Antisemitismus im Internet "OY VEY!": Gegenöffentlichkeit zu antisemitischen Verschwörungsmythen
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11. November 2023, 05:00 Uhr
Mitte Oktober ist die Online-Plattform "OY VEY!" an den Start gegangen. Sie bietet die Grundlagen dafür, Verschwörungsmythen in den sozialen Medien zu widersprechen und Antisemitismus entgegenzutreten. Dabei wird auf die Eigeninitiative der Userinnen und Usern gesetzt.
- "OY VEY!" möchte die Grundlage dafür bieten, Verschwörungstheorien widersprechen zu können.
- Jüdinnen und Juden sind der Fokus der der Plattform, es geht aber auch um Demokratie und Gesellschaft insgesamt.
- Jörg Rensmann von RIAS in Nordrhein-Westfalen hält die Plattform für eine wichtige Maßnahme.
"OY VEY" sagt antisemitischen Verschwörungstheorien den Kampf an. Die neue Online-Plattform ist seit dem 18. Oktober online. Es ist ein Projekt des jüdisch-deutschen Vereins WerteInitiative, gefördert durch das Bundesinnenministerium.
Gegenöffentlichkeit zu Verschwörungsmythen
Der Vorsitzende der WerteInitiative, Elio Adler, sagt, die Idee der Website basiere auf der Überzeugung, dass die Mehrheit der Userinnen und User online "nach wie vor richtig ticken", dass nur die lauten, aggressiven mehr Sichtbarkeit hätten".
"Wir erleben immer wieder, dass Leute irgendwas online lesen, schon verstehen, dass das irgendwie Blödsinn ist, aber nicht die Energie, die Kraft oder das Wissen haben, etwas darauf zu antworten und dieser Verbreitung was entgegenzusetzen" erklärt Adler.
Auf der neuen Online-Plattform findet man nach seinen Worten Gegenredematerial: "'OY VEY' möchte ermöglichen, dass es eine Gegenöffentlichkeit gibt zu Verschwörungsmythen."
Was heißt Oy Vey? "Oy Vey" ist jiddisch für "Oh Weh." Um sich die Bedeutung des Ausrufs vorzustellen, könne man das Facepalm-Emoji nehmen was sich vor die Stirn haut. Elio Adler, Vorsitzender der WerteInitiative
Wie funktioniert die Plattform?
"OY VEY!" bietet die Möglichkeit, sich aktiv über Verschwörungstheorien zu informieren. Dabei klärt sie nach Angaben der WerteInitiative auch allgemein darüber auf, wie man Verschwörungstheorien identifizieren kann und warum sie sich so schnell im Internet verbreiten.
Das Team hinter "OY VEY!" produziert Videos, GIFs und Posts für unterschiedliche Plattformen. Die produzierten Inhalte werden auf der Website geteilt, sowie auf den Kanälen in den sozialen Medien.
Das Augenmerk der Plattform liegt jedoch auf dem Aspekt "Widersprechen". Die hierfür produzierten Inhalte stehen per Download zur Verfügung. Sie können mithilfe einer thematischen Suche gefunden werden. Sie sollen genutzt und gepostet werden, um auf Verschwörungstheorien in den sozialen Medien zu reagieren.
Die Mutter aller Verschwörungsmythen ist antisemitisch.
Warum liegt der Fokus auf antisemitischen Verschwörungsmythen?
Die Website legt einen Fokus auf Antisemitismus. "Die Mutter aller Verschwörungstheorien ist antisemitisch", erklärt Adler dazu. Die Idee, dass irgendwelche dunklen Mächte irgendwas organisieren und steuern, sei geschichtlich gesehen immer antisemitisch gewesen. Noch heute werde man immer dazu kommen, dass ein antisemitischer Kern vorhanden ist.
"Wobei, wenn man einmal den Gedanken weiterdenkt, versteht man sofort, es geht zwar vordergründig um Jüdinnen und Juden, aber letztendlich um die Demokratie und die Gesellschaft insgesamt", erklärt der Vorsitzende der WerteInitiative. Denn wenn man einmal angefangen habe, dem Glauben anzuhängen, dass das eigene Wahlkreuz nicht Politik entscheide, dass die eigene Stimme nicht darüber entscheide, wie Politik funktioniere oder mit funktioniere, dann habe man sich vom demokratischen Konsens verabschiedet. Die Wirkung von "OY VEY!" sei deshalb nicht nur der Schutz jüdischen Lebens, sondern auch die Sicherung von Demokratie.
"Eine wirklich wichtige Maßnahme"
Für Jörg Rensmann, Politikwissenschaftler und Leiter der Recherche und Informationsstelle für Antisemitismus (RIAS) in Nordrhein-Westfalen, ist die Plattform eine wichtige Maßnahme der WerteInitiative. "OY VEY!" gebe die Möglichkeit, Verschwörungserzählungen zu dekonstruieren, und vor allem auch ihnen zu widersprechen.
Nach den Kriterien der RIAS gebe es derzeit einen deutlichen Anstieg von antisemitisch konnotierten Vorfällen, und das im gesamten Bundesgebiet, sagt Rensmann. Das mache sich jetzt sehr stark bemerkbar, auch im Internet. "Die Sozialen Medien verbreiten diese Hasskommentare, diese antisemitischen Hasskommentare sehr, sehr schnell. Und dieser Hass, der bleibt dort nicht. Die Menschen tragen ja diese Ideologie dann wiederum, mit sich, auf die Straße,“ erklärt der Politikwissenschaftler. Es sei wichtig, Gegenstrategien zu entwickeln, und dazu zähle in allererster Linie die Sensibilisierung für Antisemitismus. Dieser müsse als solcher zunächst mal überhaupt erkannt werden.
Kompetenz, um Verschwörungsmythen entgegenzutreten
Auch Elio Adler denkt, dass Medienkompetenz immer wichtiger wird. Je nachdem, wie die Plattform angenommen wird, wolle man eventuell auch offline Seminare und Schulungen anbieten, kündigt er an.
Die Welt werde immer bedrohlich und immer komplizierter, sagt Adler. Und Menschen reagierten in der Regel auf das Gefühl von Angst und Bedrohlichkeit und zu großer Komplexität durch eine Abwehr. "Verschwörungsmythen sind einfach unglaublich verlockend", erklärt er. Sie gäben das Gefühl: Es sei ganz anders, als alle denken. Und man könne gar nichts verstehen, weil in Wahrheit was Anderes dahinterstecke.
Er hofft, dass "OY VEY!" genutzt wird, um Verschwörungsmythen entgegentreten zu können: "In diesen Zeiten ist es wichtig, dass sich alle Menschen engagieren für Demokratie."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 18. November 2023 | 06:20 Uhr