Warnstreiks Wirtschaft wirft Verdi politische Streiks vor - Ökonomen widersprechen
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09. März 2023, 05:00 Uhr
Zum internationalen Frauentag hat die Gewerkschaft Verdi zum wiederholten Mal mit politischen Gruppierungen zusammen gestreikt. Unternehmervertreter werfen Verdi politischen Streiks vor. Diese sind in Deutschland verboten. Das Institut für Wirtschaft in Köln spricht eher von einer rechtlichen Grauzone.
- Das Institut für deutsche Wirtschaft in Köln sagt, Verdi bewege sich mit seinen gemeinsamen Aktionen rechtlich in einer Grauzone.
- Der Bundesverband DER Mittelstand kritisiert das Vorgehen der Gewerkschaft scharf.
- Der Politologe Alexander Gallas sagt, die gemeinsamen Proteste seien kein rechtswidriges Verhalten.
Leipzig am Vormittag des 8. März: Verdi hat zum Streiktag aufgerufen. Um 11 Uhr startet am Volkshaus in der Karl-Liebknecht-Straße eine Demonstration. Die Streikenden marschieren zum Markt. Am Nachmittag wird dort der Verdistreik zusammen mit der Demo des feministischen Frauentags-Bündnisses "8M" fortgesetzt.
Ähnliche Szenarien auch in Jena, Halle oder Zwickau. Eine Vermischung mit politischen Zielen sei das nicht, sagt Gewerkschafterin Katharina Raschdorf. Wir erreichen sie am Telefon bei der Kundgebung in Leipzig: "Wir befinden uns gerade in Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst und außerhalb der Friedenspflicht. Und für genau diese Forderungen gehen die Kolleginnen und Kollegen auf die Straße."
Verdi sieht sich im Bund mit Zivilgesellschaft
Raschdorf sagt, wer einen besseren ÖPNV möchte, der brauche gutes Personal dafür und da bilde man natürlich mit der Zivilgesellschaft eine Allianz. Aber es sei kein politischer Streik, sagt die Gewerkschafterin, sondern man befände sich in Tarifverhandlungen außerhalb der Friedenspflicht.
Eine Friedenspflicht kann innerhalb eines laufenden Tarifvertrags gelten oder wenn sie in einem Tarifstreit von beiden Seiten vereinbart wurde, etwa um eine Schlichtung abzuwarten. Von einem politischen Streik wird gesprochen, wenn Beschäftige ihre Arbeit niederlegen, um Ziele außerhalb ihres Arbeitsverhältnisses zu erreichen. Das ist rechtswidrig, hat 1952 das Bundesarbeitsgericht entschieden.
Ökonomen sprechen von rechtlicher Grauzone
Trotzdem können in der Praxis oft keine klaren Grenzen gezogen werden, sagt Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln: "Möglicherweise liegt hier schon so eine Art Grauzone vor. Es ist schwer, das juristisch zu fassen. Dazu kommt, dass die Gewerkschaften natürlich mit dem Zusammengehen mit außerparlamentarischen Gruppen auch neue Mitglieder ansprechen wollen."
Und auch das sei natürlich fraglich, sagt Lesch. Denn der Streik gelte ja eigentlich dazu, ein tarifpolitisches Ziel durchzusetzen und nicht, um Mitglieder zu gewinnen. Man wolle ja nicht französische Verhältnisse haben, wo politische Dinge mit tarifpolitischen Fragestellungen vermischt werden.
DER Mittelstand kritisert das Vorgehen der Gewerkschaft
Ähnlich kritisch sehen das auch die Arbeitgeber der mittelständischen Wirtschaft. Sie beobachten die Entwicklung schon seit längerem mit Groll. Dazu sagt Markus Jerger, der Vorsitzende vom Bundesverband DER Mittelstand: "Ich würde mal sagen, jetzt reichts. Wenn sich Aktivismus und politische Forderungen am Ende auf der Straße vereinen, dann sehe ich eine große Gefahr für die Zukunft."
Den konstruktiven Weg, den man jetzt gehen müsse, und zwar gemeinsam, der komme durch solche Aktionen auf jeden Fall auf Abwege, sagt Jerger. Die politischen Streiks würden im Übrigen auch die Unternehmen und die deutsche Wirtschaft gefährden und damit am Ende die Beschäftigten. Gerade jetzt, wo man eine so dringende Transformation und eine Erholung der Wirtschaft brauche.
Politologe: Vorgehen nicht rechtswidrig
Wissenschaftlich gesehen lassen sich die Aktivitäten im öffentlichen Dienst nicht als rechtswidrig einordnen, meint der Politologe Alexander Gallas von der Universität Kassel. Er hat ein Buch über politische Streiks in Europa geschrieben. Gallas erklärt, wenn man über den öffentlichen Dienst rede, haben man es ja eigentlich schon immer mit politischen Fragen zu tun.
Denn die Frage, wie viel Geld in den öffentlichen Dienst gehe, welche Leistungen angeboten würden, hänge unmittelbar damit zusammen, wie da gearbeitet werde.
Gallas meint: "Das heißt eine saubere Trennung zwischen Politik und Ökonomie ist meines Erachtens nicht möglich." Anders sei die Lage zum Beispiel in der Automobilindustrie. Wenn da gestreikt werde, würden grundlegende ökonomische Ziele nicht politisch entschieden.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 09. März 2023 | 06:00 Uhr