Mitglieder in Sportvereinen Stimmt's? Jungen gehen zum Fußball, Mädchen zum Turnen
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24. Juni 2024, 10:58 Uhr
Von wegen geschlechtsneutrale Erziehung: Mitgliederzahlen von Vereinen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zeigen, dass Mädchen und Jungen unterschiedliche Sportarten bevorzugen – und sich daran kaum etwas ändert. In anderen Bundesländern ist die Lage ähnlich. In welche Vereine Jungen und Mädchen gehen und woran das liegt.
- Bei Jungen ist Fußball die mit Abstand beliebteste Sportart, bei Mädchen liegen Turnen, Fußball und Leichtathletik auf den ersten Plätzen.
- Wer sich eine untypische Sportart aussuche, müsse immer noch mit Ressentiments und "dummen Sprüchen" rechnen, sagt eine Expertin.
- Nur rund 40 Prozent der Mitglieder in Sportvereinen sind Frauen.
- Die Landessportbünde engagieren sich für mehr Gleichberechtigung.
Manche Gender-Klischees halten sich hartnäckig. Zum Beispiel, dass Jungs lieber Fußball spielen und Mädchen lieber turnen oder reiten. Daten der mitteldeutschen Landessportbünde zeigen: Ganz falsch sind diese Klischees nicht.
Rund 125.000 Jungen sind in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Mitglied in einem Fußballverein. Im Beliebtheitsranking liegt Fußball mit riesigem Abstand auf Platz 1, gefolgt von Handball mit rund 13.000 Mitgliedschaften. Bei den Mädchen ist Turnen die beliebteste Sportart, danach kommen Fußball, Leichtathletik und Reiten.
Würde man aus allen jungen Fußballerinnen und Fußballern eine repräsentative Mannschaft bilden, dann würden zehn Jungen und ein Mädchen auf dem Platz stehen. Bei einer typischen Handballmannschaft wären es vier Jungen und drei Mädchen. Ein Turn-Team bestünde aus vier Mädchen und zwei Jungen. Und in einer Reitgruppe wären neun Mädchen und ein Junge.
Betrachtet man die Zahlen für ganz Deutschland, ergibt sich ein ähnliches Bild. Turnen und Tennis sind im restlichen Deutschland etwas beliebter als im Osten. Leichtathletik ist weniger beliebt.
Die Gesamtsituation ist jedoch überall gleich: Jungen gehen lieber zum Fußball, Mädchen zum Turnen oder Reiten.
Woran das liegt, weiß Ilse Hartmann-Tews. Die Sportsoziologin forscht an der Sporthochschule Köln zu Geschlechterverhältnissen im Sport. "Im Prinzip haben Kinder alle Möglichkeiten", sagt Hartmann-Tews. Es gebe eine große gesellschaftliche Offenheit für turnende Jungs und fußballspielende Mädchen. "Aber in vielen Köpfen ist diese Offenheit noch nicht angekommen." Wer sich eine untypische Sportart aussuche, müsse immer noch mit Ressentiments und "dummen Sprüchen" rechnen, sagt Hartmann-Tews. Kinder würden dann oft gefragt: "Wie, du als Mädchen spielst Fußball? Oder: Wie, du als Junge spielst kein Fußball?" Sich trotzdem für die untypische Sportart zu entscheiden, erfordere Courage.
In Balletschläppchen lässt sich schwer Fußball spielen
Hinzu kommt: Viele Kinder werden laut Hartmann-Tews schon früh mit stereotypischen Bewegungsmustern und Körperbildern vertraut gemacht. Jungen würden als kraftvoll und stark eingeschätzt – Eigenschaften, die es eher beim Fußball oder beim Boxen braucht. Ästhetik und feinmotorische Bewegungen schreibe man hingegen eher Mädchen zu. Kinder würden in "unterschiedliche Bewegungsförderung hineingebracht, schon indem sie anders angezogen werden", sagt Hartmann-Tews. In Ballettschläppchen könne man kein Fußball spielen. In Sneakern aber auch kein Ballett tanzen.
Daten des Landessportbunds Sachsen-Anhalt zeigen, dass sich an den Geschlechterverhältnissen nur langsam etwas ändert. Vor zehn Jahren lag der Frauenanteil in Sachsen-Anhalts Fußballvereinen (inklusive Erwachsener) bei 9 Prozent, mittlerweile sind es 11 Prozent. Jahr für Jahr sind also etwas mehr Mädchen und Frauen auf dem Bolzplatz unterwegs. Bei anderen Sportarten sind die Ungleichheiten gewachsen: Beim Turnen ist der Frauenanteil von 77 auf 79 Prozent gestiegen, beim Pferdesport von 72 auf 78 Prozent.
Insgesamt sind nur rund 40 Prozent der Mitglieder in Sportvereinen Frauen. In fast allen Altersklassen – außer bei den Bambinis und den Senioren – gibt es einen deutlichen Männerüberhang. Hartmann-Tews zufolge liegt das auch an strukturellen Benachteiligungen. Es gebe weniger Frauen in Führungspositionen, weniger Trainerinnen und "wenn es in Richtung Wettkampfsport geht, sieht man immer wieder, dass die Jungen bessere Trainingszeiten, bessere Plätze und mehr Ressourcen bekommen", sagt Hartmann-Tews. Frauenmannschaften würden oft zweit- oder drittrangig behandelt. Es gebe eine mangelnde Anerkennung seitens des organisierten Sports.
Hartmann-Tews hat erforscht, welche Rolle der Sportjournalismus dabei spielt. Weniger als 10 Prozent der Berichte in Zeitungen und anderen Printmedien drehen sich demnach um Frauen. Männer würden auf Bildern zudem häufig in aktiven Posen dargestellt, Frauen eher am Spielfeldrand oder während einer Pause. Für Nachwuchssportlerinnen gebe es daher deutlich weniger Idole als für ihre männlichen Vereinskollegen, sagt Hartmann-Tews. "Wenn man Jungen nach ihren Vorbildern fragt, stehen die Sportler an erster Stelle. Bei den Mädchen kommen sie vielleicht an sechster oder siebter Stelle."
Die Landessportbünde haben das Problem auf dem Schirm. Der LSB Thüringen schreibt auf Anfrage, das Thema Gleichberechtigung sei "ein wichtiges Anliegen, welches wir beständig forcieren und gemeinsam mit unseren Mitgliedsorganisationen vorantreiben – um etwa die Statistiken weiter positiv zu entwickeln rund um ausgeglichene Mitgliederzahlen und eine ausgeglichene Anzahl an ehrenamtlich besetzten Funktionen vom Übungsleiter bis zum Schiedsgericht." Um das zu erreichen, gebe es Frauensporttage und eine jährliche Konferenz zum Thema Gleichstellung.
Mädchen und Jungen "eben an unterschiedlichen Sportarten interessiert"
Auch in Sachsen-Anhalt versuche man, "offen für alle Geschlechter zu sein und für jeden und jede ein passendes Angebot zu schaffen", sagt Torsten Kunke, Sportvorstand des LSB. Es gebe eine Vizepräsidentin für Gleichstellung, deren Arbeit darauf abziele, den Anteil von Frauen in Vereinen und in verantwortungsvollen Positionen zu erhöhen. Und man achte darauf, dass die Übungsleiter in ihrer Ausbildung für das Thema Geschlechtergerechtigkeit sensibilisiert würden.
Es ist ja nicht so, als ob die Mädchen sagen: Ich bin zwar Turnerin, aber eigentlich wäre ich lieber Fußballerin geworden
Er kenne keinen Fall, in dem ein Verein ein Kind wegen seines Geschlechts vom Training ausgeschlossen habe, sagt Kunke. Mädchen und Jungen seien eben an unterschiedlichen Sportarten interessiert. "Es ist ja nicht so, als ob die Mädchen sagen: Ich bin zwar Turnerin, aber eigentlich wäre ich lieber Fußballerin geworden."
Auch Hartmann-Tews plädiert dafür, dass jedes Kind die Sportart ausübt, bei der es sich wohlfühlt. Wenn ein Mädchen im Turnen seinen Platz finde, sei das super. Aber es gebe weiterhin gesellschaftliche Barrieren, die verhindern, dass alle Sportarten allen Kindern in gleichem Maße offenstehen. Um diese Barrieren abzubauen, brauche es in Vereinen eine vom Geschlecht unabhängige Willkommenskultur, bessere finanzielle Unterstützung für Frauenmannschaften, mehr Frauen in Führungspositionen und Werbekampagnen für geschlechtsuntypische Sportarten. "Es müssen viele Aspekte ineinandergreifen, damit es zu einem tiefgreifenden Kulturwandel kommt."
MDR (David Wünschel)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 24. Juni 2024 | 10:10 Uhr
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