Mobilität Übersicht: Welche Bahnstrecken in Mitteldeutschland reaktiviert werden sollen

25. Oktober 2023, 14:55 Uhr

In den letzten Jahrzehnten sind in Deutschland rund 5.100 Kilometer an Bahnstrecken stillgelegt worden. Doch im Zuge der Verkehrswende und im Kampf gegen den Klimawandel steigt das Interesse in Deutschland, diese Strecken zu reaktivieren. Auch die mitteldeutschen Länder wollen alte Bahnstrecken wiederbeleben. Laut zwei Interessensverbänden liegen sechs positive Machbarkeitsstudien für Reaktivierungsprojekte vor. Doch es gibt Kritik an der langsamen Umsetzung.

Im Zuge der Verkehrswende wird in Deutschland die Reaktivierung von stillgelegten Bahnstrecken vorangetrieben. Laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen steigt bei den Bundesländern das Interesse an der Wiederbelebung alter Bahnstrecken, um mehr Menschen an das Schienennetz anzuschließen, wieder. Doch das Tempo beim Ausbau sei bisher sehr langsam.

Großes Interesse an der Reaktivierung alter Bahnstrecken

Bundesweit wurden seit 1990 mehr als mehr als 5.100 Kilometer an Bahnstrecken stillgelegt. Laut VDV ist die Nachfrage nach Wiederbelebung stillgelegter Gleise stark gestiegen. Die Zahl der beauftragten Machbarkeitsstudien zu Reaktivierungen wachse täglich, teilte der Geschäftsführer für Eisenbahnverkehr des VDV, Martin Henke, am Montag in Berlin mit. "Damit ist das Thema Reaktivierung vor Ort angekommen", sagte Henke. In einigen Fällen hätten die Länder schon die nächsten Schritte eingeleitet, etwa mit dem Bau begonnen oder sogar schon den Regionalverkehr bestellt.

Henke sagt, inzwischen gebe es für 163 Strecken entsprechende Untersuchungen. "Bei 103 Strecken liegen Ergebnisse vor. 79 davon waren positiv.". Eine Streckenreaktivierung würde sich in einem solchen Fall also rechnen. Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, fügte hinzu: "Das macht uns zuversichtlich, dass viele dieser Projekte auch die nächsten Prüfungsschritte schaffen und dann auch umgesetzt werden."

Streckennetz in Mitteldeutschland

In Mitteldeutschland gibt es laut dem Eisenbahn-Bundesamt seit der Bahnreform von 1994 rund 150 stillgelegte Strecken mit rund 1.600 Streckenkilometern. In einer aktuellen Untersuchung nennt der VDV 37 Strecken, die für eine Reaktivierung in Frage kommen. Davon die meisten im Personenverkehr.

Deshalb haben Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen ebenfalls Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben, die den finanziellen und ökologischen Nutzen der zu reaktivierenden Strecken prüfen soll. Für Thüringen und Sachsen-Anhalt gab es dabei jeweils eine positiv abgeschlossenen Studie. Sachsen hatte in vier Fällen positive Ergebnisse, um stillgelegte Strecken wiederzubeleben.

Thüringen: Ministerium gründet eigene Stabsstelle

In Thüringen wurden dem Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft zufolge nach der Wiedervereinigung und seit der Bahnreform insgesamt 41 Eisenbahnstrecken mit einer Gesamtlänge von 467 Kilometern stillgelegt. Auf Anfrage von MDR-AKTUELL werden derzeit acht stillgelegte Bahnstrecken für eine Wiederbelebung geprüft. "Die Verlagerung von Verkehr auf umweltfreundliche Verkehrsträger ist ein wichtiges Anliegen der Thüringer Landesregierung", erklärt die Sprecherin Konstanze Gerling-Zedler.

Dafür richtete die Landesregierung Anfang 2022 eine eigene Stabsstelle im Ministerium ein. Die solle mögliche Streckenreaktivierungen prüfen und die Ertüchtigung vorhandener Eisenbahnstrecken untersuchen sowie bewerten. Laut Gerling-Zedler wurde bereits ein Gutachten erstellt, das eine vergleichende Erstbewertung ausgewählter Strecken nach Potenzialen, Kosten und Nutzen auf der Basis vergleichbarer Parameter vornimmt. Die Ergebnisse lägen dem Ministerium seit Kurzem vor und würden in eine Handlungsempfehlung, die das Ministerium Ende des Jahres veröffentlichen will, eingearbeitet, sagte die Sprecherin.

Diese stillgelegten Strecken werden für eine Reaktivierung geprüft:

  • die Kyffhäuserbahn (Bretleben - Bad Frankenhausen),
  • die Unstrutbahn (Wangen - Artern),
  • die Pfefferminzbahn (Straußfurt - Großheringen),
  • die Höllentalbahn (Blankenstein - Marxgrün),
  • die Werrabahn (Südthüringen - Coburg),
  • die Rennsteigbahn (Ilmenau - Themar),
  • die Ohratalbahn (Gotha - Gräfenroda)
  • die Max- und Moritzbahn (Probstzella - Ernstthal).

Sachsen: Mögliche Reaktivierung für vier Strecken

In Sachsen sind rund 61 Streckenabschnitte mit einer Gesamtlänge von 530 Kilometern seit Mitte der 90er stillgelegt. In einem Gutachten des sächsischen Wirtschaftsministeriums von 2021 wurden 22 Zugstrecken in einer Erstbewertung auf eine Chance für eine Reaktivierung geprüft. Acht kamen dabei in die engere Auswahl für weitere Prüfungen.

Diese acht Stecken werden geprüft:

  • Strecke Döbeln – Nossen – Meißen
  • Strecke Marienberg – Pockau – Lengefeld
  • Strecke Beucha – Brandis – Trebsen
  • Strecke Kamenz – Hosena (wird nunmehr über das Investitionsgesetz Kohleregionen umgesetzt)
  • Strecke Löbau – Ebersbach (zzgl. optionaler Strecke Niedercunnersdorf – Oberoderwitz)
  • Strecke Großbothen – Rochlitz – Narsdorf (Muldentalbahn)

Vier stillgelegte Strecken haben demnach gute Voraussetzungen, wiederbelebt zu werden, wie das Ministerium in einem aktuellen Schreiben mitteilte. Demnach seien die Strecken Beucha – Brandis – Trebsen, die Strecke Pockau – Lengefeld – Marienberg, die Strecke Döblen – Meißen sowie die Strecke Löbau – Ebersbach besonders gut geeignet.

Die Studien bescheinigten allen Strecken ein ausreichendes Fahrgastpotential und moderate Investitionskosten. "Mit den verkehrspolitischen Sprechern der Koalitionsfraktionen haben wir uns auf Grundlage der Ergebnisse und der im Landeshaushalt zur Verfügung stehenden Mittel darauf verständigt, uns vorerst auf die Strecken Döbeln - Meißen und Pockau-Lengefeld-Marienberg weiter zu fokussieren und die mögliche Aktivierung beider Strecken weiterzuverfolgen“, erklärt Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig.

Für die Strecke Döbeln – Meißen wurde im Sommer 2021 bereits ein Planungsvertrag für die Reaktivierung abgeschlossen. Dieser werde derzeit auf die aktuellen Rahmenbedingungen angepasst, heißt es aus dem Ministerium. „Mit der Erzgebirgsbahn werden aktuell die Vertragsgrundlagen für die Planungsaufnahme abgestimmt, um schnell mit den Planungen beginnen zu können. Ebenso stehen wir in Abstimmung mit dem ZVMS zu den im Betrieb entstehenden Betriebskosten", fügt Dulig hinzu.

Sachsen-Anhalt: Einige Strecken in der Entwurfsplanung

In Sachsen-Anhalt sind 46 Strecken mit einer Gesamtlänge von 660 Kilometern stillgelegt. Der VDV schlägt vor, elf Strecken wiederzubeleben. Auf MDR-AKTUELL Anfrage heißt es vom Ministerium für Infrastruktur und Digitales: "Vor allem für solche Strecken, die unter vergleichbaren Rahmenbedingungen in den 60er und 70er Jahren in Westdeutschland zu Stilllegungen gekommen wären, werden aktuell Reaktivierungen geprüft oder wurden bereits umgesetzt." Maßnahmen zur Verbesserung des Eisenbahnangebotes führe man daher vor allem im Bestandsnetz durch, wo es einen Nachholbedarf bezüglich des Ausbaustandards gebe, erklärte Ministeriumssprecher Andreas Tempelhof.

Folgende Strecken werden geprüft:

  • Verbindungskurve Calbe
  • Verbindungskurve Großkorbetha
  • Barby – Güterglück
  • Bitterfeld – Stumsdorf
  • (Beyendorf –) Abzw. Wolfsfelde – Magdeburg-Salbke (– Magdeburg-Buckau)
  • Elend – Braunlage

Dabei sind die Strecken Calbe und Großkorbetha laut dem Ministerium bereits in der Entwurfsplanung. Sie sollen bis Ende des Jahrzehnts und 2035 eingerichtet sein. Dadurch erhoffe man sich künftig erhebliche Reisezeitverkürzungen auf den Strecken Bernburg/Calbe – Magdeburg und Merseburg – Leipzig, sagte Tempelhof.

Für die Strecken Barby – Güterglück ist eine Machbarkeitsstudie abgeschlossen, untersteht jedoch weiterer Prüfung. Für die Strecken Bitterfeld – Stumsdorf und Elend – Braunlage sind Kosten-Nutzen-Studien geplant.

Studie: Bessere Bahnanbindung für 30 Millionen Menschen

Eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) besagt, dass die Wiederinbetriebnahme stillgelegter Strecken mehr als 30 Millionen Menschen in Deutschland eine bessere Anbindung an regionale Ballungsräumen ermöglichen würde.

Der Untersuchung zufolge würden sich damit die Lebensqualität vieler ländlicher Gebiete erhöhen, der angespannte Wohnungsmarkt in Großstädten entlastet sowie den Zugang zu Gesundheitsversorgung und Arbeitsplätzen verbessern.

Zudem ist eine Reaktivierung einfacher und oftmals günstiger als ein Strecke völlig neu zubauen, da die vorhandene Infrastruktur ganz oder in Teilen genutzt werden kann. Außerdem können durch eine ausgeweitete Nutzung Synergien erreicht werden.

Kritik an mangelndem Tempo bei Reaktivierung

Trotz der Bemühungen der Länder stillgelegte Bahnschienen wiederzubeleben, gebe es bei der Reaktivierung nach wie vor zu wenig Tempo, sagte Dirk Flege, Geschäftsführer des Interessenverbands Allianz pro Schiene. "Wir haben inzwischen gute Rahmenbedingungen, viele Studien, viel Engagement vor Ort", sagte er am Montag. "Entscheidend ist aber, was hinten heraus und da ist die Bilanz extrem mager."

Das liegt nicht zuletzt an der Finanzierung, die bereits bei den ersten Kosten-Nutzen-Studien beginnt. Gerade viele Kommunen können sich aufwendige Untersuchungen finanziell kaum leisten und sind auf Fördermittel angewiesen. Zwar fördert der Bund die Reaktivierung stillgelegter Strecken über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz mit 90 Prozent der Kosten. Das gilt allerdings nur für die Reaktivierung von Schienenwegen für den Personenverkehr. Auch die Kofinanzierung durch das Land sei durch die finanziellen Restriktionen vieler Länderhaushalte nur begrenzt möglich, erklärt der Sprecher des Verkehrsministeriums aus Sachsen-Anhalt.

Zudem sind die Hürden für eine Genehmigung hoch und gesetzliche Änderungen langwierig. Länder und Kommunen haben Flege zufolge in den letzten Jahren zunächst auf eine neue rechtliche Grundlage für die Wiederertüchtigung alter Schienenwege gewartet. Diese sei im Juli in Kraft getreten.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL Fernsehen | 23. Oktober 2023 | 22:00 Uhr

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