Nach Anschlag Debatte über Begrenzung der Zuwanderung – Scholz in Solingen
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26. August 2024, 21:45 Uhr
Nach dem tödlichen Messerattentat in Solingen debattiert die Politik jetzt über eine Begrenzung der Zuwanderung. Bundeskanzler Scholz hat die Stadt besucht, während der mutmaßliche Täter in Untersuchungshaft sitzt. Der 26 Jahre alte Syrer hatte sich noch am Samstagabend gestellt und die Terrormiliz "Islamischer Staat" den Anschlag für sich reklamiert, auch mit einem Video.
- Debatte um Zuwanderung und Abschiebungen intensiviert
- Union erhöht Druck – SPD-Politiker weisen Forderungen zurück
- Weitere Ermittlungen laufen – IS veröffentlicht Video
Drei Tage nach dem tödlichen Messerangriff in Solingen hat Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag die Stadt in Nordrhein-Westfalen besucht. Im Beisein von Oberbürgermeister Tim Kurzbach, Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne) und Innenminister Herbert Reul (CDU) legt er am Ort des Anschlags eine Blume ab und sprach auch mit Einsatzkräften. Zudem stellte der SPD-Politiker eine rasche Verschärfung des Waffenrechts in Aussicht. Auch müssten die Menschen, die nicht hier sein dürften, konsequent aus Deutschland abgeschoben werden.
Zuvor hatte sich CDU-Chef Friedrich Merz als Reaktion auf den Anschlag für einen Aufnahmestopp gegen Syrer und Afghanen ausgesprochen. Er sagte in der ARD, nicht die Messer seien das Problem, sondern die Personen.
Der innenpolitische Fraktionssprecher der Union, Alexander Throm sagte MDR AKTUELL, durch weitere Messerverbote ließen sich Terroristen nicht aufhalten. Nötig seien anlasslose Kontrollmöglichkeiten für die Polizei.
Auch der FDP-Innenpolitiker Manuel Höferlin forderte schärfere Kontroll-Möglichkeiten: Auf vielen Veranstaltungen sei das Tragen von Messern bereits verboten. Diese Verbote müssten aber auch durchgesetzt werden.
Zudem forderte der CDU-Politiker Throm im MDR, dass wer aus einem sicheren EU-Staat nach Deutschland einreise, an der Grenze zurückgewiesen werden müsse. Der Asylantrag müsse im EU-Ankunftsland gestellt werden.
Throm sagte dabei auch, dass für Menschen aus Afghanistan und Syrien der subsidiäre Schutz nicht mehr gerechtfertigt sei. In beiden Ländern werde nicht mehr oder nur noch lokal gekämpft.
Union und Opposition machen Druck
Die Unionsfraktion will noch in dieser Woche in einer Sondersitzung des Bundestags-Innenausschusses über das Attentat von Solingen beraten. Man verlange "Antworten" von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), sagte Unions-Innenexpertin Andrea Lindholz (CSU), "alle Erkenntnisse" zu Täter und Tat und was sie plane, um die Sicherheitslage im Land zu verbessern.
Thüringens CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl, Mario Voigt, forderte Rückführungszentren für abgelehnte Asylbewerber, um zu verhindern, dass sie vor Abschiebungen untertauchen. Für Abschiebungen von Syrern auch für Menschen aus Afghanistan dürfe es keine "Sonderregeln" mehr geben.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Reul regte im Deutschlandfunk parteiübergreifende Gespräche über Asylverfahren an. Es sei "mittlerweile unbestritten", dass Zuwanderung begrenzt werden müsse. AfD-Chefin Alice Weidel verlangte auf X inzwischen einen ganz generellen Einwanderungs-, Aufnahme- und Einbürgerungsstopp in Deutschland für fünf Jahre.
BSW-Chefin Amira Mohamed Ali sagte im rbb24 Inforadio, in bessere Asylverfahren müsse "man auch investieren", um sie beschleunigen zu können. Sie sprach einem Ungleichgewicht bei Abschiebungen: "Zum Teil werden junge Leute, die sich noch in Ausbildung befinden, in Nacht-und-Nebel-Aktionen abgeschoben. Auf der anderen Seite haben wir Intensivtäter, die immer noch hier sind. Das kann man eigentlich keinem erklären."
SPD-Politiker weisen Forderungen zurück
SPD-Chefin Saskia Esken widersprach den Unions-Forderungen. Ein Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan sei weder mit der Verfassung noch mit der Europäischen Flüchtlingskonvention vereinbar. Straftäter und Gefährder müssten aber abgeschoben werden können.
Auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert wies die Forderung zurück. Er sagte in der ARD: "Die Antwort kann doch nicht sein, dass wir Menschen, die selber vor Islamisten fliehen, jetzt die Tür vor der Nase zuschlagen." Man müsse sich anschauen, warum die Rückführung des mutmaßlichen Täters nach Bulgarien nicht geklappt habe und da NRW jetzt die Fakten auf den Tisch legen.
Kühnert sagte, die Ampel arbeite an Lösungen für die Abschiebung von Intensivstraftätern auch nach Syrien und Afghanistan. Sie komme auch bei Waffenrecht und Messerverboten voran. Es müsse aber verstärkt auch um die Radikalisierung von Einzeltätern gehen, "wo wir nicht gut vorankommen".
Weitere Ermittlungen laufen
Am Freitagabend soll der 26 Jahre alte Syrer auf dem "Festival der Vielfalt" zum 650. Gründungstag der Stadt Solingen drei Menschen mit einem Messer getötet und acht verletzt haben, fünf davon schwer. Dabei soll er gezielt die Hälse seiner Opfer attackiert und im Tumult zunächst entkommen sein.
Die drei Todesopfer sind zwei Männer im Alter von 67 und 56 Jahren sowie eine 56 Jahre alte Frau. Die fünf schwer verletzten Personen sind inzwischen außer Lebensgefahr.
Der mutmaßliche Täter stellte sich am Samstagabend und wurde festgenommen. Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof erließ Haftbefehl. Der Generalbundesanwalt ermittelt unter anderem wegen Mordes und Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung.
Nicht als Extremist bekannt
Nach Medienberichten kam der Mann Ende Dezember 2022 nach Deutschland und stellte einen erfolglosen Asylantrag. Vergangenes Jahr sollte er dann nach Bulgarien abgeschoben werden, wo er erstmals registriert worden war. Dazu kam es aber nicht, weil er in seiner Flüchtlingsunterkunft in Paderborn nicht anzutreffen war.
Erst Monate später soll er wieder aufgetaucht sein. Die Abschiebung war wegen abgelaufener Fristen damit aber vorerst hinfällig und der Syrer wurde nach Solingen überstellt. Den Sicherheitsbehörden sei er bislang nicht als islamistischer Extremist bekannt gewesen.
Warum die Abschiebung nicht erfolgt sei, könne er nicht sagen, hatte NRW-Innenminister Reul erklärt. Er sei im Land auch nicht für die Abschiebungen zuständig, sondern seine Kabinettskollegin Josefine Paul von den Grünen in ihrem Ressort für Familie, Flucht und Integration.
"Ich glaube", sagte Reul, "es liegt nicht an einem einzelnen Vorgang", der falsch gelaufen sei, "sondern man muss auf das System gucken". In diesem Fall seien wohl Fristen verstrichen, um den Mann zurück nach Bulgarien zu bringen, wo er in die EU eingereist sei. Er sei jedoch "nicht untergetaucht", sondern immer wieder auch in der Flüchtlingsunterkunft gewesen.
IS beansprucht Anschlag für sich
Die Terrormiliz "Islamischer Staat" hatte den tödlichen Angriff bereits am Samstag für sich reklamiert. Sie erklärte auf Telegram, die Tat sei von einem ihrer Mitglieder "als Rache für Muslime in Palästina und überall" verübt worden.
Zuletzt wurde vom IS auch noch ein kurzes Video veröffentlicht, das den mutmaßlichen Täter zeigen soll. Zu sehen ist ein vermummter junger Mann mit einem langen Messer, der auf Arabisch dem IS die Treue schwört.
Zwei weitere Festnahmen
Spezialkräfte der Polizei waren am Samstagabend in einer Solinger Flüchtlingsunterkunft im Einsatz. Nach Angaben eines Sprechers der Polizei in Düsseldorf wurde eine Person festgenommen. Dabei handele es sich nach derzeitigem Ermittlungsstand um einen Zeugen.
Am Samstagnachmittag war bereits ein 15-Jähriger festgenommen worden. Bei ihm soll der Verdacht auf "Nichtanzeige geplanter Straftaten" bestanden haben, da der mutmaßliche Täter mit ihm gesprochen haben könnte.
dpa/AFP/Reuters/ots (ksc, mbe, lmb, jst)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 26. August 2024 | 21:45 Uhr