Messerangriffe Nach Solingen und Mannheim: Was verspricht die Politik und was tut sie wirklich?

29. August 2024, 08:14 Uhr

Nach tödlichen Messerangriffen in Deutschland sucht die Politik Lösungen. Sind die Täter Ausländer, geht es dabei meist um die Migrationspolitik. Ein Überblick zu den diskutierten Maßnahmen, bereits beschlossenen Gesetzesänderungen und offenen Fragen. Einfache Antworten gibt es nicht.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Andreas Sandig
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Die Politik in Deutschland reagiert nach Terroranschlägen oder Attentaten wie in Solingen stets ähnlich: auf Betroffenheit folgen Ankündigungen und Forderungen, damit sich so etwas nicht wiederholen kann. Wenn bei Messerangriffen wie dieses Jahr in Mannheim der Täter aus Afghanistan stammt und der mutmaßliche Täter in Solingen aus Syrien, steht sofort die deutsche Migrationspolitik im Mittelpunkt. Islamistischer Terror, Attentate radikalisierter Einzeltäter und Messerstechereien unter Jugendlichen werden in der Wahrnehmung oft vermengt, die konkreten Tatumstände geraten aus dem Blick.

Die Rezepte von Politik und Behörden konzentrieren sich auf harte Bestrafung, Forderung nach Abschiebung krimineller Ausländer, Grenzkontrollen, Zuwanderungsbeschränkung oder auf ein strengeres Waffenrecht.

Abschiebungen und Asyl im Spannungsfeld von EU- und Völkerrecht

Der Bundestag hat mit Mehrheit der Ampel-Koalition im Januar 2024 ein Gesetz für vereinfachte Abschiebungen beschlossen. Das Messerattentat Ende Mai in Mannheim befeuerte dann die Debatte erneut. Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilte damals den Anschlag eines Afghanen als Ausdruck des menschenfeindlichen radikalen Islamismus und sagte im Bundestag: "Migranten, die schwerste Straftaten begehen, gehören abgeschoben, auch wenn sie aus Syrien oder Afghanistan stammen." Scholz mahnte zugleich, 20 Millionen Menschen in Deutschland dürften jetzt nicht unter Generalverdacht gestellt werden.

Scholz beauftragte Bundesinnenministerin Nancy Faeser, nach "rechtlich und praktisch tragfähigen Wegen" zu suchen, um "Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern zu ermöglichen". Denn die Grünen lehnen Abschiebungen nach Afghanistan ab, weil dort die radikalen Taliban herrschen, ohne Rechtsstaatlichkeit und mit der Todesstrafe. Ähnliche Bedenken gelten auch für das syrische Assad-Regime.

Nach dem Anschlag in Solingen sagte Scholz nun, es müssten die waffenrechtlichen Regelungen verschärft werden, vor allem bei Messern. Das werde "jetzt auch ganz schnell passieren". Zum anderen werde man "alles dafür tun müssen", dass kriminelle Migranten "zurückgeführt und abgeschoben werden". Doch nicht nur die Grünen sehen solche Pläne kritisch. So wies SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert Forderungen nach einem Aufnahmestopp für Schutzsuchende aus Afghanistan und Syrien unter Verweis auf das Grundrecht auf Asyl zurück.

Zudem werden Kürzungen bei Soziallleistungen für Geflüchtete erwogen, doch hier setzt das Bundesverfassungsgericht mit verschiedenen Urteilen Grenzen. Doch der Druck auf die Ampel und auch die Union wächst. Die Union fordert einen harten Schnitt bei der Aufnahme von Geflüchteten – notfalls mit Grundgesetzänderung und deutschem Alleingang gegen EU-Recht. Scholz ist gesprächsbereit, womit der Ampel eine neue Zerreißprobe droht.

Auf EU-Ebene gab es 2024 Bewegung: Nach jahrelangem Streit wurde eine Asylrechtsreform mit strengeren Regeln beschlossen. So soll es künftig Verfahren an den EU-Außengrenzen geben. Die Rücksendung in sichere Drittstaaten soll forciert werden. Asylbewerber können sich in Deutschland nicht mehr auf das Asylrecht berufen, wenn sie über einen Staat eingereist sind, der die Flüchtlings- und Menschenrechtskonvention gewährleistet. Dazu gehören neben EU-Ländern etwa Albanien, Serbien, Kosovo, Georgien, Ghana oder Senegal. Hier die offizielle Liste. Daneben hat Deutschland mit Dutzenden Ländern bilaterale Abkommen zur Rückkehr von ausreisepflichtigen Ausländern geschlossen.

Tausende Abschiebungen aus Deutschland scheitern

Im ersten Halbjahr 2024 sind 14.601 Abschiebungen in Deutschland gescheitert, davon waren 4.952 sogenannte Dublin-Überführungen. Dabei geht es ums Prinzip, wonach Asylanträge in dem Land bearbeitet werden müssen, wo Flüchtlinge EU-Boden betreten haben. Nach Zahlen des Bundesinnenministeriums liegt die Zahl gescheiterter Abschiebungen damit leicht unter dem Niveau von 2023 (im Gesamtjahr: 31.330 Fälle), aber weiter hoch.

Die meisten Abschiebungen scheiterten demnach vor Übergabe an die Bundespolizei, oft weil die Betroffenen nicht angetroffen wurden – wie auch im Fall des syrischen Tatverdächtigen von Solingen. Der 26-Jährige sollte nach Bulgarien zurückgeführt werden, wo er EU-Gebiet erreicht hatte. Doch er wurde nicht angetroffen und die Abschiebung nicht weiter verfolgt. Hier muss noch geklärt werden, wo es Verfahrenslücken und mögliche Fehler der Behörden gegeben hat.

Welche Befugnisse haben die Bundesländer?

Auch im lange festgefahrenen Streit um die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber in Deutschland hat sich was getan. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sieht nach Gesetzesänderungen jetzt verstärkt die Länder in die Verantwortung. Nach dem Anschlag in Solingen sagte sie den Funke-Medien, die Bundesregierung habe im Januar die Grundlagen für mehr Rückführungen geschaffen, damit sich Ausreisepflichtige der Abschiebung nicht mehr entziehen können. Die Länder müssten diese Befugnisse nun vor Ort umsetzen. Dazu gehört:

  • Die Länder können abgelehnte Asylbewerber länger in Gewahrsam nehmen
  • die Polizei erhält mehr Rechte bei Wohnungsdurchsuchungen
  • Asylbewerber müssen im Asylverfahren stärker mitwirken

Faeser sieht auch erste Erfolge: "Die Abschiebezahlen sind im Vergleich zum Vorjahr bereits um rund 20 Prozent gestiegen." Dagegen hält Sachsens Innenminister Armin Schuster die Bundesregelungen für ungenügend. Der CDU-Politiker fordert sofort Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan und wirft den Grünen vor, diese zu blockieren. Nach dem Attentat in Solingen verlangte Schuster auch Verschärfungen beim Asyl- und Waffenrecht in Deutschland. Ähnlich die Reaktion von CDU-Amtskollegin Zieschang in Sachsen-Anhalt.

Grenzkontrollen in Deutschland widersprechen Schengen-Regelung

Bei Grenzkontrollen fahren einige Bundesländer bereits seit Längerem einen eigenen Kurs. In Bayern müssen Autofahrer seit Jahren mit stationären und mobilen Kontrollen an Autobahn- und anderen Grenzübergängen aus Österreich sowie Tschechien und der Schweiz rechnen. Auch in Zügen wird nach illegalen Migranten, Schleusern und anderen Straftätern gefahndet. Die CSU-Regierung hatte nach der Flüchtlingskrise 2015 Grenzkontrollen angeordnet und wiederholt verlängert.

Die Ampel toleriert mittlerweile diese Landesregelungen. Sachsen startete im Oktober 2023 stationäre Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien. Wenige Monate später zog Innenminister Armin Schuster eine erste positive Bilanz. Die CDU-geführte Regierung prüft inzwischen sogar die Gründung einer eigenen sächsischen Grenzpolizei. Das ist umstritten, denn der Schutz von Binnengrenzen ist Aufgabe der Bundespolizei. Auch in Brandenburg gibt es an Grenzübergängen zu Polen Kontrollen. Doch ein MDR-Faktencheck zeigt auch, dass nicht alle Schutzsuchenden einfach an der Grenze abgewiesen werden können.

Beamte der Bundespolizei beobachten an der Autobahn A15, an der Grenze zwischen Polen und Deutschland, den aus Polen einreisenden Fahrzeugverkehr. 5 min
Bildrechte: picture alliance/dpa | Frank Hammerschmidt

Eigentlich widersprechen Grenzkontrollen der Schengenregelung und EU-Freizügigkeit im Reise- und Warenverkehr. Die EU hat die Kontrollen 1995 abgeschafft, sie dürfen nur im Ausnahmefall zeitlich begrenzt angewendet werden, wie etwa jüngst während der Fußball-EM in Deutschland. Die Mitgliedsstaaten müssen die Kontrollen gegenüber der EU-Kommission ankündigen und begründen.

Pläne zur Ausweitung von Messerverboten und Waffenverbotszonen

Die SPD und Bundesinnenministerin Nancy Faeser setzen nach dem Messeranschlag in Solingen auf ein härteres Waffengesetz. Faeser hatte bereits nach Bekanntwerden der Zunahme von Messerattacken 2023 eine Verschärfung gefordert. Sie will unter anderem, dass nur noch Klingen bis sechs statt bislang zwölf Zentimeter Länge in der Öffentlichkeit mitgeführt werden dürfen. Springmesser sollen verboten werden.

SPD-Chef Lars Klingbeil sagte "Bild": "Dieser wahrscheinliche Terrorangriff zeigt: Deutschland hat ein Problem mit Messergewalt." Er fordert ein nahezu komplettes Messerverbot auf Straßen. Es brauche "schnelle und konsequente Maßnahmen". Auch eine Ausweitung von Waffenverbotszonen wird diskutiert, so etwa auf große Bahnhöfe. Bundeskanzler Olaf Scholz unterstützt diese Überlegungen.

Geregelt werden müsste das im Waffengesetz und die Verbotszonen von den Bundesländern. Auch die Bundespolizei kann Allgemeinverfügungen etwa auf Bahnhöfen erlassen. In mehreren deutschen Städten gibt es lokale Waffenverbotszonen wie in Hamburg, Bremen, Köln, Frankfurt/Main, Stuttgart und Leipzig. Bei Verstößen drohen hohe Bußgelder. Die Erfahrungen sind unterschiedlich. In NRW sehen die Sicherheitsbehörden positive Effekte, in Leipzig eher nicht. Und rechtlich gibt es Hürden, wie ein Urteil in Halle zeigt. Doch extremistische Attentäter ließen sich von solchen Verboten wohl kaum aufhalten.

Problematisch an der Debatte um Messerverbote ist eine pauschale Verknüpfung mit Migration. Mehr dazu im Faktencheck des "Mediendienstes Integration". Die Zahl der Messerangriffe bundesweit ist 2023 um knapp ein Zehntel gestiegen und ausländische Tatverdächtige sind deutlich überrepräsentiert. Jedoch sehen Experten als Grund dafür nicht in erster Linie die Nationalität, sondern allgemeine gewaltfördernde Faktoren: Armut, geringe Bildung, kriminelle Freundeskreise und gewaltverherrlichende Männlichkeit. Diese Faktoren gibt es bei Ausländern und Migranten öfter als bei Deutschen. Dazu kommt dem Mediendienst Integration zufolge, dass sich tendenziell mehr junge Leute bewaffnen – oft einfach mit der Absicht der Verteidigung.

Agenturen, Netzrecherche, MDR AKTUELL(ans)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 28. August 2024 | 10:00 Uhr

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