Schule Pisa-Schock mit Ansage - Wie können wir besser werden?

06. Dezember 2023, 20:05 Uhr

Ursachen für schlechte PISA-Ergebnisse gibt es viele, Meinungen auch. Nicht alle sind sachlich, aber vielleicht hilft der Blick auf "die da oben", also auf die Spitzenreiter.

Die Finnen werden immer gern als Vorbilder dargestellt, gespeist aus dem "Wissen", die hätten sich ihr Bildungssystem in der DDR abgeschaut. Das hält sich hartnäckig, die Finnen dementieren vergeblich. Richtig ist, dass sie in den Sechzigerjahren auch den Ostblock bereist haben, um Eindrücke zu sammeln. Paavo Malinen war damals dabei und hat den Autoren der "Studien zum Bildungswesen und Schulsystem in Finnland" Rede und Antwort gestanden.

Erstklässler während des ersten Unterrichts in Dresden, 1989
Der finnische Schulerfolg wird oft fälschlicherweise darauf zurückgeführt, sich das DDR-Bildungssystem zum Vorbild genommen zu haben. Bildrechte: imago/Bernd Friedel

Die Reise in den Ostblock führte damals bei der politischen Rechten in Finnland zu dem Vorwurf, man wolle hier ein sozialistisches Schulmodell einführen, das aus der DDR stammt, so wird Paavo Malinen zitiert.

Doch die Anregungen für die neue Grundschule in den Siebzigerjahren mit individueller Förderung, pädagogischer Differenzierung und besonderer Betreuung von Schülern mit Lernschwäche holte man sich aus der amerikanischen erziehungspsychologischen Literatur und bei den Nachbarn in Schweden. Ein sozialistisches Grundschulmodell sei kein Vorbild für die Finnen gewesen, schreiben die Autoren der Studien.

Die administrative Struktur der Grundschule war jedoch hauptsächlich dem schwedischen System nachempfunden. In den offiziellen Plänen wurde nirgends darauf hingewiesen, dass die Grundschule nach sozialistischem Modell geplant wurde.

Studien zum Bildungswesen und Schulsystem in Finnland

Der Aufbau des Schulsystems in Finnland

Obwohl Finnland im aktuellen Pisa-Ranking auch nur wenige Plätze und Punkte vor uns liegt, lohnt sich ein Blick auf die Struktur des Bildungssystems. Es gibt genügend Kindergartenplätze und das Anbieten einer einjährigen Vorschule für alle, die auch von fast allen wahrgenommen wird, aber keine Pflicht ist.

Anschließend folgt eine neunjährige gemeinsame Schulpflicht. Danach spalten sich die Wege in einen eher praktischen und einen eher wissenschaftlichen Zweig. Letzter ist das Gymnasium. Schüler, die praktisch veranlagt sind, gehen ab der zehnten Klasse auf berufsorientierte Schulen, wie zum Beispiel technische Schulen, landwirtschaftliche Schulen, Handelsschulen oder Schulen für Sozialberufe. Die Abschlüsse an den Gymnasien aber auch die Abschlüsse an den berufsorientierten Schulen gelten als Zugangsberechtigung für Hochschulen.

Was macht der Spitzenreiter anders?

Unangefochtener Spitzenreiter ist weiterhin Singapur. Den Stadtstaat in Südostasien hat schon 2018 das Deutsche Schulportal der Robert Bosch Stiftung analysiert und ist zu dem Schluss gekommen, dass dies das Ergebnis einer gewaltigen Kraftanstrengung war. Mitte der 60er-Jahre waren die meisten der 5,5 Millionen Einwohner Analphabeten, zugewandert aus China, Malaysia und Indien. Rohstoffe gab und gibt es nicht, also investierte man in Bildung. Bis heute fließt ein Fünftel des Staatshaushaltes in Lehrerbildung und das Schulsystem, nur die Militärausgaben sind höher.

Aber: Das Geld alleine kann es auch nicht sein, die OECD-Statistik 2020 zeigt: Tabellenzweiter Japan investiert nur 4,1 Prozent des Staatshaushaltes, Deutschland immerhin 4,6 Prozent. Estland als Tabellenvierter 4,8 Prozent, dazu kommen wir noch.

Der Autor des Singapur-Artikels Michael Schratz war als Gastprofessor in dem asiatischen Land tätig. Er hat die asiatischen Tugenden wie Anstrengung, Fleiß und Disziplin als Basis erlebt, weniger das Auswendiglernen. Stattdessen gibt es in Singapurs Schulen ständig variierende Aufgabenstellungen mit vielfachem "Bezug zum Lebensalltag".

Eigene Lebenserfahrungen spielen eine große Rolle. Nur die besten Absolventen werden Lehrer. Sie sind hoch angesehen, verdienen sehr gut, müssen sich aber auch intensiv fortbilden und permanent darüber Rechenschaft ablegen. Außerdem gibt es eine ausgeprägte Feedback-Kultur mit wöchentlichen Pflichtveranstaltungen, man hospitiert gegenseitig und wertet die Ergebnisse aus. Und trotz großer Klassen (Durchschnitt 2018: 36 Kinder) wird großer Wert gelegt auf eine individuelle Förderung der einzelnen Kinder.

Warum ist Estland so weit oben gelandet?

ARD-Korrespondentin Sofie Donges hat sich das estländische Bildungssystem genauer angeschaut. Auffällig: Der Kindergarten wird als Bildungseinrichtung verstanden. Zwei Drittel der Zweijährigen gehen in diese Vorschule. Es gibt einen Lehrplan und "Qualifikationsanforderungen für Pädagogen" sagt Bildungsministerin Kristina Kallas.

Es wird bis zur 9. Klasse gemeinsam gelernt, man scheint sehr darauf zu achten, dass niemand zurückbleibt. Wer Hilfe braucht, soll sie individuell bekommen. Die Lehrer sind schlecht bezahlt, aber hoch angesehen. Corona hat keine so großen Lücken gerissen, die Digitalisierung im Bildungswesen war so weit fortgeschritten, dass Homeschooling problemlos möglich war.

Aber jeder, der hierzulande Kinder hat, bekommt aus Estland auch schmerzliche Hinweise auf mögliche Versäumnisse bei den eigenen Hausaufgaben. Für die estnische Pisa-Expertin Gunda Tire muss nämlich die Basis für eine gute Bildung in der Familie gelegt werden. Die Wertevermittlung passiert zu Hause, sogar das gemeinsame Abendbrot sei ein wichtiger Bestandteil bei der Wissensvermittlung.

Es gibt Studien dazu, dass ein wichtiger Bestandteil für Bildung das gemeinsame Abendessen zu Hause ist.

Gunda Tire, Pisa-Expertin aus Estland

Eine Familie diskutiert am Essenstisch.
Das gemeinsame Abendessen - wichtig für den Bildungsgrad der Kinder? (Symbolbild) Bildrechte: Colourbox.de

Das bedeutet: Während deutsche Experten sicher noch eine Weile darüber streiten werden, wie der große Wurf aussehen könnte, der unsere 16 Bildungssysteme nach vorne bringt, könnten die Eltern- und Großelternhäuser direkt loslegen. Noch heute Abend, mit einem gemeinsamen Abendessen. Eine Forsa-Erhebung im Auftrag des Kinderhilfswerkes von 2020 zeigt, dass bei rund 20 Prozent der Kinder beim gemeinsamen Essen nicht über den Tag gesprochen wird. Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass gemeinsame Familienmahlzeiten mit steigendem Bildungsgrad einen höheren Stellenwert bekommen.

Auch abseits der Tischzeiten gibt es sicherlich Reserven: weniger Handy, mehr Bücher, abendliches Vorlesen und eigenes Wissen kindgerecht weitergeben. Das ist nicht alles, aber selbst das wird zu häufig ignoriert. Wir können Geschichten erzählen und Mathematik in den Alltag einbinden, beim Einkaufen, beim Autofahren, beim Spazierengehen. Möglichkeiten gibt es überall, mit den Kindern die Welt zu entdecken und damit die Basis zu legen für die Schule. Die alleine wird es nicht richten können.

Es braucht ein ganzes Dorf, damit ein Kind gut gedeiht.

Sprichwort

MDR (csr)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 06. Dezember 2023 | 16:40 Uhr

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