "nicht im Traum einfallen lassen, das Direktmandat zu holen", sagt er an seinem Wahlstand in Bautzen. Doch nun wolle er das natürlich verteidigen. Doch wie gut sind seine Chancen? "Also die Leute, die hier vorbeikommen sind natürlich ist natürlich nicht repräsentativ", sagt Hilse. Ansonsten glaube er aber, dass "die Leute wirklich die Nase voll haben von der Politik, also von DER Politik."

Auch CDU-Kandidat Roland Ermer weiß, dass es knapp wird. Er kämpft um jede Stimme, klappert so viele Orte wie möglich ab. Heute ist er in Bautzen: "Vor vier Jahren gab es gerade hier an der Stelle massivste Beleidigung", sagt er. Nach dem Motto: die CDU habe alles kaputt gemacht. Dann habe er gesagt: Schaut doch, wie schön es in Bautzen geworden ist. "Es war einfach nur eine abwehrende Stimmung. Das ist in diesem Jahr anders."

Quelle: MDR exakt

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 22. September 2021 | 20:15 Uhr

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