Inklusion am Arbeitsmarkt stockt Verband: "Menschen mit Behinderung wird zu wenig zugetraut – oft aus Unkenntnis"
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06. Januar 2025, 14:20 Uhr
Acht Millionen Menschen mit Behinderung leben in Deutschland, knapp ein Zehntel der Gesamtbevölkerung. Viele möchten trotz Handicap arbeiten. Doch das ist nicht so einfach. Arbeitgeber tun sich nach wie vor schwer, Menschen mit Behinderung einzustellen – ungeachtet gesetzlicher Vorgaben. Sie zahlen lieber eine Ausgleichsabgabe. Ein MDR-Hörer fragt: Warum dürfen sich Firmen von Verpflichtungen freikaufen und was passiert mit den Ausgleichszahlungen?
- Behindertenverband: Menschen mit Behinderung werden generell nicht gesehen.
- Wenn Beschäftigungsquote nicht eingehalten wird, müssen Unternehmen einen Ausgleich zahlen.
- Das Geld fließt laut DGB dann in Finanzierung von Arbeitsplätzen, die besser für Menschen mit Behinderung ausgestattet werden sollen.
- Die Arbeitgeber verweisen auf nicht ausreichende Qualifikation von Menschen mit Behinderung.
Noch immer ist in Deutschland die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Behinderung fast doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Beeinträchtigung. Sie lag 2022 laut der gemeinnützigen Organisation "Aktion Mensch" bei knapp elf Prozent.
Gunter Jähnig vom Leipziger Behindertenverband geht nicht davon aus, dass sich an dieser Zahl in den letzten beiden Jahren groß etwas verändert hat – trotz einer sogenannten Ausgleichsabgabe.
Jähnig: Es herrscht viel Unkenntnis über die Leistungsfähigkeit Behinderter
Jähnig sieht ein grundsätzliches Problem: "Man traut Menschen mit Behinderung Dinge nicht zu, ohne es zu wissen oder wissen zu können, obwohl sie es genauso gut könnten wie andere auch. Das ist ein Problem insgesamt in unserer Gesellschaft, dass Menschen mit Behinderung nicht im Blick sind."
Deshalb muss man Jähnig zufolge erreichen, "dass Menschen mit Behinderung in jeglicher Hinsicht dazugehören!" Und das natürlich auch im Arbeitsmarkt.
Beschäftigungspflicht für Schwerbehinderte ab bestimmter Unternehmensgröße
Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass Unternehmen ab einer bestimmten Größe wenigstens fünf Prozent schwerbehinderte Menschen beschäftigen müssen. Das gilt für Firmen, die im Jahresdurchschnitt monatlich mindestens 20 Arbeitsplätze haben.
Beschäftigen diese Unternehmen keine oder zu wenige Personen mit Behinderung, müssen sie die Ausgleichsabgabe zahlen. Pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz und Monat sind das zwischen 140 und 720 Euro – gestaffelt, je nach dem, wie groß das Unternehmen ist und wie deutlich die Quote verfehlt wird.
Ausgleichsabgabe finanziert Extrakosten für Behinderten-Arbeitsplätze
Die Abgabe sei sinnvoll, sagt Markus Schlimbach, Landeschef des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Sachsen. Aus seiner Sicht versuchen sich "viele Unternehmen herauszulavieren" aus dieser Verpflichtung und sehen die Beschäftigung von Schwerbehinderten als ganz kompliziert an. Schlimbach zufolge "muss man auch auf die Unternehmen Druck ausüben, damit sie sich mit dem Thema beschäftigen".
Grundsätzlich sei die Ausgleichsabgabe ein sinnvolles Instrument. Schlimbach erläutert, dass mit der Abgabe für diejenigen Unternehmen, die behinderte Personen beschäftigen, Maßnahmen gegenfinanziert würden. Da gehe es zum Beispiel um einen speziellen Bürostuhl oder notwendige Arbeitsmaterialien, die Schwerbehinderte für ihren Arbeitsalltag benötigten. "Das bezahlen diejenigen, die also wenige oder keine Schwerbehinderten beschäftigen", so Schlimbach. Damit kämen Behinderte auch tatsächlich in Arbeit.
Arbeitgeber verweisen auf fehlende Qualifikation von Behinderten
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) kann auf MDR-Anfrage zu der Thematik wegen der angespannten "aktuellen Terminlage" keinen Gesprächspartner vermitteln. Der BDA verweist lediglich auf ein aktuelles Interview im Deutschlandfunk. Dort sagte Christina Ramb von der BDA-Hauptgeschäftsführung im Dezember, die Anforderungen der Arbeitsplätze passten nicht immer zur Qualifikation und zum Wohnort der Menschen. Daher lehne der Verband die Abgabe als Sanktion für Unternehmen ab.
Behindertenverband: Kein absoluter Kündigungsschutz
Gunter Jähnig vom Behindertenverband appelliert an die Unternehmen, es sich da nicht zu leicht zu machen. Er verweist auf vielfältige Förderungen bei der Anstellung von Menschen mit Behinderung: "Viele Arbeitgeber wissen gar nicht, dass sie für den Arbeitsplatz Fördermittel bekommen können, um für einen behinderten Beschäftigten dort Barrierefreiheit einzurichten."
Jähnig tritt auch unbegründeten Ängsten von Unternehmern entgegen, wegen einem vermeintlichen Kündigungsschutz für behinderte Mitarbeiter, falls es der Firma schlecht gehe: "Wenn die Beschäftigung und das Tätigkeitsfeld weggefallen und da ist keine wirkliche Alternative, dann gibt es diese Möglichkeit." Allerdings müsse das über das Integrationsamt angemeldet werden.
Etwa 45.000 Arbeitgeber, die unter die Beschäftigungspflicht von Menschen mit Behinderung fallen, stellen diese trotzdem nicht ein. Das ist etwa jeder vierte Betrieb in Deutschland.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 06. Januar 2025 | 06:21 Uhr