Cannabis-Gesetz Suchtforscher: Cannabis-Entkriminalisierung auf andere Drogen ausweiten
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21. Februar 2024, 08:05 Uhr
Für den Suchtforscher Daniel Deimel ist die Bestrafung von Cannabis-Konsumenten als Prävention gescheitert. Die geplante Reform sei ein richtiger Schritt, aber noch unausgegoren. Auch sollte der Konsum anderer Drogen ebenso entkriminalisiert werden. Zugleich warnt er vor dem zu sorglosen Umgang mit Alkohol in Deutschland.
- Cannabis-Gesetz ist ein "Kompromiss und erster Schritt", es gibt aber noch offene Fragen.
- Verbot ohne Wirkung: Es sei sinnlos, die Drogenkonsumenten zu bestrafen.
- Alkohol ist genauso problematisch, Deimel wirbt für evidenzbasierte Prävention wie in Island.
Der Suchtforscher Daniel Deimel hält das Cannabis-Gesetz (CanG) der Bundesregierung für "sehr kompliziert" und nur einen ersten Schritt. Die Teillegalisierung sei ein Kompromiss, sagte Deimel sagte MDR AKTUELL. Da werde man dann noch sehen, "wo man nachbessern muss".
Qualitätsstandards wie beim Alkohol notwendig
Deimel sieht im CanG einige offene Punkte, wie beim erklärten Ziel Jugendschutz. Es gehe ja auch um Prävention und Konsumentenschutz. Er fragt: Wie also will man sicherstellen, dass das, was da konsumiert wird, auch besten Qualitätsstandards entspricht. Zum Vergleich führt er Alkohol an. Da werde "nicht selbst gepanschtes Zeugen verkauft". Es gebe ein hohes Qualitätsniveau, und aus Verbraucherschutzgründen sei das absolut richtig.
Unklar seien auch die Auswirkungen der Cannabis-Liberalisierung auf den Straßenverkehr: Welche Grenzwerte sind dort sinnvoll? Da sind ganz viele Themen, die damit einhergehen. Dazu komme die Frage: Wer kontrolliert das? Und bringt die Reform wirklich die erhoffte Entlastung für Justiz und Polizei?
Verbotspolitik für Cannabis gescheitert – auch bei anderen Drogen
Aus Sicht von Deimel (und vielen anderen Suchtexperten) hat Cannabis inzwischen eine derart hohe Verbreitung, dass man sagen könne, die Prohibition, die wir bisher hatten, habe keine Lenkungswirkung oder präventiven Effekt gehabt. Die "Leute haben konsumiert, was ihnen auf dem Schwarzmarkt angeboten wurde, ohne jegliche Kontrolle der Substanzen", erläutert Deimel, der das hochproblematisch findet.
Etwa jeder vierte Erwachsene in Deutschland habe schon mal Cannabis konsumiert und damit per se eine Straftat begangen. Aus Sicht von Deimel ist die "Kriminalisierung von breiten Teilen der Bevölkerung gang und gäbe und gehört abgeschafft". Das habe die Situation eher verschlimmert. Denn die Kriminalisierung von Cannabis habe Menschen mit Problemen infolge des Konsums oft davon abgehalten, sich rechtzeitig Hilfe zu holen. Weil Kiffen total stigmatisiert sei, eben eine Straftat. Das bringe also "herzlich wenig".
Es macht gar keinen Sinn, die Konsumenten zu bestrafen.
Es sei also ein wichtiger Schritt, das zu entkriminalisieren und Menschen, die mit Eigenbedarf an psychoaktiven Substanzen unterwegs sind, nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen. Nach Auffassung von Deimel bezieht sich das "eigentlich auf alle Drogen". Es mache keinen Sinn, die Konsumenten zu bestrafen. Der Staat und wir als Gesellschaft sollten überlegen, mit welchen Substanzen wir wie umgehen wollen. Das gelte für Cannabis, aber auch für Ecstasy oder anderen Substanzen. Wie kann man die Qualität sicherstellen, um die Schäden möglichst gering zu halten?
Alkohol ist genauso problematisch
Nach Angaben von Deimel hat die Gesundheitsforschung im Kampf gegen Drogen zwei Hauptprobleme ausgemacht, die die meisten Schädigungen mit sich bringen: Das eine sei die Prohibition, also das Verbot von Produktion, Handel und Besitz einer Substanz. Dadurch entwickle sich ein Schwarzmarkt, mit allen negativen Konsequenzen bis hin zur organisierten Kriminalität. Der andere Fehler sei ein unregulierter Markt. Das treffe in Deutschland auf den Alkohol zu, der sehr billig und frei verfügbar ab 16 Jahren sei.
Diesen leichten Zugang zu Alkohol hält Deimel für einen großen Fehler. Bei Teenagern sei die Entwicklung des Gehirns noch in vollem Gange. In den Niederlanden etwa sei Alkohol erst ab 18 Jahren verfügbar. Bis 25 müsse dort jeder einen Ausweis beim Alkoholkauf vorzeigen. So sei die Kontrolle viel besser. In vielen Ländern gebe es hochprozentige alkoholische Getränke nur in Liquor Stores, nicht wie bei uns im Supermarkt oder an der Tankstelle.
Deimel hält diesen freien Markt für genauso problematisch wie ein komplettes Verbot. Da müsse man die Mitte finden und schauen, was funktioniert. Es gebe nicht die eine Maßnahme, die für alles passt. Man müsse wirklich sehr genau hinschauen, je nach Substanz, Konsum, Gewohnheiten und so weiter, wie man da vorgehe.
Wir können uns die jetzige Situation einfach nicht mehr leisten.
Deimel wirbt für eine evidenzbasierte Suchtprävention. Island habe das "ganz hervorragend gelöst". Dort habe man die massiven Probleme mit Alkohol insbesondere bei Jugendlichen in den Griff bekommen. Die Isländer hätten das Problem analysiert, Mittel bereitgestellt und auf der Basis von Forschungsdaten Interventionen entwickelt.
In Deutschland hingegen werde jedes Jahr neu gestritten, "ob wir jetzt ein paar weitere Millionen in den Bundeshaushalt für Suchthilfe und Suchtprävention einstellen". Wenn man allein den volkswirtschaftlichen Schaden durch Alkohol von etwa 57 Milliarden Euro jährlich bedenke, dann sei das unverständlich: "Wir können uns die jetzige Situation einfach nicht mehr leisten."
Viele Alkoholkranke in Mitteldeutschland
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben überdurchschnittlich viele Alkoholabhängige. Laut einer aktuellen Barmer-Studie wurden darum 2022 hier etwa 171.300 Menschen ambulant oder stationär behandelt. Beim jeweiligen Anteil an der Gesamtbevölkerung lag Sachsen mit 2,13 Prozent an der Spitze vor Thüringen und Sachsen-Anhalt, wobei beide Länder ebenfalls über dem bundesweiten Durchschnitt von 1,71 Prozent lagen.
Rein medizinisch seien die regionalen Unterschiede nicht erklärbar, sagt Axel Wiedemann, Barmer-Landeschef in Sachsen-Anhalt: "Hier dürften auch soziodemographische Faktoren eine Rolle spielen." Gut zwei Drittel der in Behandlung erfassten Alkoholsüchtigen sind demnach Männer, geboren zumeist in den 1950er- und 1960er-Jahren.
MDR AKTUELL (ans)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 22. Februar 2024 | 19:30 Uhr