Substitution Der schwere Weg aus der Heroin-Sucht
Hauptinhalt
14. Januar 2024, 05:00 Uhr
Die Substitution ermöglicht es drogenabhängigen Menschen, wieder ein normales Leben zu führen: Mit Arbeit, Familie und ohne Suchtdruck, Beschaffungskriminalität und die Gefahr durch infizierte Spritzen. Doch in Deutschland gibt es zu wenig Plätze dafür.
- Substitutions-Programm: Es fehlt an Plätzen.
- Heroinabhängige müssen teils monatelang warten.
- Es fehlt an Ärzten für Substitution in Sachsen.
Leicht gekrümmt laufen die beiden Männer über Müll und Schutt. Durch einen Mauerdurchbruch schlüpfen sie in ein Abrisshaus am Rand von Halle. "Hier bin ich ab und zu mal allein hergegangen, wenn ich zu viel Stress hatte", sagt Patrick. Genauso wie Falk ist er heroinabhängig. Doch Patrick konsumiert nicht mehr – sein Leben hat eine positive Wendung genommen.
Nach Jahren mit harten Drogen, Haftstrafen und Obdachlosigkeit hat Patrick nun seit zwei Jahren eine eigene Wohnung. Diese Wende hat mit Medikamenten zu tun, sogenannten Substituten, also Ersatzdrogen, die den Suchtdruck unterdrücken und es den Abhängigen ermöglichen, einen normalen Alltag zu leben. "Es gibt Subutex, es gibt Pola flüssig, es gibt Pola-Tabletten. Es gibt dies, das, jenes. Verschiedene Sachen, die man einnehmen kann, damit es halt körperlich besser läuft", beschreibt Patrick. Er komme mit den Tabletten gut klar. Der junge Mann steht mit dem Rücken zum Fenster des Abrisshauses, durch das die Sonne hereinscheint. Patrick erklärt, dass er seitdem auch keine Straftaten mehr begehe: "Rauche mein Gras, ganz normal, trinke mein Bier und das war es auch."
Wenn ich jetzt nicht im Programm gewesen wäre, dann wäre ich jetzt tot. 100-prozentig.
Bei Falk sieht das weniger gut aus: "Ich bin 44 und seit knapp 25 Jahren auf harten Drogen. Also mit Unterbrechungen, Entgiftung, Langzeit…", sagt er. Patrick ergänzt, dass sie gerade erst darüber geredet hätten, dass es schön wäre, wenn auch Falk im Substitutions-Programm wäre. "Weil das ganze Kopfkino, der ganze Kopfstress, Klauen gehen, dann wirst du wieder erwischt, dann passiert das wieder, kommen da wieder die Bullen." Patrick ergänzt: "Wenn ich jetzt nicht im Programm gewesen wäre, dann wäre ich jetzt tot. 100-prozentig."
Substitutions-Programm: Es fehlt an Plätzen
Auch Falk möchte in das Programm, doch da gibt es ein riesiges Problem: Es gibt nicht genügend Plätze. In Halle organisiert die zentrale Drogenberatungsstelle "Drobs" die Substitution. Interviews zum Thema gibt man dort nicht, teilt jedoch auf Anfrage mit, dass es in Halle drei Arztpraxen gebe, die sich am Substitutions-Programm beteiligen und schreibt: "Die Kapazitäten dort sind aktuell ausgeschöpft."
Das ist nicht nur in Halle so. In Dresden sieht es ganz ähnlich aus. In der Landeshauptstadt von Sachsen war die Praxis Meinhardt/ Lange jahrelang die einzige, die Opioid-Substitution anbot. Entsprechend lang sind Wartelisten für die Neuaufnahme in das Programm und entsprechend groß ist auch das Einzugsgebiet. Patienten reisen selbst aus 100 Kilometer Entfernung an. "Wir können im Moment gar nicht mehr aufnehmen. Das ist schon seit langem so", sagt Ärztin Rita Meinhardt. Immerhin – seit ein paar Monaten gebe es eine zweite Praxis, die einige Patienten zur Substitution aufgenommen habe. Trotzdem sei der Bedarf immer über dem, was sie leisten könnten.
Substitution: Ein Weg in ein suchtfreies Leben
In einer zweiten Niederlassung der Praxis von Rita Meinhardt wird die tägliche Substitutions-Portion abgemessen und ausgegeben. Für Drogenabhängige kann das lebensrettend sein und der Weg zurück in ein suchtfreies Leben. Nicole-Maria und ihre Freundin stehen vor der Praxis und sind im Programm – doch bis dahin verging sehr viel Zeit.
"Es hat ja auch lange gedauert, bis ich in die Klinik kam. Also das war damals ganz schlimm" erzählt Nicole-Maria. Sie sei ständig krank gewesen, habe ihr Leben und die Drogensucht kaum noch bewältigen können. "Ich habe Heroin gespritzt. Jeden Tag. Im Wert von 120 Euro", berichtet die junge Frau. "Also ich war schwer spritzenabhängig und habe dann den Klinikaufenthalt gehabt."
Nicole-Maria begann eine Entgiftung. Sie habe zu diesem Zeitpunkt keine Chance gehabt, in das Substitutions-Programm aufgenommen zu werden. "Erst als ich dann das zweite Mal zur Frau Meinhardt bin und mich dann das zweite Mal zur Klinik habe einschreiben lassen, da hat sie mir das dann vorgeschlagen", sagt sie. Bis dahin sei ein Dreivierteljahr vergangen.
Fehlende Ärzte für Suchtmedizin wegen zu geringer Vergütung?
In Deutschland gibt es etwa 166.000 Heroin-Abhängige, etwa die Hälfte ist im Substitutions-Programm. Im Vergleich zu einigen anderen EU-Ländern ist das wenig. So können etwa in Spanien, Frankreich oder Norwegen rund 85 Prozent aller Opioid-Abhängigen Substitutionsmittel einnehmen.
In Deutschland hatte Dirk Schäfer eine Kampagne mit ins Leben gerufen: "100.000 Substituierte bis 2022". Diese wurde von der Bundesregierung unterstützt und scheiterte dennoch. "Wir haben einen sukzessiven Rückgang behandelnder Ärztinnen und Ärzte – altersbedingt. Es fehlt am Nachwuchs im Bereich der Medizin", erklärt Schäfer, der Sprecher bei der Deutschen Aidshilfe ist. Drogenkonsum und HIV-Infektionen durch Spritzen stehen im direkten Zusammenhang.
Beim Medizin-Studium spiele das Thema Sucht fast keine Rolle, kritisiert Schäfer: "Obwohl es in der Gesellschaft in unterschiedlicher Ausprägung sehr präsent ist." Die suchtmedizinische Ausbildung ist wichtig, weil nur Ärztinnen und Ärzte substituieren dürfen, die eine Zusatzqualifizierung erworben haben – oder von Suchtmedizinern angeleitet werden. Im europäischen Ausland ist der Zugang zum Substitutionsprogramm weniger bürokratisch organisiert. Substitutionsmittel werden dort durch Gesundheitsämter oder Apotheken ausgegeben.
Rita Meinhardt behandelt in ihrer Gemeinschaftspraxis bis zu 100 Patienten im Substitutions-Programm. Es ist ein hoher Aufwand, der verhältnismäßig gering vergütet wird. Gerade in der Anfangsphase, wenn die Patienten erstmal auf eine Dosis eingestellt werden müssten, sei das so. "Also, das wird nach meinem Ermessen nicht angemessen honoriert. Später, wenn die Patienten ganz stabil sind, dann geht das so halbwegs", sagt Meinhardt. Doch auch dann berate sie die Patienten meist häufiger, als sie abrechnen könne.
Praxen zur Substitution haben 365 Tage im Jahr offen
"Wir haben zwar insgesamt deutlich mehr Ärzte, die das theoretisch tun könnten, aber wir haben nur insgesamt 35 Ärztinnen und Ärzte, die das momentan tun", erklärt der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen, Dr. Klaus Heckmann. "Das ist mit Sicherheit zu wenig, zumal das Problem ja auch zunimmt."
Obwohl es in Sachsen also genügend Suchtmediziner gibt, machen viel zu wenig Arztpraxen bei der Substitution mit. Ist die Vergütung doch zu gering oder ist es auch der hohe Aufwand, der abschreckt? Immerhin müssen gesonderte, gesicherte Polamidon-Ausgaberäume – Polamidon ist das Medikament zur Heroin-Substitution – geschaffen werden. Hinzu kommt, dass die Praxen in der Regel 365 Tage im Jahr geöffnet haben müssen.
Es muss einfach für die substituierenden Ärztinnen und Ärzte attraktiv sein. Ansonsten geht es nicht.
"Eigentlich müsste das Ganze ja mal betriebswirtschaftlich kalkuliert werden", erklärt Heckmann, der am Anfang des Interviews mit dem MDR noch der Überzeugung war, die Vergütung sei ausreichend. "Und ja, es muss einfach für die substituierenden Ärztinnen und Ärzte attraktiv sein. Ansonsten geht es nicht, denn man kann niemanden zwingen."
In die Rechnung gehört noch etwas hinein. Die Substitution bietet nicht nur Vorteile für die Suchtkranken, die wieder ein normales Leben führen können. Dadurch werden auch Gesellschaft und Justiz entlastet, weil es weniger Beschaffungskriminalität gibt – so wie etwa bei Patrick.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 08. Dezember 2023 | 11:41 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/1d8934b2-ba57-4b03-beca-bdf69f71d7f6 was not found on this server.