Gesundheit Pharmaindustrie: Medikamentenmangel liegt an zu niedrigen Preisen
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22. Januar 2023, 17:51 Uhr
In Deutschland werden die Medikamente knapp. Es fehlen unter anderem Antibiotika, Schmerzmittel sowie wichtige Medikamente für die Krebsbehandlung. Überraschend ist das nicht. In den vergangenen Jahren hat sich die Situation Stück für Stück zugespitzt. Der Vorsitzende des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Hans-Georg Feldmeier, erklärt im Interview, warum er die Maßnahmen der Politik gegen den Medikamentenmangel für unzureichend hält und wo für ihn die wahren Ursachen der aktuellen Krise liegen. Er ist am Montag zu Gast bei "Fakt ist!" im MDR FERNSEHEN.
- Der Vorsitzende des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, Hans-Georg Feldmeier, sieht zu niedrige Preise als Ursache für den Medikamentenmangel in Deutschland.
- Die von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angestoßene zeitlich befristete Aussetzung der Festpreise für bestimmte Medikamente hält der Verbandschef nicht für sinnvoll.
- Neben den Preisen hat die Pharmaindustrie laut Hans-Georg Feldmeier auch durch gesetzliche Verschärfungen an Flexibilität eingebüßt.
Herr Dr. Feldmeier, seit Jahren verschärft sich der Medikamentenmangel in Deutschland. Aktuell fehlen vor allem Kindermedikamente wie Fiebersaft oder Zäpfchen sowie Antibiotika. Warum verschlimmert sich die Situation immer mehr?
Hans-Georg Feldmeier: Wir haben seit 2009 im Markt der Arzneimittel der Grundversorgung radikale Reformen erlebt. Bei den Generika, den Nachahmerprodukten, ist der Preisdruck ungeheuer erhöht worden. Das hat dazu geführt, dass wir Wettbewerb verloren haben. Unternehmen haben aufgehört, bestimmte Produkte zu produzieren. Für mein Werk (Hans-Georg Feldmeier ist Vorstandsvorsitzender der Dermapharm AG in Grünwald, Anm.d.Red.) kann ich das von vielen Produkten behaupten.
Sie sagen also, dass die Pharmaindustrie nicht genügend Geld für ihre Produkte erhält?
Ja. Der größte Teil der Generika, die rund 80 Prozent der Verordnungen von verschreibungspflichtigen Medikamenten betreffen, sind über Rabattverträge geregelt. Für den Rest gibt es wiederum ein Preismoratorium. Das heißt, wir müssen unsere Medikamente noch heute zu Preisen abgeben, die seit 2009 festgeschrieben sind. Natürlich macht das riesige Schwierigkeiten. Wir haben als Industrie ja auch unter der Inflation zu leiden. Wenn man da keine Möglichkeit hat, die gestiegenen Kosten weiterzugeben und nachzusteuern, funktioniert das irgendwann nicht mehr.
Wie passt das mit der öffentlichen Wahrnehmung zusammen, dass die Pharmaindustrie riesige Gewinnmargen hat?
Das ist eine Mär, die da immer erzählt wird von den Krankenkassen und der Politik. Die Hersteller von generischen Arzneimitteln sind in Europa häufig kleine mittelständische Unternehmen. Diese Unternehmen sind gerade nicht diejenigen, die auch die Originale erfinden und während der Patentlaufzeit hohe Margen haben. Wir reden somit hier von zwei völlig unterschiedlichen Märkten. Wenn man mit einem Produkt noch zwei, drei Cent an der Verpackung verdient, können sie doch nicht sagen, die Pharmaindustrie verdient ungeheuer viel Geld. Und wenn dann noch die Preise festgeschrieben sind, riskieren sie eben eine sichere Arzneimittelversorgung.
Ab 1. Februar werden für bestimmte Arzneimittel mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol sowie für Antibiotika für drei Monate die Festpreise ausgesetzt. Bundesgesundheitsminister Lauterbach will damit etwas gegen den Mangel bei den Kindermedikamenten tun. Kritiker bezeichnen das als Geschenk für die Pharmaindustrie. Sie als Industrie sind aber gar nicht zufrieden. Warum?
Wir reden hier von 180 Arzneimitteln von über 80.000. Herr Lauterbach glaubt, dass die Pharmahersteller die Warenflüsse aus anderen Ländern nach Deutschland lenken, wenn die Preise freigegeben werden. Das ist völliger Schwachsinn, weil niemand bewusst die Marktversorgung von Deutschland fernhält. Und selbst wenn es so wäre, ließe sich das nicht innerhalb von drei Monaten ändern. Lauterbachs Maßnahmen sind eine Reaktion auf die Preiserhöhungen von Herstellern von Kinderarzneimitteln. Die Hersteller konnten einfach nicht mehr, weil die Preise, die sie erlösen können, weit unter den eigenen Kosten liegen.
Lange vor Corona und dadurch gestörte Lieferketten gab es 2019 Wirbel wegen des Blutdrucksenkers Valtarsan. Durch verunreinigte Chargen in einem chinesischen Werk waren die Generika auf einmal nicht mehr erhältlich - nur noch das deutlich teurere Originalprodukt. Hätte man nicht damals bereits darüber nachdenken müssen, die Produktion von solch elementaren Wirkstoffen nach Europa zurückzuholen?
Es traut sich kaum einer das öffentlich zu sagen, aber ich werde es tun. Die dort kommunizierte Verunreinigung ist einfach eine hoffnungslose Übertreibung gewesen. Wir reden von Verunreinigungen, die auf jeder gegrillten Thüringer Bratwurst in tausendfacher Menge auftreten. Man hätte an der Vermeidung des Problems arbeiten müssen. Eine Risikoabwägung zwischen "Nichtversorgung" und einer kaum messbaren Verunreinigung wäre angebracht gewesen.
Und was das Thema Rückholung von Produktion betrifft: Ein Zug, der in eine Richtung abgefahren ist, wo die Weichen von der Politik über Jahre so gestellt worden sind, den können sie auf dem Gleis nicht wenden. Wir können nur dafür sorgen, dass die Firmen, die noch hier sind, nicht auch noch den Bach runtergehen. Und deshalb müssen wir an die Preise der Arzneimittel der Grundversorgung dringend ran.
Was wiegt für Sie bei einer Abwägung schwerer: die Lieferengpässe durch Corona oder die Preispolitik?
Natürlich kommt in dieser Situation alles zusammen. Wir haben im Bereich der Arzneimittelherstellung- und belieferung bei Weitem nicht mehr eine so hohe Flexibilität, wie das noch vor 20 Jahren der Fall gewesen ist - vor allem aus gesetzlichen Gründen. Nehmen sie zum Beispiel eine Ampulle für ein Arzneimittel. Wenn ein Glaslieferant nicht liefern konnte, dann haben sie früher auf das Glas eines weiteren Lieferanten geguckt und gesagt, das ist die gleiche Glasqualität, dann kaufe ich dieses Glas ein. Das geht heute nicht mehr. Da brauchen sie erst sehr aufwendige Studien, bevor sie das andere Glas nehmen dürfen, das eigentlich kein anderes ist und erst nach vielen Monaten dürfen Sie den Austausch des Glases vornehmen
Gleichzeitig verlassen sich die Krankenkassen bei Ausschreibungen aus Preisgründen nur noch auf wenige, oftmals nur noch einen Hersteller. Alle anderen, die es auch könnten, bereiten sich deshalb nicht mehr auf die Produktion vor. Wenn dann aber bei dem einen ausgewählten Hersteller etwas passiert, dann brauche ich mich nicht wundern, dass keine Medikamente mehr geliefert werden können.
MDR (sth)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! | 23. Januar 2023 | 22:10 Uhr