Cannabis-Gesetz SPD-Politikerin Tina Rudolph: Entkriminalisierung statt Legalisierung
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20. Februar 2024, 15:20 Uhr
Ab 1. April soll der Besitz von 25 Gramm Cannabis für Erwachsene straffrei sein, der Bezug aber nur über kontrollierte Anbauvereine erlaubt. Von jungen Menschen soll es ferngehalten werden, Sucht-Prävention besser werden. Im Interview erklärt die SPD-Bundestagsabgeordnete Tina Rudolph, warum es nur eine "Legalisierung light" gibt – und warum das trotzdem gut ist.
- Umfassende Legalisierung scheiterte an rechtlichen Hürden
- "Sichtweite" als Ziel bei Abstandsregelung für Schulen und Kitas
- Bayern will Konsum verhindern – Rudolph: "Diese Politik ist gescheitert"
- Sie sagt: Restriktive Drogenpolitik gefährdet auch Menschen
MDR AKTUELL: Warum hat diese Cannabis-Legalisierung so lange gebraucht?
Tina Rudolph: Eigentlich haben wir seit Beginn der Legislatur 2021 daran gearbeitet, weil es im Koalitionsvertrag steht: SPD, Grüne und FDP und das Bundesgesundheitsministerium wollten eine Legalisierung angehen.
Mittlerweile wissen wir, dass das juristisch nicht so leicht umzusetzen ist. Zum Beispiel die angedachten staatlichen Abgabestellen. Das war ja an sich ein kluger Gedanke, weil man eine große Kontrolle über die Abgabe gehabt hätte und sogar Steuereinnahmen für die Prävention hätte nutzen können.
Da mussten wir umdenken, jetzt steht die Entkriminalisierung im Mittelpunkt. Geld für Prävention wird trotzdem bereitgestellt. Wir haben auch Erfahrungen anderer Länder in Europa berücksichtigt, die Cannabis-Konsum liberalisiert haben – einige recht gut, andere schlechter. Wir wollten aus Fehlern lernen. Das hat gedauert. Ich sehe das aber nicht negativ. Es zeigt auch, dass das ein sehr komplexes Thema ist, ohne einfache Lösungen.
Also doch keine Cannabis-Legalisierung?
Wir reden von einer Entkriminalisierung. Rechtlich hat eine komplette Liberalisierung nicht funktioniert. Das würde wahrscheinlich noch komplizierter, weil man den Status von Cannabis bei der UN neu bewerten müsste, und auch in der EU. Das war in dieser Legislatur nicht absehbar. Auf der EU-Ebene hat unsere Debatte aber immerhin schon dazu geführt, dass es darüber Gespräche gibt und dass sich die Staaten abstimmen.
Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein.
Wir wollten jetzt aber umsetzen, was wir können. Der Gesetzentwurf ist juristisch wohl keine Legalisierung, sondern eine Entkriminalisierung. Doch umgangssprachlich verstehen das sicher viele als Legalisierung, weil es keine Straftat mehr ist, wenn man mit zwei Gramm Gras auf der Straße erwischt wird und das den Führerschein oder Job kosten kann.
Wir versuchen einen Paradigmenwechsel, der Cannabis-Konsum erleichtert für Erwachsene und gleichzeitig guten Kinder- und Jugendschutz ermöglicht.
Das war unverhältnismäßig und ist dem Problem nicht gerecht geworden. Es gibt einen weit verbreiteten Konsum, da muss man sich einfach auch ehrlich machen, und leider auch unter Kindern und Jugendlichen. Wir versuchen jetzt einen Paradigmenwechsel, der Cannabis-Konsum erleichtert für Erwachsene und gleichzeitig guten Kinder- und Jugendschutz ermöglicht.
Wird öffentlicher Cannabis-Konsum nun für 200 oder 100 Meter um etwa Schulen oder Spielplätze verboten. Was gilt?
Man hat sich pragmatisch auf die Sichtweite geeinigt. Weil die nicht gut definiert werden kann, steht da eine Meterzahl. Mein Stand ist, dass es jetzt 100 Meter sind. Wenn Häuserblocks in diesem Radius stehen, soll aber nicht der Joint in der eigenen Wohnung verboten werden. Ziel ist, nicht in Sichtweite für Minderjährige zu konsumieren. Das gilt ja für Alkohol ähnlich.
Außerdem geht es ja auch darum, wie Drogen-Konsumenten öffentlich wirken, dass das einschüchternd oder gefährlich sein kann. Da gibt es für Kommunen auch schon Möglichkeiten, das einzuschränken. So wie man jetzt festlegen kann, an diesem Platz darf ab 18 Uhr kein Alkohol mehr öffentlich getrunken werden. Aber ich würde sagen, wir sollten das Gesetz erst einmal in Kraft treten lassen und schauen, ob das zum Problem wird, und dann Wege suchen. Man sollte aber nicht schon jetzt Horrorszenarien konstruieren.
Auswirkungen auf Kriminalität und Konsum sollen vor allem mit BKA-Daten schnell evaluiert werden. Gibt es auch eine wissenschaftliche Auswertung?
Das Bundeskriminalamt kann statistische Aussagen zu erfassten Delikten liefern. Mit diesen Zahlen kann man dann vielleicht schon nach einem halben Jahr sehen, ob etwa Schwarzmarkt-Kriminalität tatsächlich zu- oder vielleicht abnimmt. Dabei müssen aber wir natürlich auch andere Dinge evaluieren: Das Konsumverhalten von Kindern und Jugendlichen, wie in Schulen über das Thema gesprochen wird. Wichtig ist die Frage nach Sekundäreffekten: Nimmt das Suchtverhalten bei Kindern und Jugendlichen zu? Das und andere Dinge wird man länger beobachten müssen, bis Effekte sich verdeutlichen.
Das heißt jetzt aber auch nicht, dass wir erst mal zwei Jahre alles laufen lassen und dann erst reagieren. Das muss schon früher passieren und dann natürlich auch diejenigen einbeziehen, die hier eine Expertise haben – etwa die Sucht- und Sozialberatungen, auch Schulsozialarbeit.
Fürchten Sie nicht, dass es für Dealer eher noch leichter wird, wenn sie mit kleinen Mengen von Konsumenten kaum zu unterscheiden sind?
Die Polizei hat wohl Methoden, wie sie das machen, und es wird ja auch jetzt nicht jeder Dealer erwischt. Wir schaffen aber die Möglichkeit für Erwachsene, nicht zu einem Dealer zu müssen – also die Cannabis Social Clubs, wo dann ja auch Qualitäts- und Sicherheitsstandards beachtet werden müssen. Damit verbessern wir die Situation und zumindest auch teilweise die Sicherheit.
Bayern will Cannabis-Konsum durch "maximal restriktiven Vollzug des Gesetzes" möglichst "verhindern". Wie bewerten Sie das?
Ich wünsche mir, dass die Bayern diese Sorgfalt auch beim Alkohol walten lassen würden. Und ich sage hier als Ärztin auch klar: Ich werde niemanden ermutigen, Cannabis zu konsumieren, genauso wie ich niemanden ermutige, Alkohol zu trinken. Aber ich glaube, es ist eine gesellschaftliche Realität, dass Menschen das tun und wir nicht das Recht haben, es mündigen Individuen abzusprechen. In meinen Augen ist die Politik gescheitert, Menschen dafür sozial zu verurteilen.
Bayerns Drogenpolitik und auch diese Doppelmoral waren eine große Motivation, dass wir den Cannabis-Konsum ein Stück weit liberalisieren. Die bayrische Ankündigung nehme ich mal zur Kenntnis und werde abwarten, was dort passiert. Sinn des Gesetzes ist – wie beim Alkohol auch –, Cannabis-Konsum für Erwachsene zu billigen, ohne es unbedingt gutheißen zu müssen. Bayern kann sich nicht über Bundesgesetzgebung hinwegsetzen. Sie können gern gegen alles vorgehen, was nicht im Rahmen des Gesetzes ist. Gerade bei Delikten wie der Abgabe an Kinder und Jugendliche ist das ja auch Ziel.
Sinn des Gesetzes ist ja – wie beim Alkohol –, Cannabis-Konsum für Erwachsene zu billigen, ohne es gutzuheißen.
Wären lizenzierte Läden in Modellregionen mit einer Kontrolle von Herstellung bis Abgabe nicht doch die bessere Lösung als Vereine? Ist das ein Ziel für eine nächste Bundesregierung?
Das hätten wir präferiert. Es hätte viele Vorteile gehabt. Der Staat hätte den Konsum noch besser kontrollieren können, als es bei Cannabis Social Clubs der Fall ist, obwohl wir das jetzt auch stark regulieren. Und man hätte einen direkten Präventionsansatz einbauen können. Dass das jetzt nicht klappt, liegt nicht an der mangelnden Unterstützung, sondern an rechtlichen Hürden. Dass etwa der Staat auftritt als derjenige, der Cannabis abgibt, das ist – wie schon gesagt – aktuell mit UN-Konventionen und EU-Recht unvereinbar.
Ich könnte mir vorstellen, dass eine künftige Bundesregierung daran weiterarbeitet. Dem, was wir uns vorgenommen haben, kommt das, was wir jetzt tun können, am nächsten. Und wir werden gleichzeitig unserer Verantwortung im Bereich Kinder- und Jugendschutz gerecht. Das werden wir noch einmal intensivieren. Und dazu sind Gelder im Haushalt veranschlagt.
Könnte man nicht mit Abwasseruntersuchungen in Modellregionen klären, ob nach einer Freigabe der Drogenkonsum wirklich zunimmt?
Tatsächlich würden mich Abwasseruntersuchungen dazu in Städten interessieren, wo es das noch nicht gibt. Es gab so etwas ja schon beim Virus-Monitoring von Covid-19 in großem Stil. Bei Cannabis ist mir dazu nichts bekannt, doch ich könnte mir vorstellen, dass es spannend wäre, den Konsum zu monitoren. Das Wichtigste aber ist eine größere Offenheit für das Thema in der Gesellschaft. Ich wünsche mir auch, dass Jugendliche, die Cannabis konsumieren – was sie weiter nicht dürfen – sich trotzdem Hilfe in Not suchen und nicht zuerst das Gefühl haben, Verbotenes zu tun.
Wird der Schwarzmarkt jetzt austrocknen?
Ich würde nicht darauf wetten, dass wir Cannabis-Kriminalität komplett austrocknen. Aber wir schaffen die Möglichkeit zum legalen Bezug. Verfolgung hat Konsum auch bei Kindern und Jugendlichen nicht verhindert, es Ordnungsbehörden aber schwer gemacht. Eine restriktive Drogenpolitik gefährdet aber auch Menschen; und der bisherige Weg war nicht so Erfolg versprechend, dass es nicht lohnen würde, einen anderen zu probieren.
Wir müssen uns um diejenigen kümmern, bei denen aus einem 'normalen Konsum' eine Suchtproblematik wird. Wir wollen Konsumenten eine möglichst sichere und gut kontrollierte Umgebung schaffen und gleichzeitig Kinder und Jugendliche bestmöglich schützen. Wenn sich herausstellen sollte, dass Dinge nicht gut funktionieren, muss man natürlich ehrlich sein und gegensteuern. Aber ich glaube, wir haben hier eine sehr große Chance.
Tina Rudolph (SPD)
stammt aus Wolgast, studierte in Jena Medizin, später Philosophie, Politik und Angewandte Ethik und arbeitete an Kliniken in Sambia und auf den Philippinen. Sie ist Ärztin. Im Mai 2024 wird sie 33 Jahre alt, 2021 kam sie auf der Landeliste der SPD Thüringen in den Bundestag. Sie lebt in ihrem Wahlkreis in Eisenach.
MDR AKTUELL (ans)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 22. Februar 2024 | 19:30 Uhr