Parteijubiläum Zehn Jahre AfD: Rechts angekommen, um zu bleiben?
Hauptinhalt
06. Februar 2023, 15:16 Uhr
Vor zehn Jahren wurde die Alternative für Deutschland gegründet. Die Partei betrachtet sich selbst als Kämpferin für die Freiheit. Kritiker dagegen sehen in der AfD eine Gefahr für die Demokratie. In jedem Falle waren die ersten zehn Jahre der neuen Partei turbulent, besonders in Sachsen. Ein Blick zurück und nach vorn.
- Zehn Jahre nach der Gründung der AfD sind viele prägende Mitglieder vom Beginn nicht mehr dabei. Frauke Petry will knapp fünf Jahre nach ihrem Ausstieg nicht mehr über die Partei reden.
- Wegen formaler Fehler bei der Listenaufstellung genehmigte die sächsische Landeswahlleiterin der AfD nicht die gesamte Liste bei der Landtagswahl 2019. Bis heute gibt es Streit um die Rechtmäßigkeit.
- Die fehlende Abgrenzung zur extremen Rechten führt immer wieder zu Austritten aus der AfD.
Uwe Wurlitzer hat die AfD in Sachsen als Generalsekretär mit aufgebaut. Neben Frauke Petry, die die AfD insgesamt und in Sachsen in den ersten Jahren maßgeblich geprägt hat. 2017 ist Petry – gemeinsam mit Wurlitzer – wieder aus der AfD ausgetreten. Mittlerweile arbeitet der 47 Jahre alte Uwe Wurlitzer als gesetzlicher Betreuer, er kümmert sich in Leipzig um Menschen, die ihr Leben selbst nicht mehr organisieren können. In seinem Leben vor der AfD hatte Wurlitzer als Immobilienkaufmann gearbeitet. Doch die Kunden sind weggeblieben, als sein Engagement für die AfD bekannt wurde.
Uwe Wurlitzer: "Muss immer wieder zeigen, dass ich kein Nazi bin"
"Danach habe ich ganz neu angefangen. Und zum Teil geht es mir heute immer noch so, dass Leute nur den AfD-Stempel sehen", erzählt er. "Da muss ich zeigen, dass ich nicht der Nazi bin, für den viele jeden AfDler halten. Das ist echt anstrengend."
Wurlitzer und Petry gehörten mit zur ersten AfD-Landtagsfraktion. Nur etwas mehr als ein Jahr nach ihrer Gründung wählten 10,7 Prozent in Sachsen bei der Landtagswahl 2014 die AfD. 14 Politikneulinge zogen daraufhin für die AfD in den Sächsischen Landtag ein. Mittlerweile ist die Hälfte der damaligen Fraktion wieder aus der Partei ausgetreten.
Petry will nicht mehr über AfD reden
Der Bruch von Uwe Wurlitzer - und vor allem der von Frauke Petry – mit der AfD hatte für ein kleines politisches Erdbeben gesorgt. Petry hatte bei der Bundestagswahl 2017 das Direktmandat in der Sächsischen Schweiz gewonnen und verkündete am Tag nach der Wahl ihren Austritt aus der Bundestagsfraktion vor laufenden Kameras. Sie begründete das damit, dass die AfD zur anarchischen Partei geworden sei, die dem Wähler kein glaubwürdiges Angebot für eine Regierungsübernahme machen könne. Heute, knapp fünf Jahre später, will Petry, die nach wie vor im Großraum Leipzig lebt, nicht mehr über die AfD sprechen. Dieses Kapitel sei abgeschlossen, teilt sie schriftlich mit.
Ihr politischer Weggefährte Uwe Wurlitzer tickt da anders. Er rede immer noch gerne über Politik und über seine Zeit in der AfD. Er sei nach wie vor mit dem Politik-Virus infiziert. Für ihn habe die AfD am Anfang ausgemacht, dass man über alle Themen sprechen konnte, dass es keine Tabus gegeben habe. Gerade was die Sozial- und die Wirtschaftspolitik anging.
Grenzüberschreitungen von Höcke lassen Spender abspringen
Und doch gab es auch für Uwe Wurlitzer Grenzen. Diese überschritt beispielsweise der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, als dieser Anfang 2017 bei einer Rede im Dresdner Ballhaus Watzke "eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" einforderte und das Holocaust-Mahnmal als "Mahnmal der Schande" kritisierte, das Deutschland in die Mitte seiner Hauptstadt gestellt habe. Uwe Wurlitzer sagt dazu: "Wie kann man so einen Unsinn von sich geben. Mir ist schlecht geworden, als ich das gehört habe. Auch weil ich wusste, was da am Ende rauskommt." Tatsächlich seien der AfD in Folge dieser verbalen Grenzüberschreitungen von Björn Höcke - den Frauke Petry aus der Partei ausschließen wollte, ohne Erfolg - wichtige Spender abgesprungen, Lokalitäten für Veranstaltungen abgesagt worden.
So wie Uwe Wurlitzer begründen viele AfD-Aussteiger ihren Rückzug damit, dass sie gegen die rechtsextremen Tendenzen, die es in Teilen der Partei gäbe, nicht ankämen. Sachsens neuer AfD-Landeschef Jörg Urban hält diese Aussagen für "erbärmlich". "Die Zuschreibung des Rechtsextremismus gegenüber der AfD ist aus der Luft gegriffen. (…) Man macht sich nicht die Mühe, das zu begründen", sagt er. "Für Menschen, die bei uns aus der Partei ja meistens aus Karrieregründen gehen, weil sie eben nicht auf die Liste kommen, ist das dann immer eine schöne Möglichkeit, sich rein zu waschen, indem man dieses Narrativ bedient."
Formale Fehler kosten AfD Sitze im Sächsischen Landtag
Jörg Urban ist nach dem Rückzug von Frauke Petry der neue, starke Mann in der AfD geworden. Er ist Fraktions- und Parteichef und hat die AfD bei der letzten Landtagswahl als Spitzenkandidat zu einem Rekordergebnis geführt. Die junge Partei landete bei 27,5 Prozent der Stimmen, die CDU bei 32,1 Prozent.
Die AfD zog mit 38 Abgeordneten in den Sächsischen Landtag ein. Das ist ein Sitz weniger als der AfD mit ihrem Wahlergebnis eigentlich zustünde. Doch wegen formaler Fehler bei der Listenaufstellung genehmigte die Landeswahlleiterin der AfD nicht die gesamte Liste. Die AfD klagte dagegen und bekam teilweise Recht. Der Verfassungsgerichtshof ließ eine Liste mit 30 Bewerbern zu. Jörg Urban hält das nach wie vor für "einen Anschlag aus den Institutionen". Im Landtag befasst sich noch immer ein Untersuchungsausschuss, den die AfD ins Leben gerufen hat, mit den Vorgängen.
In jedem Falle scheint der neue Kurs von Jörg Urban funktioniert zu haben. Er machte unter anderem gemeinsame Sache mit dem islamfeindlichen Bündnis Pegida. "Pegida und AfD sind dieselbe Bewegung. Von Anfang an vertreten wir fast dieselben Standpunkte", sagt Urban. Frauke Petry hatte noch versucht, die AfD von Pegida abzugrenzen, deren Anhänger auch schon mal Galgen für Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel spazieren führten. Es galt ein Unvereinbarkeitsbeschluss. Ganz anders die Partei unter Jörg Urban.
In Chemnitz marschiert AfD mit Pegida und Pro Chemnitz
Nachdem im August 2018 ein Deutscher in der Chemnitzer Innenstadt erstochen wurde – durch einen mittlerweile wegen der Tat verurteilten Syrer – organisierte die AfD gemeinsamen mit Pegida und der rechtsextremen Vereinigung Pro Chemnitz einen Trauermarsch. Es herrschte eine aufgewühlte Stimmung in der Stadt, zuvor hatte es gewalttätige Übergriffe gegeben. Wenig später wurde im Landtag die schwierige Situation in Chemnitz debattiert: "Herr Kretschmer, so lange die Bürger noch Respekt vor der Politik haben, läuft für Sie eine Galgenfrist. Die Demonstrationen von Chemnitz zeigen, wie schnell Angst und Trauer in Wut umschlagen kann", so Urban.
Hitzige Landtagsdebatten in der Corona-Pandemie
Noch mehr hitzige Landtagsdebatten gab es während der Corona-Pandemie. Ausnahmezustände in den Krankenhäusern, wochenlange Lockdowns mit all ihren Folgen – es war eine Situation, die jeden angefasst hat. Die AfD verfolgte ihren Kurs der Fundamentalopposition. Urban warf der Regierung in einer Debatte vor, die Menschen ein Jahr lang gezwungen zu haben, nicht zu arbeiten, einer Schülergeneration die Bildung genommen zu haben. Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) hingegen machte der AfD schwere Vorwürfe: "Ihr Verhalten, Corona zu leugnen, gegen das Impfen zu sein, gegen das Testen zu sein, gegen die Masken zu mobilisieren, hat einen großen Schaden provoziert."
Bei den Protesten auf den Straßen war hingegen eine neue, rechtsextreme Partei der Taktgeber: Die Freien Sachsen. Über ihren Telegram-Kanal, den mittlerweile mehr als 150.000 Menschen abonniert haben, bewirbt sie Woche für Woche Demonstrationen, die in Sachsen stattfinden. Der Ton ist durchgehend harsch. Polizisten werden beispielsweise als Söldner-Truppen diffamiert. Ein politisches Ziel der Freien Sachsen ist der Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik. AfD-Parteichef Jörg Urban findet es in Ordnung, wenn die AfD gemeinsam mit den Freien Sachsen demonstriert. Deren Anlehnung an die Monarchie sei zwar ein bisschen anstrengend, so Urban, weil es ja eigentlich ein Abschied von der Demokratie sei, aber er könne sich nicht vorstellen, dass das große Mehrheiten in Sachsen fände.
Landtagsabgeordneter verlässt AfD wegen fehlender Abgrenzung zu Freien Sachsen
Die fehlende Abgrenzung zu den Freien Sachsen war ein Grund für Ivo Teichmann, kurz vor Weihnachten aus der AfD auszutreten. "Der Kurs, wie er jetzt läuft, dass man das gesamte Protestpotential versucht, irgendwo mitzunehmen, den teile ich nicht", sagt er. Teichmann hatte bei der Landtagswahl 2019 in der Sächsischen Schweiz das Direktmandat für die AfD gewonnen. Er wurde parteiintern beschimpft, als er davon schrieb, dass die Freien Sachsen für ihn die NPD in einem neuen Gewand seien. "Ich verstehe nicht, wieso man im Schulterschluss mit denen agiert. Vor allem, wenn eine Partei weiß, dass sie unter Beobachtung steht", so Teichmann.
Der Verfassungsschutz prüft derzeit, ob die gesamte AfD als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft wird. Sachsens AfD-Chef Jörg Urban kritisiert das. Es handle sich beim Verfassungsschutz um einen Staatsschutz. Installierte Chefs des Verfassungsschutzes würden die AfD diffamieren, so Urban. Mit diesen Vorgängen will seine Partei sich weiterhin juristisch auseinandersetzen, kündigt er an.
Mit Blick auf das zehnjährige Gründungsjubiläum seiner Partei betont Jörg Urban, dass es der AfD gelungen sei, Themen zu setzen. Beispielsweise werde jetzt wieder von Kernenergie gesprochen, von Kernfusionsforschung in Deutschland, da sei die AfD Impulsgeber gewesen.
AfD verliert in Sachsen rund 20 Prozent ihrer Mitglieder
2.192 Mitglieder hat die sächsische AfD im Moment. Sie ist damit von den Mitgliederzahlen her mit Abstand die kleinste Partei, die im Sächsischen Landtag sitzt. 2019, nach der Landtagswahl, hatte die Partei über 2.600 Mitglieder. Ihr bisheriger Rekord. Seitdem hat die AfD knapp 20 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Das liege daran, heißt es aus der Partei, weil man Mitglieder ausschließe, die ihre Beiträge nicht zahlen. Aber so oder so zeigt die AfD eindrücklich: Mitgliederzahlen und Wahlergebnisse müssen nicht zusammenhängen.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 06. Februar 2023 | 19:00 Uhr