Eine Apothekerin berät 2017 in einer Apotheke einen Kunden.
Gibt es das Medikament - oder nicht? Das ist hier die Frage. Sachsens Pharmazeuten jedenfalls kämpfen mit Lieferengpässen von Arzneimittel für Kinder und Erwachsene. Bildrechte: picture alliance / dpa Themendienst | Benjamin Nolte

Medikamentenmangel in Apotheken Lieferengpässe in Sachsen: Wo sind all' die Medikamente hin?

29. Dezember 2022, 12:00 Uhr

Sachsens Apotheken kämpfen um Medikamente, die immer knapper werden. Weil ein großer Hersteller ausgestiegen ist und die Nachfrage um das Achtfache gestiegen ist, sind besonders Fiebersäfte für Kinder nur noch schwer zu bekommen. Auch Antibiotika fehlen zunehmend. Woran liegt das, wann hört es auf und was können Eltern tun? MDR SACHSEN hat nachgefragt.

  • Apotheken in Sachsen kämpfen weiter mit Lieferengpässen - neben Fiebersäften für Kinder fehlen auch Antibiotika, Krebsmittel und Blutdrucksenker.
  • Um die raren Medikamente zu bekommen, betreiben Sachsens Apothekerinnen und Apotheker einen großen Mehraufwand, um den Großhandel zu durchforsten und Fiebersäfte selbst herzustellen.
  • Sachsens Apothekerverband warnt vor einer eigenmächtigen Dosierung von Erwachsenen-Fiebermitteln für Kinder. Und ein Ende des Medikamentenmangels ist nicht in Sicht.

Sachsens Apotheken ächzen weiter unter den Lieferengpässen bei den Medikamenten, insbesondere bei den Fiebersäften für Kinder, doch auch zunehmend bei Antibiotika, der Magen-Arznei "Pantoprazol", bei Krebsmitteln und Blutdrucksenkern. Auch verschreibungspflichtige Varianten von Ibuprofen werden nach Aussage von Pharmazeuten zunehmend knapper. "Wir verzeichnen bereits seit Jahren eine Zuspitzung des Problems“, erklärt Kathrin Quellmalz, Sprecherin der Sächsischen Apothekerverbandes (SAV) MDR SACHSEN.

Viel Aufwand für Apothekerinnen und Apotheker

Für die Apotheken bedeute das Management von Lieferengpässen einen erheblichen Mehraufwand, "der sich mittlerweile über mehrere Stunden pro Woche erstreckt und die ohnehin bereits dünne Personaldecke noch zusätzlich stark belastet“. "Nur durch dieses kreative und verantwortungsbewusste Management von Lieferengpässen, können die wirkungsvollen Arzneimitteltherapien von akut und chronisch erkrankten Kindern, Frauen und Männern noch sichergestellt werden“, sagte Quellmalz.

Herstellung auf Rezeptur nur schwer praktikabel

Den Mangel genannter Medikamente bestätigt auch die Dresdner Apothekerin Thea Faßbender von der Ostend-Apotheke MDR SACHSEN. "Wir betreiben sehr viel Aufwand, um Großhandelskapazitäten zu durchforsten." Die Herstellung von Fiebersäften sei in der Apotheke zwar möglich. Doch da dies immer nur nach Einreichung eines Rezeptes und nicht auf Vorrat geschehen dürfe, sei dies nur schwer praktikabel. "Wir brauchen keine Panik, doch die Sorge ist groß", sagte Faßbender. Dieser Mangel sei nichts, was man nicht hätte voraussagen können. Die Abhängigkeit der Arzneimittelproduktion von Asien sei groß.

Große Schwierigkeiten bei Antibiotika

"Besonders schwierig wird es gerade auch bei Antibiotika", erklärt Elisabeth Jung von der Vital-Apotheke in Dresden. Vor allem Penicillin sei gerade schwer zu bekommen. Zwar seien Einzelimporte erlaubt, doch für den Patienten sei es "sinnfrei" drei Wochen auf sein Penicillin aus Skandinavien zu warten. "Die Patienten brauchen in dem Moment Hilfe." Laut Jung könne mit ärztlicher Absprache zwar auf andere Antibiotika ausgewichen werden. Der Medikamentenmangel sei trotzdem ein "sehr schwieriges Problem". Erst vergangene Woche hatte die Landesapothekerkammer Sachsens Gesundheitsministerin, Petra Köpping (SPD) zum Handeln aufgefordert.

Produktion oft in wenigen Betrieben in China und Indien

Die Ursachen für Lieferengpässe sind laut Sächsischen Apothekerband vielfältig. Einerseits gebe es in vielen Ländern – auch in China selbst – eine hohe Nachfrage. Bei Fiebersäften für Kleinkinder sei diese allein in Deutschland um das Achtfache gestiegen. Hinzu kommen Probleme mit den Lieferketten durch Personalmangel und fehlende Verpackungen. Gleichzeitig gebe es eine hohe Abhängigkeit der Produktion von Asien. "Aus Kostengründen findet die Wirkstoffproduktion für den Weltmarkt oft in wenigen Betrieben in China oder Indien statt. Steht die Produktion zeitweilig still oder wird eine Charge aus Qualitätsgründen nicht freigegeben, können auch große Hersteller in Europa ihre Fertigarzneimittel nicht liefern", erklärt die SAV-Sprecherin.

Nur noch ein Fiebersaft-Hersteller auf Deutschem Markt

Zudem führe der hohe Preisdruck bei den Generika (Medikamenten mit Wirkstoffen aus abgelaufenen Patenten) dem SAV zufolge dazu, dass sich Hersteller aufgrund des starken Preisdrucks vom Markt zurückziehen. "Bei einer unverhältnismäßig hohen Nachfrage wie derzeit bei Fiebersäften für Kinder, kann der Ausfall von den verbliebenen Marktpartnern kurzfristig nicht ausgeglichen werden", sagte Sprecherin Quellmalz. Laut dem Verband "Pro Generika" habe es vor zwölf Jahren noch elf Anbieter flüssiger Paracetamol-Zubereitungen gegeben. Mittlerweile sei nur noch ein einziger Hauptanbieter übrig. "Da '1 A Pharma' zu Monatsbeginn ankündigte, die Produktion mangels Wirtschaftlichkeit einzustellen, muss Teva mit seiner Arzneimittelmarke ratiopharm nunmehr 90 Prozent des Bedarfes produzieren", erklärte der Verband.

Der Begriff Generikum (Plural: Generika) ...

... bezeichnet ein Arzneimittel, das den identischen Wirkstoff wie ein ehemals patentgeschütztes Präparat enthält und deshalb genauso wirkt. Generika kommen dann auf den Markt, wenn das Patent für das Original (auch: Erstanbieterpräparat) abgelaufen ist. Quelle: Pro Generika

Kein Fiebersaft: Was können Eltern tun?

Trotz Mangel gibt es auch Lichtblicke für Eltern: "Wir beobachten, dass die Lieferkette bei Fiebersäften für Kinder nicht vollständig abgerissen ist, sondern immer wieder kleinere Mengen vom pharmazeutischen Großhandel an die Apotheken gelangen", erklärte Quellmalz vom SAV. "In einzelnen Fällen kann auf Zäpfchen, die mittlerweile auch vom Lieferengpass betroffen sind oder Schmelztabletten ausgewichen werden." Zudem könnten Apotheken Fiebersäfte für Kinder selbst herstellen, wenn die Wirkstoffe verfügbar und die Produktion für die Apotheker praktikabel seien. "Bei hohem Fieber bringen Sie Ihr Kind in die Notaufnahme", empfahl Jung von der Vital-Apotheke. Dort sei die Ausstattung immer noch sehr gut. Gleichzeitig seien auch immer klassische Hausmittel wie Wadenwickel zu empfehlen.

Keine eigenmächtige Dosierung für Kinder

Der SAV rät dringend davon ab, Erwachsenen-Fiebermittel für Kinder zu benutzen. "Für Alternativen bei Schmerz- und Fiebermitteln für Kinder sollten sich Eltern zunächst eingehend in der Apotheke beraten lassen, bevor eine eigenmächtige Dosierung von für Erwachsene hergestellten Arzneimitteln vorgenommen wird", warnte die SAV-Sprecherin. "Eine Überdosierung kann schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben", erklärte Quellmalz.

Ende des Medikamentenmangels nicht in Sicht

Ein Ende des Medikamentenmangels ist für viele Pharmazeuten nicht in Sicht. "Der Medikamentenmangel ist gravierend", erklärte Faßbender. "Es wird eher mehr als weniger." Ein Ende der Lieferengpässe sei schwer absehbar und gleiche dem "Bick in eine Glaskugel". "Wenn China ankündigt, die Wirkstoffe Paracetamol und Ibuprofen nicht mehr auszuführen, sehe ich das nicht sehr positiv", erklärte Faßbender. Laut Deutscher Apotheker Zeitung und dem französischen Nachrichtenportal "franceinfo" stoppt das Land vorerst den Export der Wirkstoffe Paracetamol und Ibuprofen, um den eigenen Bedarf zu decken.

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Viel Bedarf durch hohes Infektionsgeschehen

Das Ende der Engpässe ist derzeit nicht absehbar, erklärte auch der Verband der Generika. Gerade bei Fieber- und Erkältungsmitteln und Antibiotika hänge viel vom Infektionsgeschehen ab. "Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Zahl der Engpässe in den kommenden Monaten eher noch zunimmt. Denn die Inflation hat das Potenzial, die Engpassproblematik noch zu verschärfen", schrieb der Verband. Hintergrund: Die nicht an ein Patent gebundenen Medikamente werden meist zu knapp kalkulierten niedrigen Festpreisen abgerechnet. Durch die Inflation gerät auch die Medikamentenproduktion unter Druck, die oft viel Energie und eine umfangreiche Logistik benötigt.

Paracetamol kostet unter drei Euro

Beispielsweise kostet eine Packung Paracetamol mit 20 Schmerztabletten 2,20 Euro. Für Paracetamol-Kinder-Zäpfchen müssen Kunden sogar nur 1,55 Euro zahlen. Laut Apothekerin Thea Faßbender liege der Preis in anderen Ländern bei etwa acht Euro. "Bei diesen Preisen geht die Wertigkeit verloren. Hochpreisige Medikamente dürfen nicht verramscht werden", erklärte die Apothekerin. Sie forderte, die Produktion nach Europa zurückzuholen und entsprechende Weichen zu stellen.

"Bei diesen Preisen geht die Wertigkeit verloren. Hochpreisige Medikamente dürfen nicht verramscht werden.

Thea Faßbender Apothekerin der Ostendapotheke Dresden

Eine Apothekerin am Thresen in Ihrem Geschäft
Thea Faßbender plädiert dafür, Medikamente zu schätzen. Bildrechte: MDR/Sandra Thiele

Vor Weihnachten hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigt, die Festpreise für die sehr günstigen Generika zu erhöhen. Im Gegensatz dazu, sind die Originalpräparate mit Patent oft sehr kostenintensiv, weil die Pharmaunternehmen die Kosten für Forschung und Entwicklung einpreisen. Hersteller können hier den Preis laut Bundesgesundheitsministerium völlig frei bestimmen. Erst später vereinbaren sie mit den Krankenkassen Verträge über Preise, die ab dem 13. Monat nach Markteinführung gelten. Für Pharma-Produzenten sind teure Originalpräparate deswegen immer lukrativer als die sehr günstigen Generika.

Verbandsvize: Generika werden zum Verlustgeschäft

Andreas Burkhardt, General Manager Teva Deutschland & Österreich und stellvertretender Vorsitzender von Pro Generika zu der Entwicklung bei Paracetamol-Säften: "Rasant steigende Wirkstoff- und Produktionspreise bei eingefrorenen Preisen machen die Produktion von Arzneimitteln wie Paracetamol-Säften zum Verlustgeschäft. Kein Unternehmen hält das auf Dauer durch. Wir müssen den Kostendruck auf Generika endlich lockern – vor allem bei kritischen Arzneimitteln, die nur noch von wenigen Herstellern produziert werden.

Originalpräparat oder Generikum?

Grundsätzlich gibt es zwei Sorten von Medikamenten auf dem Markt: patentgeschützte Arzneimittel – die sogenannten Originalpräparate – und Generika. Ein neu zugelassenes Medikament steht zunächst unter Patentschutz. Seit dem Jahr 2011 müssen Hersteller für alle Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen sofort bei der Markteinführung Nachweise über den Zusatznutzen für die Patienten vorlegen. Der Gemeinsame Bundesausschuss entscheidet, ob und welchen Zusatznutzen ein neues Arzneimittel hat. Auf dieser Grundlage vereinbart der Hersteller mit der gesetzlichen Krankenversicherung einen Erstattungsbetrag, der ab dem 13. Monat nach der Markteinführung gilt. Im ersten Jahr kann der Hersteller den Preis frei gestalten.

Läuft der Patentschutz aus, können auch andere Unternehmen diesen Wirkstoff produzieren und unter einem anderen Namen verkaufen. Solch ein Präparat wird als Nachahmerprodukt oder Generikum (Mehrzahl: Generika) bezeichnet. Der Preis ergibt sich dann im Wettbewerb.

Was ist der Verband Pro Generika?

Pro Generika ist der Verband der Generika- und Biosimilarunternehmen in Deutschland. Wir vertreten die Interessen seiner Mitglieder, die Generika und Biosimilars entwickeln, herstellen und vermarkten.

MDR (kt)

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