
Bundestagswahl Zählpannen bei der Wahl? Wie Fehler entstehen und was das für das BSW bedeutet
Hauptinhalt
16. März 2025, 05:00 Uhr
Das BSW hat den Einzug in den Bundestag nur knapp verpasst. Im vorläufigen Ergebnis fehlten rund 13.000 Stimmen zur Fünf-Prozent-Hürde, im endgültigen nur noch 9.528. Klar, dass die Partei die Auszählung prüfen lassen will. Doch auch von außen stellt sich die Frage: Woher kommen die zusätzlichen Stimmen? Warum wird bei so einer knappen Entscheidung nicht sofort neu ausgezählt? Und wie stehen die Chancen, dass das doch noch passiert?
- Hier wird erklärt, woher die zusätzlichen Stimmen kommen, die das BSW nach Prüfung der Auszählungen bekommen hat.
- Fehler dieser Art seien völlig erwartbar, erklärt Wahlrechtsexperte Zicht.
- Trotzdem wird bei knappen Wahlergebnissen nicht automatisch neu ausgezählt.
Woher kommen plötzlich noch so viele Stimmen?
Um das zu verstehen, muss man sich den Stimmzettel genauer ansehen und sich vor Augen führen, wie die Auszählung läuft. Am Wahltag werden die Stimmen für die einzelnen Parteien als Päckchen zusammengeschnürt und beschriftet. Davon liegen dann vielleicht zehn auf dem Tisch, auf einem steht: "SPD / 200 Stimmen". Und dann passiere Folgendes, erklärt Wilko Zicht, Mitbegründer von Wahlrecht.de: "Dann übertragen die Wahlhelfer die sogenannte Schnellmeldung. Da müssen sie – das sagt schon der Begriff – schnell sein, weil das Wahlergebnis so schnell wie möglich gemeldet werden soll."
Dazu nehmen sich die Wahlhelfer einen Stapel nach dem anderen vor und übertragen das Ergebnis auf eine Liste, die aussieht wie der Stimmzettel. Dort stehen die Parteien, die bei der letzten Wahl wenig Stimmen hatten – ganz kleine und ganz neue wie das BSW, das 2021 noch gar nicht dabei war – weit unten. Vor allem in diesen Bereichen der Liste verrutscht bei der Übertragung manchmal etwas. "Wenn dann ein Stapel gar nicht dabei ist, weil die Partei null Stimmen hat – und das passiert natürlich hinten bei den kleinen Parteien häufiger –, dann übersehen das einige Wahlhelfer. Vielleicht jeder hundertste Wahlvorstand übersieht das und trägt deswegen die Stimmenzahl von dem nächsten Stapel versehentlich eine Zeile zu weit oben ein. Dann ist diese Schnellmeldung falsch. Die fließt aber in das Wahlergebnis ein, das am Sonntagabend von der Bundeswahlleiterin verkündet wird."
Das war das Ergebnis, bei dem dem BSW etwa 13.000 Stimmen bis zur Fünf-Prozent-Hürde gefehlt haben. Das sei auch in der Partei aufgefallen, sagt der BSW-Chef in Thüringen, Steffen Schütz. "Wir haben einerseits in den Wahlkreisen geschaut und wir haben unsere Mitglieder – viele waren ja bei den Auszählungen dabei – gefragt, ob es Anomalien gab. Also zum Beispiel: Gibt es Wahlkreise, wo wir weit unter Durchschnitt abgeschnitten haben? Hat die Partei, die über uns [auf der Liste] gestanden hat, nämlich Bündnis Deutschland, überdurchschnittlich viele Stimmen bekommen? Und da sieht man Anomalien, das ist ein Indikator."
Es sind dann auch noch einige Stimmen fürs BSW aufgetaucht – aber das war absehbar, denn die beschriebene Fehlerquelle kennen auch die Wahlhelfer und Wahlämter. Deshalb fallen viele dieser Anomalien dort schon in den Tagen nach der Wahl auf. Auf dem Weg zum endgültigen Ergebnis werden Listen nochmal kontrolliert und Protokolle geschrieben. Dazu gehören unter anderem auch sogenannte Plausibilitätsprüfungen, also: Kann es sein, dass Partei A so viele Stimmen hat und Partei B so wenige.
Und dann wird bereinigt?
Genau, und das führt dann zum endgültigen Ergebnis der Wahlkreise. Da haben wir jetzt eben gesehen, dass viele Fehler dieser Art offensichtlich festgestellt wurden und das hat dann zu mehr Stimmen fürs BSW geführt. Ähnliches hat übrigens auch die AfD bei ihrem Start 2013 erlebt und die Piratenpartei 2009.
Der Wahlrechtsexperte Zicht ordnet den ganzen Vorgang deshalb so ein: "Der Umfang, in dem das passiert ist, war völlig zu erwarten. Es ist nicht zu erwarten, dass es jetzt in einem noch größeren Umfang zu Zählfehlern gekommen ist." Das schreiben auch die Statistischen Landesämter in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Über die üblichen Schwankungen hinaus habe es keine Hinweise auf Zählfehler gegeben.
In Thüringen wurde in einem einzigen Wahlkreis neu gezählt, dort sind 59 Stimmen von der MLPD zum BSW gewandert. Nach Kenntnis des Amts in Sachsen hat sich das BSW nicht mit Bedenken bei den Kreiswahlleitungen gemeldet. Also: Vor allem der ganz normale "Bereinigungsprozess" und dazu noch vereinzelte Neuauszählungen auf Wunsch des BSW haben zum endgültigen Ergebnis vom Freitag geführt, nach dem dem BSW nur noch rund 9.500 Stimmen bis zu den fünf Prozent fehlen.
Trotzdem kann man sich ja fragen, warum es in Deutschland bei so knappen Ergebnissen nicht automatisch noch eine Auszählung gibt.
Weil das im Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Da steht, dass der Bundestag entscheiden muss, ob es eine Wahlprüfung gibt. Was ein bisschen seltsam ist, weil es ja gerade an der Zusammensetzung des Bundestags Zweifel gibt, sagt Wilko Zicht. "Aber das ist in Deutschland historisch so gewachsen. Die ersten deutschen Parlamente wollten es nicht der damals noch parlamentsfeindlich eingestellten Justiz überlassen, das Wahlergebnis korrigieren zu können."
In anderen Ländern ist das anders geregelt. Dort gibt es zum Teil entweder automatisch Neuauszählungen, wenn ein Ergebnis ganz knapp ist, oder Parteien oder Kandidaten können auf eigenen Wunsch und auf eigene Kosten eine Neuauszählung veranlassen.
Und was kann innerhalb unseres Rechtsrahmens jetzt noch passieren?
Das BSW kann eine Wahlprüfung beantragen. Wenn der Bundestag die ablehnt, kann es nochmal vors Bundesverfassungsgericht gehen. Bis dahin kann es aber Monate, vielleicht sogar ein oder zwei Jahre dauern, sagt Wahlrechtsexperte Wilko Zicht. Sollte dann neu ausgezählt werden und sollte das BSW in den Bundestag kommen, dann würde erstmal alles, was der Bundestag bis dahin beschlossen hat, bestehen bleiben und auch Friedrich Merz, der dann ja wahrscheinlich Kanzler ist, könnte im Amt bleiben. Aber: Die Mehrheitsverhältnisse würden sich dadurch ändern und die Koalition aus SPD und CDU/CSU müsste sich noch einen Partner suchen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 16. März 2025 | 06:00 Uhr