Ungereimtheiten in Biografien AfD berät über Kandidaten für Europawahl, Listen-Neuwahl droht
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18. September 2023, 22:21 Uhr
Muss die AfD ihre Wahlliste für die kommende Europawahl neu aufstellen? Das könnte passieren, wenn sich bewahrheitet, dass einige Kandidaten in ihren Bewerbungen falsche biografische Angaben gemacht haben. Trifft dies auch nur in einem Fall zu, muss die komplette Wahl-Liste neu aufgestellt werden. Wer steht dabei besonders im Fokus?
- Bestätigen sich Ungereimtheiten in den Biografien ihrer Kandidaten, muss die AfD neu wählen.
- Vorwürfe gibt es gegen die AfD-Bewerber Arno Bausemer und Mary Khan-Holoch.
- Die Anwaltskammer Tübingen ermittelt gegen Spitzenkandidat Maximilian Krah.
Zwei ganze Wochenenden hatte sie gedauert, die Nominierung der AfD-Kandidatinnen und Kandidaten für die Europawahl im kommenden Jahr. Am Ende waren in dem aufwändigen Parteitagsverfahren Ende Juli in Magdeburg 35 Parteimitglieder gewählt. Listenplatz Eins belegt Maximilian Krah aus Sachsen. Kurz darauf wurden durch Medien-Recherchen Ungereimtheiten mit Blick auf die Lebensläufe mehrerer Kandidaten bekannt.
Als Reaktion darauf ließ die Parteispitze die Lebensläufe aller 35 Kandidatinnen und Kandidaten überprüfen. Das Ergebnis dieser Prüfungen wird heute auf einer Sitzung des Bundesvorstands beraten. Wann sich die Partei damit an die Öffentlichkeit wendet, soll im Laufe des Tages entschieden werden. Das Thema ist für die AfD brisant.
Brisante AfD-Liste zur Europawahl
Fakt ist: Sollte nur einer der AfD-Politiker bei seiner Bewerbung in Magdeburg falsche Angaben gemacht haben, muss die komplette Wahlliste neu aufgestellt, also neu gewählt, werden. Damit rechnen mehrere Verfassungsrechtler. So sagte auf Anfrage des MDR Michael Brenner, Juraprofessor an der Universität Jena: "Stellt sich der Mangel im Vorfeld der Einreichung der Liste – also vor Einreichung beim Wahlleiter – heraus, so kann eine Bewerberauswechslung nur über ein neues Kandidatenaufstellungsverfahren herbeigeführt werden." Dies gelte auch für die "Streichung einzelner Bewerber".
Warum das so ist, erklärt Verfassungsrechtler Brenner mit "demokratischen Grundsätzen", denen solche Kandidatenaufstellungen genügen müssen. "Das heißt, die Willensbildung muss sich immer von unten nach oben vollziehen", sagt Brenner. "Scheidet daher ein Kandidat aus, muss den Mitgliedern Gelegenheit gegeben werden, über die neue Reihenfolge der Liste zu befinden." Daher könne "bei Wegfall eines Bewerbers die Stelle nicht einfach 'von oben', z. B. durch den Parteivorstand, nachbesetzt" werden.
Die AfD sieht das genauso: "Eine Bewerberauswechslung ist ebenso wie eine Änderung der Bewerberreihenfolge nur über ein neues Kandidatenaufstellungsverfahren zulässig. Gleiches gilt für die Streichung einzelner Bewerber", teilte ein Sprecher der Bundesgeschäftsstelle auf MDR-Anfrage mit.
Zweifel an AfD-Kandidaten Arno Bausemer und Mary Khan-Holoch
Anlass für die umfassende Prüfung sind Vorwürfe gegen zwei Kandidaten aus Sachsen-Anhalt und Brandenburg, wovon die Listenplätze 10 und 14 betroffen sind. So soll nach Recherchen von t-online Arno Bausemer aus der Altmark bei seiner Bewerbung angegeben haben, über mehrere Jahre als "'Geschäftsführer' eines landwirtschaftlichen Betriebes" gearbeitet zu haben. Mary Khan-Holoch aus Brandenburg soll behauptet haben, "ein Studium der Religionswissenschaften, Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Europarecht absolviert" zu haben. Die Behauptungen beider Kandidaten zweifelt die AfD-Spitze an.
Über diese Recherche
Dieser Text ist ein Ergebnis der Arbeit von MDR Recherche, dem Investigativ-Netzwerk des Mitteldeutschen Rundfunks. In diesem Team arbeiten Journalistinnen und Journalisten aus Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Ziel ist, Missstände aufzudecken und dafür regionale Kompetenzen zu nutzen.
Recherche-Schwerpunkte sind u.a. Rechtsextremismus, organisierte Kriminalität, Korruption auf kommunaler Ebene und Behördenfehler. Wenn Sie Informationen oder Themenanregungen für uns haben, schreiben Sie an recherche@mdr.de
AfD-Bundesvorstand sieht Image-Schaden
Dass die mutmaßlichen Lebenslauf-Betrüger in den eigenen Reihen die Partei-Spitze nervös gemacht haben, zeigt eine Beschlussvorlage des AfD-Bundesvorstands, die dem MDR vorliegt. Darin heißt es: "Politisch haben die Fälle der AfD ohnehin schon immens geschadet. Sowohl innerparteilich – der gesamte Bundesvorstand, insbesondere aber Dr. Alice Weidel stehen seit Wochen damit in der Kritik – als auch in der Außenwirkung."
Darüber hinaus ist in dem parteiinternen Dokument zu lesen: "Wir haben zehn Jahre lang behauptet, anders als die Altparteien zu sein. Wenn wir es nun den Altparteien gleichtun, verletzen wir unsere Parteiregeln, führen wir unsere Grundprinzipien ad absurdum und haben künftig das Recht verwirkt, Kritik an Berufspolitikern in den Altparteien zu üben."
Anwaltskammer ermittelt gegen AfD-Spitzenkandidat Krah
Im Fall des Spitzenkandidaten Maximilian Krah aus Sachsen (Listenplatz Eins) hat die Rechtsanwaltskammer Tübingen Ermittlungen aufgenommen. Der Jurist sitzt für die AfD bereits seit 2019 im Europaparlament. Die Ermittlungen bestätigten dem MDR auf Anfrage sowohl Kammer-Vizepräsident Markus Schellhorn als auch die Rechtsanwaltskanzlei Höcker. Worum es bei dieser Prüfung geht, ist unklar. Schellhorn verweist auf seine Verschwiegenheitspflicht.
Möglicher Anlass für die Prüfung könnte nach MDR-Recherchen die Frage sein, wo Rechtsanwalt Maximilian Krah seinen Kanzleisitz hat, beziehungsweise ob er überhaupt einen hat. Wer nämlich in keiner der 28 Kammern in Deutschland einen Kanzleisitz angeben kann, darf sich nicht als Rechtsanwalt bezeichnen. Der Jurist Maximilian Krah wurde im Jahr 2005 über die Rechtsanwaltskanzlei Solutio Schneider in Biberach in Baden-Württemberg bei der Rechtsanwaltskammer Tübingen als Anwalt eingetragen. So geht es aus dem amtlichen Anwaltsregister hervor.
Hintergrund der Kammer-Ermittlungen könnte deswegen ein Interview sein, das Kanzlei-Geschäftsführer Armin Schneider der Schwäbischen Zeitung gegeben hatte. Darin hatte der Anwalt mitgeteilt, Krah sei in seiner Kanzlei "null komma null aktiv" (externer Link) und "vermutlich auch noch nie in Biberach" gewesen. "Er ist kein Mitarbeiter/Angestellter unserer Kanzlei und bearbeitet hier auch keine Mandate."
Auf Anfrage ließ Armin Schneider dazu die auf Medienrecht spezialisierte Kanzlei Höcker mitteilen: "Dass unser Mandant in diesem Punkt möglicherweise gegenüber der 'Schwäbischen' weniger präzise war, ist dem Umstand geschuldet, dass ihm nicht bekannt war, dass es überhaupt objektiv begründete Zweifel an der Tätigkeit Herrn Krahs geben könnte, ihm also der Vorwurf gar nicht bekannt war."
Maximilian Krah ist wenig auskunftsfreudig
Allgemein lässt die Kanzlei Solutio Schneider auf MDR-Anfrage zu ihrer Verbindung mit Maximilian Krah durch die Kanzlei Höcker mitteilen: "Herr Krah ist als Rechtsanwalt zugelassen und über die Kanzlei unserer Mandantin (Solutio Schneider – Amn. d. Red.) eingetragen. Aufgrund seiner Inanspruchnahme durch das politische Mandat nimmt Herr Krah derzeit keine neuen Fälle an, gleichwohl werden selbstverständlich Post, Maileingänge, Rückrufnotizen etc. an Herrn Krah weitergeleitet."
Maximilian Krah, den seine Partei den Wählern immerhin als Spitzenkandidat präsentiert, hat mehrere MDR-Anfragen zu seinen bisherigen Tätigkeiten als Rechtsanwalt, seiner Verbindung zur Kanzlei Solutio Schneider sowie den Ermittlungen der Tübinger Rechtsanwaltskammer zunächst ignoriert. Nach Veröffentlichung der MDR-Recherchen allerdings ließ er seinen Büroleiter mitteilen: "Die bezüglich meiner Zulassung aufgeworfenen Zweifel sind absurd."
Und so ist weiterhin über dessen "Berufsleben außerhalb der Politik" wenig bekannt. Wenige Hinweise darauf finden sich in Medienberichten, die von ihm bestätigt wurden. So war er von 2005 an für die fundamentalistische Pius-Bruderschaft tätig, einem internationalen Zusammenschluss reaktionärer Katholiken, die immer wieder mit antisemitischen Aussagen in die Schlagzeilen geraten waren.
Krah im Auftrag von Holocaust-Leugner und Pius-Bruderschaft
Für die Fundamentalisten verwaltete Krah ein zweistelliges Millionenerbe. Bei den dazugehörigen Vermögenstransaktionen spielten laut "Spiegel" "eine diskrete Firma in Liechtenstein, eine Privatstiftung in Wien sowie eine kleine Aktiengesellschaft in der Schweiz" bedeutende Rollen. Das Ziel: Steuervermeidung. Kurzzeitig vertrat Krah auch den später wegen Volksverhetzung verurteilten britischen Pius-Bischof Richard Williamson. Der von der katholischen Kirche nicht anerkannte Bischof hatte 2009 im schwedischen Fernsehen die Existenz von Gaskammern in Konzentrationslagern bestritten.
Im Jahr 2015 war Krah Mitgründer der Dresdner Kanzlei "Weiler Krah Petersen LLP", die nach Angaben der Wirtschaftsauskunftei Northdata fünf Jahre später aufgelöst wurde. Bekannt ist überdies, dass Krah im Jahr 2018 einen auf einer Dresdner Pegida-Kundgebung als "Hutbürger" bekannt gewordenen LKA-Mitarbeiter vertrat sowie im Jahr 2017 einen der vier Männer, die einen psychisch kranken Flüchtling aus dem Irak im sächsischen Arnsdorf an einen Baum gefesselt hatten.
Die Bundesgeschäftsstelle der AfD wollte sich gegenüber dem MDR zur eigenen Kandidaten-Prüfung sowie den Ermittlungen der Rechtsanwaltskammer Tübingen nicht äußern und verweist auf die heutige Sitzung des Bundesvorstands.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 18. September 2023 | 11:00 Uhr