Zehn Jahre "Alternative für Deutschland" AfD und radikale Beamte: Wann werden Staatsdiener zu Staatsfeinden?
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09. Februar 2023, 05:00 Uhr
Richter, Staatsanwälte, Polizisten oder Lehrer – in der AfD-Bundestagsfraktion sind ein Fünftel Beamte oder Angestellte beim Staat. Grundsätzlich sollen Staatsdiener die freiheitlich-demokratische Grundordnung schützen und treu zur Verfassung stehen. Doch das tun nicht alle, die in der AfD sind. Wie also reagiert der Rechtstaat, wenn AfD-Politiker etwa die NS-Vergangenheit relativieren und auch Recht sprechen wollen?
Inhalt des Artikels:
- Wie weit dürfen Staatsdiener gehen?
- Warum Richter und Staatsanwälte in die AfD eintreten
- Malsack-Winkemann: Die gescheiterte Versetzung in den Ruhestand
- Nähe zu Rechtsextremen: Beamter tritt aus AfD aus und deckt auf
- Jens Maier: Die erfolgreiche Versetzung in den Ruhestand
- Experte: Ein Richter kann nicht vier Jahre poltern, wie er will
- Fazit: Verfahren gegen Verfassungsfeinde sind Ausnahmen
"Das hat es in der deutschen Justizgeschichte noch nie gegeben", sagt der Publizist und Buchautor Joachim Wagner. Die Demokratie ist auch von denen bedroht worden, die sie eigentlich als Beamte verteidigen sollten. Am 7. Dezember 2022 gab es eine großangelegte Razzia gegen mutmaßliche Staatsfeinde. 25 Menschen wurden verhaftet, die der Reichsbürger-Szene zugerechnet werden. Darunter auch AfD-Mitglieder – wie etwa die ehemalige Bundestagsabgeordnete und Richterin aus Berlin: Birgit Malsack-Winkemann.
"Die AfD-Richterin Malsack-Winkemann ist eine schwere Wunde des Rechtsstaates", sagt Joachim Wagner. Der ehemalige Chef des ARD-Politmagazins "Panorama" hat sich zwei Jahre lang mit auffälligen Juristen befasst und das Buch "Rechte Richter" geschrieben – das erste umfassende Werk dazu. "Malsack-Winkemann hat zwei Gesichter – wie wir jetzt wissen. Nämlich das einer Hinterbänklerin im Bundestag. Das zweite ist, dass sie im Verdacht steht, eine terroristische Vereinigung unterstützt zu haben."
Wie weit dürfen Staatsdiener gehen?
Joachim Wagner hat dokumentiert, dass die Grenzüberschreitungen durch Beamte in der AfD schon in den ersten Jahren nach der Gründung der "Alternative für Deutschland" am 6. Februar 2013 begannen. Staatsdiener müssen sich durch ihr Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen. Das gilt für verbeamtete Lehrer, Staatsanwälte, Polizisten und Verwaltungsbeamte genauso wie für Richter und Bundeswehrsoldaten, die sich in einem beamtenähnlichen Dienstverhältnis befinden.
Wenn diese allerdings im Bundestag oder in den Landtagen sitzen, dann gilt Artikel 46 Absatz eins des Grundgesetzes: "Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden. Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen." Allerdings: Wer außerhalb des Parlaments bei Demonstrationen, in Wirtshäusern oder anderswo hetzt, lügt oder verleumdet, kann belangt werden.
Warum Richter und Staatsanwälte in die AfD eintreten
"Was keiner weiß, ich bin praktisch von Anfang an bei der AfD dabei", sagte Birgit Malsack-Winkemann einmal. Im ersten Quartal 2013 trat sie in die Partei ein, 2017 zog sie für die AfD in den Bundestag. Die 58-Jährige galt als gemäßigt in der Öffentlichkeit und in der Partei. Im Bundestag diffamierte sie Flüchtlinge: "Dass diese aus Ländern stammen, in denen es Krankheiten gibt, die hierzulande vor der Flüchtlingswelle in überschaubarem Umfang vorhanden waren oder sogar als ausgerottet galten, wie Tuberkulose, HIV und Hepatitis. Oder andere hierfür nicht bekannte, möglicherweise sogar tödliche Krankheiten."
Solche Ansichten vertrat Malsack-Winkemann nicht allein. Der Jurist Joachim Wagner hat untersucht, warum Staatsanwälte und Richter in die AfD eintraten: "Alle Richter und Staatsanwälte haben sich der AfD aus einem Grund angeschlossen: wegen der Zuwanderung und der Angst, dass unsere Gesellschaft heterogener und multikultureller wird."
Malsack-Winkemann: Die gescheiterte Versetzung in den Ruhestand
Joachim Wagner beschäftigte sich mit dem Fall von Malsack-Winkemann bereits vor deren Festnahme. Als sie 2021 den Wiedereinzug in den Bundestag verpasste, stellte sie Anfang 2022 den Antrag auf Rückführung ins Dienstverhältnis. Im März nahm sie den Dienst als Richterin am Landgericht wieder auf. Ende Mai beantragte die Justizverwaltung, sie in den Ruhestand zu versetzen. Im Oktober wurde der Antrag vom Richterdienstgericht zurückgewiesen. Es gebe keine "Beeinträchtigung der Rechtspflege". Denn die Reden im Bundestag spielten in dem Verfahren keine Rolle, um die freie Meinungsäußerung von Abgeordneten nicht in Frage zu stellen.
Das ist eine der schwierigsten Rechtsfragen, die überhaupt zu erörtern sind in Verfahren gegenüber AfD-Richtern und Staatsanwälten: Wann schlägt eine Islam- und Fremdenfeindlichkeit um in eine Verfassungsfeindlichkeit?
"Da hat das Richterdienstgericht festgestellt, dass Malsack-Winkemann eine xenophobe, also fremdenfeindliche Grundhaltung hat", sagt Publizist Joachim Wagner. Doch das reiche laut Gericht nicht aus, um ihre Verfassungsfeindlichkeit zu beweisen. "Und das ist eine der schwierigsten Rechtsfragen, die überhaupt zu erörtern sind in Verfahren gegenüber AfD-Richtern und Staatsanwälten: Wann schlägt eine Islam- und Fremdenfeindlichkeit um in eine Verfassungsfeindlichkeit? Nur dann ist der Rückkehranspruch zu verhindern." Direkt nach der Verhaftung von Malsack-Winkemann ging die Justizsenatorin von Berlin in Berufung – nun läuft ein Eilverfahren am Oberverwaltungsgericht Berlin/ Brandenburg.
Nähe zu Rechtsextremen: Beamter tritt aus AfD aus und deckt auf
Der Skandal um die Richterin war ein Grund, warum der verbeamtete Diplomverwaltungswirt Ivo Teichmann Ende 2022 aus der AfD ausgetreten ist. Ein anderer: Die zunehmende Nähe der Partei zu Rechtsextremisten. Bei einem Treffen schaut sich ein Team von MDR Investigativ mit Ivo Teichmann zugespielte Unterlagen an. Darunter: Dokumente mit den internen Chats einer WhatsApp-Gruppe. "Wenn ich solche Posts in den Chatgruppen habe, wo es heißt: 'Zwei Dinge sollten immer weiß sein: Weihnachten und Deutschland.' Das ist ja klar rassistisch", erklärt der 56-Jährige. Die Telefonnummer zeigt: Hier jubelt nicht irgendwer. Die Spur führt direkt zum Büro eines Bundestagsabgeordneten der AfD. Andere in der Gruppe versehen den Post mit einem blauen Herz.
Es ist eines von mehreren fragwürdigen Beispielen aus der Gruppe, die "Stammtisch Pirna" heißt. Sie hat etwas mehr als 30 Mitglieder ist nicht öffentlich und wurde von Steffen Janich eingerichtet. Der 52-Jährige ist ein ehemaliger Polizist aus der Sächsischen Schweiz, der ebenso wie Malsack-Winkemann im März 2013 in die AfD eintrat. Zu dem Post könne er nichts sagen, so Steffen Janich auf die Frage eines Reporters von MDR Investigativ. Er müsse selbst erst einmal nachlesen.
Als die Corona-Pandemie begann, organisierte Steffen Janich in Pirna so genannte Spaziergänge gegen die Corona-Maßnahmen. Der Polizist agierte als Versammlungsleiter von nicht angemeldeten, illegalen Protesten. Dafür wurde er vom Dienst suspendiert. Für Ivo Teichmann sind die Äußerungen und Kommentare in der Chatgruppe auch einer der Gründe, warum er nach acht Jahren die Partei verlassen hat.
Jens Maier: Die erfolgreiche Versetzung in den Ruhestand
Steffen Janich sitzt immer noch für die AfD im Bundestag – ebenso wie bis 2021 Malsack-Winkemann und auch Jens Maier. Der Jurist schaffte bei der jüngsten Wahl ebenfalls nicht den Wiedereinzug in den Bundestag und kehrte in den Justizdienst zurück. Jedoch befürchtet das sächsische Justizministerium aufgrund von Maiers öffentlichen Äußerungen, dass er als Richter nicht mehr verfassungstreu, unparteiisch und ohne Ansehen der Person urteilen könne.
Jens Maier bezeichnete sich selbst als "kleinen Höcke" – in Anspielung auf den AfD-Politiker Björn Höcke. Der 60-Jährige Maier sprach beim Thema Aufarbeitung des Nationalsozialismus von "Schuldkult" und nutzte Worte wie "Mischvölker". Der sächsische Verfassungsschutz bezeichnete Jens Maier als erwiesenermaßen rechtsextrem. Daraufhin hatte der Politiker 2021 beim Parteitag der AfD in Dresden gesagt: "Wer in diesen Zeiten nicht als Rechtsextremist diffamiert wird, der macht irgendwas verkehrt."
Ende 2022 bestätigte das Sächsische Dienstgericht in Leipzig die Versetzung von Jens Maier in den einstweiligen Ruhestand. Die Begründung: Das öffentliche Vertrauen in eine unabhängige und unvoreingenommene Rechtspflege sei nicht mehr gegeben, würde er weiterhin als Richter urteilen. Jens Maier kam nicht zur Verhandlung. Die Interviewanfrage von MDR Investigativ blieb unbeantwortet. Sein Anwalt Jochen Lober kündigte Revision an und kritisierte das Urteil: "Es kann nicht sein, dass jemand nur allein, weil er in der falschen Partei ist […] oder sonst irgendwo für Tätigkeiten, die mit dem Richteramt gar nichts zu tun haben, sanktioniert werden soll, so wie es hier geschehen ist."
Experte: Ein Richter kann nicht vier Jahre poltern, wie er will
"In dem Fall von Jens Maier in Sachsen war es so, der ist des Amtes enthoben worden, zur Abwehr einer schweren Beeinträchtigung der Rechtspflege", erklärt der Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Bonn, Klaus F. Gärditz. "Durch sein Verhalten, einfach mit Wirkung in die Zukunft, bietet er nicht mehr die hinreichende Verlässlichkeit, neutral, unvoreingenommen und verfassungstreu Rechtsprechungsaufgaben wahrzunehmen."
Der Verfassungsrechtler Klaus F. Gärditz ergänzt zur Causa Jens Maier: "Es wäre auch schwer verständlich, wenn sozusagen jemand poltern würde, vier Jahre sich äußern könnte, wie er will, sich verhalten könnte, wie er will und dann in ein Amt zurückkommt und sagt ja: Jetzt ist wieder alles in Ordnung, das müsst ihr ignorieren."
Fazit: Verfahren gegen Verfassungsfeinde sind Ausnahmen
Doch bislang lässt der Staat die radikalen Staatsdiener in den Reihen der Alternative für Deutschland fast immer gewähren. Ob diese Lehrer, Polizisten, Bundeswehrsoldaten, Staatsanwälte, Richter und Verwaltungsbeamten noch ihrer Pflicht zur Verfassungstreue nachkommen, wird selten überprüft. Verfahren gegen Verfassungsfeinde sind Ausnahmen.
Außerdem mache es der Staat ihnen zu leicht, in seinen Dienst zurückzukehren, findet Joachim Wagner. "Wir haben eine gesetzliche Regelungslücke: bei den Rückkehransprüchen von AfD-Richtern und Staatsanwälten in die Justiz nach dem Verlust ihrer politischen Mandate. Diese Rückkehransprüche kennen keinen Vorbehalt der Verfassungstreue."
Dabei könnten strafrechtlich relevante Äußerungen in Sozialen Medien, der Kneipe oder etwa bei Pegida schon jetzt konsequent geahndet werden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte unmittelbar nach der Razzia gegen die Reichsbürger-Szene angekündigt, Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst schneller entlassen zu wollen. "Man muss glaube ich gerade bei den Behörden, die mit Waffen zu tun haben, bei Bundeswehr, bei Bundespolizei noch mal genauer hinschauen."
Quelle: mpö
Dieses Thema im Programm: Das Erste | FAKT | 07. Februar 2023 | 23:15 Uhr