Faktencheck Können Kriminelle durch Geschlechts- und Vornamenswechsel leichter untertauchen?
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21. Mai 2024, 11:45 Uhr
Geschlecht und Vorname amtlich wechseln – das neue Selbstbestimmungsgesetz wird das ab November möglich machen. Sachsens Innenminister Armin Schuster hält genau das für sicherheitsgefährdend. Schuster sorgt sich, dass Kriminelle das neue Gesetz zum Untertauchen nutzen, dass sich also Straftäter mit neuem Vornamen und neuem Geschlecht der Strafverfolgung entziehen. Ist das möglich und wie gefährlich ist das? Ein Faktencheck.
- Das aktuelle Melderecht ermöglicht es bereits, unterzutauchen, sagt Rainer Wendt von der deutschen Polizeigewerkschaft.
- ARD-Terrorexperte Michael Götschenberg geht nicht davon aus, dass Kriminelle und Terrorverdächtige ihren Vornamen oder ihr Geschlecht ändern.
- Sachsens Innenminister Armin Schuster fordert Nachbesserungen am Selbstbestimmungsgesetz.
Nehmen wir mal an, Sie rauben eine Bank aus und entkommen mit einem Kofferraum voller Geld. Der Polizei gelingt es nach Wochen ihre Identität zu ermitteln und nun werden Sie per Haftbefehl gesucht. Aber Sie haben inzwischen Ihren Vornamen geändert und Ihr amtliches Geschlecht gewechselt, durch eine einfache mündliche Erklärung beim Standesamt. Ihr alter Vorname und ihr altes Geschlecht dürfen laut neuem Selbstbestimmungsgesetz nirgendwo gespeichert werden.
Für den Chef der deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, ist es "vorstellbar" dass das neue Selbstbestimmungsgesetz zum Untertauchen genutzt werden könnte. Eine Sicherheitsgefahr sieht er aber nicht. Wendt zufolge werden weitere wichtige Merkmale für die Fahndung durch das neue Selbstbestimmungsgesetz nicht angetastet wie Geburtsdatum, Nachname oder Aussehen. Damit kann die Polizei auch Ihnen als Bankräuber weiterhin auf die Spur kommen.
Wendt: Meldegesetz macht Untertauchen bereits möglich
Außerdem sei das Untertauchen auch jetzt schon recht einfach möglich, über das Melderecht, sagt Wendt. "Man muss sich nur irgendwo abmelden, man meldet sich nicht wieder an." Das Melderecht sei ziemlich löchrig, weil es nur ein kommunales Recht sei, betont Wendt. "Und wenn man in keiner zentralen Datei auftaucht, dann wird man keine Schwierigkeiten haben, unterzutauchen." Davon machten viele Leute bereits jetzt Gebrauch.
ARD-Terrorexperte: Überschaubares Problem
Auch Michael Götschenberg, Terrorexperte der ARD, hält das Problem für marginal – gerade bei Terroristen wie Islamisten oder Neonazis. "Ich halte es grundsätzlich für sehr theoretisch, dass Kriminelle oder gar Terrorverdächtige, zu diesem Mittel greifen, um zu verschleiern, wo sie sich aufhalten. Man darf ja nicht vergessen, dass es insbesondere für Rechtsextremisten und Islamisten ideologisch gerade bei dem Thema eigentlich nicht vorstellbar ist, dass sie ihr Geschlecht wechseln und sei es auch nur behördlich wechseln. Und insofern ist der Kreis, der dann am Ende übrig bleibt relativ überschaubar."
Man darf ja nicht vergessen, dass es insbesondere für Rechtsextremisten und Islamisten ideologisch gerade bei dem Thema eigentlich nicht vorstellbar ist, dass sie ihr Geschlecht wechseln und sei es auch nur behördlich wechseln.
Schuster dringt auf Nachbesserung des Gesetzes
Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) warnt dennoch vor einem Sicherheitsrisiko. Das neue Gesetz erleichtere die Identitätsverschleierung von Kriminellen und erschwere die Arbeit der Polizei erheblich, sagte Schuster der Leipziger Volkszeitung. Sollte er damit recht haben, dann könne man das Gesetz ja später immer noch ändern, meint Rainer Wendt von der Polizeigewerkschaft. "Also, wenn sich herausstellen sollte, dass dies wirklich ein Phänomen von Relevanz ist, was die Sicherheitslage angeht, dann muss der Gesetzgeber nachbessern. So lange kann man aber in der Tat warten. Deshalb sollte man das jetzt erst einmal so abwarten und dann schauen, ob irgendwann mal irgendwo ein solcher Fall auftaucht und ob es dann notwendig sein wird, das Gesetz doch zu ändern", betont Wendt.
Schuster dringt dagegen auf eine sofortige Nachbesserung, möglichst bis zum Jahresende, und wird auch schon konkret: Das Gesetz soll es den Sicherheitsbehörden ermöglichen, Namens- und Geschlechtsänderungen jederzeit zurückverfolgen zu können.
Ursprünglich war genau das im Gesetz vorgesehen, doch von der Ampel wieder gestrichen worden. Es wurde als diskriminierend angesehen, Geschlechtsänderungen überprüfen und Personen damit quasi gegen ihren Willen "outen" zu können.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL - Das Nachrichtenradio | 21. Mai 2024 | 06:51 Uhr