Reaktionen auf Pisa-Studie Lehrergewerkschaften: "Deutschland hat ein eklatantes Gerechtigkeitsproblem"

05. Dezember 2023, 22:21 Uhr

Die OECD legt die neuesten PISA-Ergebnisse vor. Schüler in Deutschland haben 2022 ihr bislang schlechtestes Ergebnis erreicht. Bildungsexperten, Gewerkschaften und Lehrer reagieren wenig überrascht. Bei den Ursachen sind sie sich alle einig: Zu wenig Lehrer, fehlende Digitalisierung, zu viel soziale Ungleichheit. Corona habe diese Entwicklungen verstärkt. Verbände wünschen sich einen Neuanfang und Investitionen im Bildungswesen. Politiker fordern mehr Lehrer und außerschulische Sprachförderung.

Lehrer, Gewerkschaften und Bildungsexperten haben sich angesichts der schlechten Ergebnisse deutscher Schüler bei der aktuellen Pisa-Studie nicht überrascht gezeigt und Konsequenzen gefordert. Unter anderem nannte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) es einen Skandal, dass sich die Abhängigkeit der schulischen Leistungen vom Elternhaus seit über 20 Jahren nicht verringert habe.

"Deutschland hat seit Jahrzehnten sowohl ein Leistungs- als auch ein eklatantes Gerechtigkeitsproblem", erklärte GEW-Vorstandsmitglied Anja Bensinger-Stolze. Laut Bensinger-Stolze braucht Deutschland einen Masterplan gegen Bildungsarmut und für soziale Gerechtigkeit.

Lehrergewerkschaften fordern Neuanfang und Investitionen

Für die Pisa-Studie befragte Schulleiter sehen die Ursache für viele Schwierigkeiten im Mangel an gut qualifizierten Lehrkräften. Die Bildungsgewerkschaften schließen sich dieser Einschätzung an. Der Chef des Verbands Bildung und Erziehung (VEB), Gerhard Brand, erklärte, jetzt zeigten sich die Auswirkungen von Vertretungsstunden und Schulausfall.

Die Politik solle das Ergebnis als Warnruf annehmen und den Lehrkräftemangel stärker bekämpfen. Brand sieht ebenfalls eine schlechte ungenügende Digitalisierung der Schulen sowie große soziale Ungleichheit im Land als Ursachen.

Die Arbeitgeberverbände forderten einen Neuanfang im Bildungswesen. BDA-Präsident Rainer Dulger sagte, andernfalls sei ein Kompetenzverlust nicht mehr aufzuholen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte die Einrichtung eines Sonderfonds Infrastruktur, mit dem unter anderem in Kitas und Schulen investiert werden soll.

Thüringer Eltern und Lehrer verlangen mehr Personal

Ein Ruck müsse durch die Bildung gehen. Das verlangt die Thüringer Landeselternvertretung. Sie sagt, die Politik müsse vor allem verstehen, dass Kinder Priorität hätten. Sie fordern unter anderem mehr Lehrer an den Schulen einzustellen, lebensnahe Lernpläne und mehr Hilfen beim Wechsel vom Kindergarten zur Schule sowie von der Schule zu Ausbildung.

Das Bildungsministerium sagte MDR THÜRINGEN auf Nachfrage, dass vor allem beim Lehrermangel ein langer Atem nötig sei. Sprecher Felix Knothe zufolge müssten zwei Generationen von Lehrern ersetzt werden. Er forderte auch, dass sich der Bund stärker finanziell engagieren müsse, zum Beispiel um schon Kleinkinder besser zu fördern.

Sachsen-Anhalt fordert mehr außerschulische Sprachförderung

Das schlechte Abschneiden deutscher Schüler bei der Pisa-Studie hat in Sachsen-Anhalt eine Debatte über Reformen im Bildungswesen ausgelöst. Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) sagte MDR SACHSEN-ANHALT, die schlechten Leistungen beim Lesen und in Mathematik seien auf fehlende Sprachkompetenz zurückzuführen.

Vor allem Schüler mit Migrationshintergrund müssten auch außerschulisch sprachlich gefördert werden. Die CDU-Politikerin kündigte für Januar eine Kabinettsvorlage an.

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Ein neues Schuljahr steht bevor. Doch Lehrermangel und fehlende Digitalisierung werfen die Frage auf: Ist das Schulsystem noch zu retten?

MDR AKTUELL Fr 11.08.2023 09:00Uhr 31:20 min

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Die Grünen-Landtagsfraktion verlangte grundsätzliche Änderungen am Bildungssystem. Kinder sollten länger in der Grundschule zusammen lernen, forderte die bildungspolitische Sprecherin der Grünen, Susan Sziborra-Seidlitz. In anderen Staaten werde das längst erfolgreich praktiziert.

Bildungsgewerkschaft in Sachsen fordert schnelles Handeln

Sachsens Bildungsgewerkschaft GEW kritisiert vor allem die soziale Ungerechtigkeit und Sparmaßnahmen im Bildungssektor. Besonders verurteilte sie, dass die schulischen Leistungen weiterhin stark vom Elternhaus und der sozialen Herkunft abhängen. Diese Ungerechtigkeit habe in Krisenzeiten sogar noch zugenommen. Deshalb fordern sie ein schnelles und konsequentes Handeln der Landesregierung.

Der Sparzwang der Vergangenheit habe dazu geführt, dass es zu wenig Personal gebe, die Lehrkräfte überlastet seien, Digitalisierung und Medienbildung um Jahre zurückliegen würden. Bildung müsse in der Politik jetzt eine absolute Priorität bekommen.

Bildungsökonom will Bildungsreformen

Der Leiter des ifo-Zentrums für Bildungsökonomie, Ludger Wößmann, bezeichnete die Ergebnisse bei MDR AKTUELL als wirklich schlimm. In den Schulen müsste ein viel stärkerer Fokus auf Vermittlung grundlegender Kompetenzen gelegt werden.

Die PISA-Experten verwiesen darauf, dass an deutschen Schulen immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund unterrichtet würden. Deshalb müssten vor allem die Lese- und Sprachfähigkeiten schon ab der Kita gestärkt werden.

MDR, dpa (lmb)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL Fernsehen | 05. Dezember 2023 | 17:59 Uhr

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