Interview mit Autorin der WISKOS-Studie Was China von einem Spion beim Europaabgeordneten Krah erfahren könnte
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13. Mai 2024, 16:50 Uhr
Prof. Esther Bollhöfer unterrichtet an der FOM-Hochschule Wirtschaftsrecht. Sie war Autorin der sogenannten Studie "Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung in Deutschland und Europa". Diese sogenannte WISKOS-Studie wurde 2018 abgeschlossen, das Thema aber beschäftigt sie immer noch. Schon vor sechs Jahren hat sich gezeigt, dass Wirtschafts- und Industriespionage zunehmen. Warum das so ist und welche Daten von einem Europa-Abgeordneten für China interessant sein könnten, erläutert sie hier.
- Wirtschafts- und Industriespionage nehmen stark zu - nicht nur digital, sondern auch aus den Unternehmen, aus Organisationen heraus.
- Informationen aus den Ausschüssen sind "Gold wert".
- Spionage kaum zu verhindern - Faktor Mensch "Riesenproblem" und zugleich wichtig für den Austausch.
MDR investigativ: Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Bollhöfer, welche Spionageformen nehmen seit 2018 weiter zu?
Prof. Esther Bollhöfer: Wir sehen es ja bei Unternehmen, dass sowohl Wirtschaftsspionage als auch Industriespionage jeweils stark zunehmen. In Unternehmen um technologisches Know-how mitzunehmen, aber auch um strategisches Know-how abzuziehen. Und natürlich auch überall dort, wo ansonsten strategische Informationen kursieren, insbesondere, wenn wir in Organisationen denken, Staatsapparate, die EU und so weiter. Das sind viele beliebte Ziele für das Thema Wirtschaftsspionage, wo ganz viele Informationen fließen. Und sie beschränkt sich lange nicht nur auf den Cyber-Bereich. Schon bei der WISKOS-Studie hat sich gezeigt, dass das Thema Innentäter ein ganz starkes Thema ist, also sowohl für Unternehmen als auch, wie wir es jetzt in der EU gesehen haben, von Mitarbeitern und anderen Personen. Einfach weil sobald ein gewisses Vertrauensverhältnis da ist, ist der Zugang zu Informationen natürlich viel, viel einfacher, als ich ihn mir über irgendwelche Cyber-Netzwerke verschaffen kann.
Welche Informationen kann man aus einer Quelle wie einem akkreditierten Assistenten beim AfD-Europaparlamentarier Maximilian Krah gewinnen?
Ganz, ganz viele. Wenn wir schauen, in welchen Ausschüssen Krah gesessen hat und zu welchen Materialien entsprechend dann sein Büro und damit auch sein Mitarbeiter Zugang hatten: Er war im Ausschuss für Handel. Was aber viel interessanter ist, er war im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten. Er war im Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung. Er war in der Delegation zu den USA-Beziehungen, was natürlich auch für China nicht uninteressant ist, wie die EU und die USA zusammenarbeiten. Und es gab diese – ich glaube, internen Diskussionsforen – da ging es einmal um Beziehungen zu den Drittstaaten, aber auch um Sanktionspläne der EU gegen China. Ja, und da ist auch klar, was man da alles mitnehmen könnte: Wer vertritt da welche Meinung auch innerhalb der EU?
Für China ist es doch interessant zu identifizieren, welche Personen sie gezielt beeinflussen können, wenn es darum geht, vielleicht gegen Sanktionen zu stimmen oder Sanktionen abzumildern oder ähnliches. Und wenn er da an die internen Informationen kommt, die Gesprächsprotokolle, wer sich kritisch äußert oder wer vielleicht eher eine pro-chinesische Rolle einnimmt, welche Machtverhältnisse in Diskussionsforen herrschen; was da alles dokumentiert wird, was der EU bekannt ist, weshalb Sanktionen verhängt werden sollen, et cetera, das sind Informationen, die sind Gold wert. Das ist einfach eine riesige Dimension, die das einnimmt.
Gibt es Möglichkeiten der Prävention oder ist man Spionageaktivitäten hilflos ausgeliefert?
Es gibt schon valide Mittel und Möglichkeiten an der Stelle. Normalerweise sollten auch alle Mitarbeiter, die im EU-Parlament Zugriff auf diverse Sitzungen und Büros haben, vorher überprüft werden. Wobei diese Überprüfung eben ja oft eine schematische ist. Und es gibt aber auch tiefere Überprüfungen, die insbesondere angestoßen werden durch die Landeskriminalämter oder das Bundeskriminalamt, wo dann eine Hintergrundüberprüfung zu bestimmten Personen stattfindet.
Warum hat die Verhaftung erst jetzt stattgefunden?
Angesichts der Menge der wissenschaftlichen Mitarbeiter, die jeder Politiker inzwischen mitbringt und angesichts des schnellen Wechsels (..) ist meine Vermutung, dass das vielleicht manchmal ein bisschen in den Hintergrund gerät. Das man erst wieder wachgerüttelt werden muss durch so einen Fall (..) Weil die Büromitarbeiter und die Abgeordneten Zugriff auf Dokumente haben. Aus Sicherheitsgründen zum Beispiel werden diese Dokumente nicht elektronisch verteilt, sondern liegen in gesicherten Räumen in Papierform auf dem Tisch, dürfen da von den Abgeordneten eingesehen werden. Die dürfen nicht fotografiert werden, die dürfen nicht mitgenommen werden. Die werden nicht per E-Mail verteilt, und das sind ja schon Sicherheitsgründe. Nur wenn sich dann da jemand Notizen macht, die mitnimmt und die dann abends wo anders hin schickt, ist das relativ schwierig nachzuvollziehen. Wenn ich schnell schreiben kann oder Steno, dann kann ich das wunderbar mitnehmen. Was wollen Sie noch mehr an Sicherheitsmaßnahmen machen, außer zu sagen, das ist physisch auf diesen Raum begrenzt? Und Handys dürfen nicht mit reingenommen werden.
Glauben Sie, dass die vier Haftbefehle diese Woche im Vorfeld der Europawahlen einen politischen Hintergrund haben?
Ich würde das nicht auf die Wahl zurückführen. Ich würde sagen, diese Fälle hat es schon gegeben. Und man ist natürlich jetzt sensibler, weil man eben auch gewisse Parteien stärker unter Beobachtung stellt. Nein, wir sind durch das Ganze, das, was rund um die AfD passiert ist, und durch die – ja mehr oder weniger Enthüllungen – in dem Umfeld, sind wir sehr sensibilisiert worden. Dass da vielleicht auch auf der politischen Bühne Themen diskutiert werden, die eigentlich nichts mit unserer Demokratie zu tun haben oder die demokratiefeindlich sind. Und dadurch hat man genauer hingeguckt, wer ist da überhaupt? Und was machen die überhaupt? Und wer geht da rein? Und wer geht da raus? Immer, wenn man genauer hinguckt, findet man auch mehr. Das ist wie bei einer medizinischen Untersuchung.
Kann man das verhindern?
Ich glaube nicht, dass man das verhindern kann, weil wir diesen politischen Apparat brauchen. Wir brauchen die Mitarbeiter. Wir brauchen das Know-how, das da auch im Austausch letztlich entsteht. Und wir können ja nicht bestimmte Gruppen ausschließen. Und dass wir durch den Faktor Mensch ein Riesenproblem haben, gerade Wissensabfluss, aber auch ansonsten alle anderen Spionageformen, das ist etwas, das kann man durch keine vorherige Auswahl komplett eingrenzen.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 25. April 2024 | 21:45 Uhr