
26. März Bundesverfassungsgericht entscheidet über den Solidaritätszuschlag
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24. März 2025, 16:11 Uhr
Einmal mehr muss das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch über den Solidaritätszuschlag entscheiden. Ob und wie es diese Ergänzungsabgabe erneut bestätigt, ist auch für die neue Regierung durchaus wichtig.
- FDP-Klage birgt 78-Milliarden-Euro-Risiko für den Bundeshaushalt.
- Frühere Soli-Klagen wurden abgewiesen – Ausgang jetzt aber offen.
- Worüber das Bundesverfassungsgericht konkret entscheidet
Schon 2020 hatten sechs FDP-Politiker den von Union und SPD im Jahr 2021 nochmals reformierten Solidaritätszuschlag per Verfassungsbeschwerde ein weiteres Mal nach Karlsruhe befördert. Mehr als vier Jahre später steht jetzt die Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht an.
Aktenzeichen: 2 BvR 1505/20
Der Ausgang ist offen. Das Gericht könnte solche Ergänzungsabgaben ein für alle Mal von Befristung oder Zweckbindung freisprechen. Es könnte aber auch Vorgaben für ihre Fortführung machen, wobei es als weniger wahrscheinlich galt, dass es den Soli so ganz einfach kippt. Dass sich das Gericht in Karlsruhe sein Urteil darüber nicht leicht gemacht hat, hat das Verfahren gezeigt.
Für den Bund könnte das teuer werden
Bekämen die FDP-Politiker jetzt vollständig Recht, müsste der Bund für die Zeit ab 2020 rund 65 Milliarden Euro zurückzahlen. Zudem fielen Einnahmen von 12,75 Milliarden Euro im Haushalt 2025 und in Zukunft weg, womit sich für jede neue Bundesregierung gleich zum Start und noch in diesem Jahr ein ungeplantes Haushaltsloch von fast 78 Milliarden Euro öffnen könnte.
Finanzministerium verteidigte den Soli kaum
Trotzdem hat das Bundesfinanzministerium seine nicht unbedeutende Einnahme-Quelle in dem Verfahren kaum verteidigt. Zwar war es noch unter Olaf Scholz als Finanzminister im Juni 2021 dem Verfahren beigetreten.
Als aber im Dezember FDP-Chef Christian Lindner als Finanzminister der neuen Ampel-Regierung übernommen hatte, standen dessen Mitarbeiter plötzlich auf beiden Seiten: Sein parlamentarischer Staatssekretär Florian Toncar und seine Staatssekretärin im Ressort, Katja Hessel, gehören zu den Klägern.
Neben zwei weiteren sind es Alexander Graf Lambsdorff, jetzt Botschafter in Russland, und der mögliche neue FDP-Chef Christian Dürr. Schon länger stand die Soli-Abschaffung ja auch in FDP-Wahlprogrammen. Und obwohl im jüngsten "besondere wirtschaftliche Herausforderungen" im Osten ein Thema waren, wurde der Soli in Karlsruhe von der Partei abgelehnt, da es keinen Sonderbedarf mehr für den Aufbau Ost gebe.
Darum, so die Kläger, verletze die Soli-Fortführung nun das Grundrecht auf Eigentum in Artikel 14 und sei zudem unzulässig ungleich, weil jetzt nur noch Gutverdienende den Soli zahlen müssen, die progressive Einkommensteuer aber soziale Unterschiede schon berücksichtige. Seit 2021 sei der Soli deshalb auch nur noch eine "versteckte Reichensteuer", erklärten die Kläger.
In einem ähnlichen Verfahren beim Bundesfinanzhof in München 2023 überließ das FDP-Finanzministerium dann dem beklagten Finanzamt die Soli-Verteidigung, wobei ein hessisches Ehepaar ihn trotzdem nicht kippte.
Pro Soli: Mit neuem "Sonderbedarf" des Bundes
Bei der Verhandlung in Karlsruhe am 12. November 2024 – sechs Tage nach der Entlassung von Lindner als Finanzminister durch Kanzler Scholz und dem Ampel-Aus in Berlin – argumentierten pro Soli dann Vertreter von SPD und Grünen: Mit Kosten der Einheit und vielen neuen Sonderbedarfen des Bundes für Infrastruktur, Verteidigung, Ukraine-Hilfen und Klimaschutz. Und dass ihn nur noch Gutverdienende zahlten, sei vom Sozialstaatsgebot gedeckt.
Beschwerden immer wieder abgewiesen
Der Solidaritätszuschlag ist schon öfter beklagt worden, auch vor Gericht. Schon vor 20 Jahren wurde er mit Hilfe vom Bund der Steuerzahler bis nach Karlsruhe gebracht. Westdeutsche Eheleute sahen darin eine spätestens seit 2002 verfassungswidrige Sondersteuer. Das lehnte der Bundesfinanzhof ab und die Verfassungsbeschwerde dagegen kam nicht zur Entscheidung.
Danach hielt dann das Finanzgericht in Niedersachsen den Soli spätestens seit 2007 für verfassungswidrig. Doch 2010 erklärte das Bundesverfassungsgericht, dass eine solche Ergänzungsabgabe aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht befristet werden müsse.
Im Jahr darauf bestätigte wiederum der Bundesfinanzhof (BFH) den Soli. Erneut hatten Kläger, eine Anwältin und eine GmbH, dessen dauerhafte Eintreibung angefochten.
Zuletzt bestätigte der BFH im Januar 2023 den Soli für 2020 und 2021. Der Gesetzgeber habe viel Spielraum und könne ihn durchaus auf hohe Einkünfte beschränken, hieß es. Zwar könne eine Ergänzungsabgabe verfassungswidrig werden, wenn sich für ihre Einführung maßgebliche Verhältnisse änderten. Ein Mehrbedarf des Bundes bei der Bewältigung einer "Generationenaufgabe" könne aber auch für sehr lange Zeit bestehen. Wobei der BFH hier allerdings doch nahelegte, dass der Gesetzgeber das regelmäßig überprüfen sollte.
So ist jetzt offen, ob das Bundesverfassungsgericht dieses Mal seiner bisherigen Linie ohne weiteres folgt. Beobachter der mündlichen Verhandlung im November berichteten von lebhaften Debatten und Nachfragen, ob denn Lasten bei Bildung, Bürgergeld, Rente oder Energieversorgung im Osten noch immer Folgen der 1990 beendeten deutschen Teilung sein könnten.
Es geht um Grenzen der Ergänzungsabgabe
Die Frage nach Befristung und Zweckbindung der Ergänzungsabgabe ist demnach Kern auch des aktuellen Verfahrens. Im Grundgesetz firmiert der "Solidaritätszuschlag" als Ergänzungsabgabe, eingeführt 1955 in Artikel 106 nach Erfahrungen beim Wiederaufbau in Westdeutschland mit "einmaligen Vermögensabgaben", Abgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz des Bundes und der den Ländern zustehenden Vermögens- und Erbschaftssteuern.
Die erste gab es 1968 in der ersten Rezession seit dem Wirtschaftswunder, und schon 1972 entschied Karlsruhe, dass sie nicht befristet werden oder nur einem Zweck dienen müsse. Daran erinnerte jetzt die Vorsitzende Richterin Doris König in der Verhandlung: Damals habe der Senat erklärt, eine Ergänzungsabgabe müsse "nicht von vornherein befristet" sein und könne auch sozialen Erwägungen folgen.
Ob sie mit dem Wegfall ihrer Voraussetzungen aber entfallen müsse, habe das Gericht damals ausdrücklich offen gelassen, erläuterte König im November und dabei zudem, dass es jetzt auch darum gehe, ob die Deutsche Einheit weiterhin zusätzliche Mittel benötige.
Erster Zweck war nicht der Aufbau Ost
Dabei wurde die als "Soli" bekannte Ergänzungsabgabe 1991 für ein Jahr befristet eingeführt, um einen Teil der Kosten des Golfkriegs zu tragen, den die USA von Januar bis März nach dem Einmarsch des Iraks unter Saddam Hussein in Kuweit führten. Begründet wurde er aber auch mit Mehrbedarf "für die Unterstützung der Länder in Mittel-, Ost- und Südeuropa" und erst an dritter Stelle mit "zusätzlichen Aufgaben in den neuen Bundesländern".
Der Solidaritätszuschlag wurde von Mitte 1991 bis Ende Juni 1992 erhoben, dann ab 1995 neu mit der Begründung: "Zur Finanzierung der Vollendung der Einheit Deutschlands ist ein solidarisches finanzielles Opfer aller Bevölkerungsgruppen unausweichlich". Bis 1997 lag der Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftssteuer bei 7,5 und seit 1998 bei 5,5 Prozent für alle Steuerzahler, auch im Osten. Im Koalitionsvertrag 2018 vereinbarten Union und SPD dann eine Streichung für rund 90 Prozent, die 2021 umgesetzt wurde. Aktuell zahlen ihn Kapitalanleger und Gutverdienende, etwa sechs Millionen Menschen, und gut 600.000 Unternehmen. Den vollen Satz 2024 zahlte ein Single ab einem Jahreseinkommen von über 100.000 Euro.
Hauptsächlich hatte die Regierung unter Helmut Kohl (CDU) aber die teilungsbedingten Lasten mit deutlich höheren Staatsschulden finanziert. Vor Gericht bezweifelt wurde deshalb auch jetzt, dass die Erhebung des Soli etwa an den 2019 ausgelaufenen Solidarpakt II gebunden war.
Soli-Befürworter sahen im Grundgesetz keine Zweckbindung für eine Ergänzungsabgabe. Der Gesetzgeber sei da frei, was auch Karlsruhe schon bestätigt habe. Soli-Gegner dagegen forderten einmal mehr die Begrenzung der Ergänzungsabgabe auf einen vorübergehend höheren Finanzbedarf des Bundes. Sei der erledigt, werde sie verfassungswidrig. Auch dürfe ihre Begründung nicht immer nachträglich verändert werden. Darüber jedoch entscheidet nun das höchste deutsche Gericht – vielleicht endgültig.
mit u.a. LTO, MDR AKTUELL
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 26. März 2025 | 11:00 Uhr