Empfehlungen Jahresrückblick 2024: Diese Bücher haben uns beeindruckt
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09. Dezember 2024, 16:07 Uhr
Mit einem guten Buch als Geschenk zu Weihnachten kann nichts schiefgehen. Persönliche Tipps sind dabei immer die besten. Wir haben sieben Empfehlungen aus unserer Onlineredaktion für Sie. Bücher, die uns 2024 besonders beeindruckt haben. Darunter Ruth-Maria Thomas' Debüt über eine junge Frau im Osten, das für den Deutschen Buchpreis nominiert war, ein Porträt der Brüder Wagner, die es mit ihrer Leidenschaft für Basketball bis in die NBA geschafft haben, und ein Ratgeber für Eltern gegen Burnout.
Roman
Ruth-Maria Thomas: "Die schönste Version"
Wie fühlt es sich an, als junge Frau dort aufzuwachsen und eine Zukunft zu planen, wo eigentlich alle nur wegwollen? Jella geht es genau so. In ihrer ersten Liebe erlebt sie Gewalt und kehrt schließlich in ihr Elternhaus in der Lausitz zurück. Dort reflektiert sie eine Jugend geprägt von patriarchalen Strukturen, weiblicher Zurichtung, Gangsterrap, Glitzerlipgloss und dem ständigen Gefühl, in einer Region zu leben, die von Perspektivlosigkeit und Abwanderung gezeichnet ist.
Die Frage, ob es überhaupt möglich ist, sich in einer Umgebung voller Stillstand und Resignation selbst zu entfalten, durchzieht das Buch. Ruth-Maria Thomas zeigt authentisch, wie familiäre Traumata und gesellschaftliche Rückschritte Frauen formen und oft in toxische Muster treiben.
Eine Empfehlung von Jessica Ramczyk
Angaben zum Buch (zum Ausklappen)
Ruth-Maria Thomas: "Die schönste Version"
272 Seiten, 24 Euro
Rowohlt Verlage
ISBN: 978-3-498-00695-2
Mareike Fallwickl: "Und alle so still"
Frauen leisteten 2022 in Deutschland pro Woche rund neun Stunden mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Diese Lücke ist zwar im Laufe der Zeit kleiner geworden, sie übersieht aber die Arbeit, die tatsächlich unsichtbar ist: Den "mental load", der ein Teil der Sorgearbeit ist. Die österreichische Autorin Mareike Fallwickl wird nicht müde, über genau dieses Thema zu schreiben.
In ihrem Buch "Und alle so still" hören Frauen nicht nur mit der Lohnarbeit auf, sondern generell mit aller Arbeit – mit dem Kümmern, Besorgen, Versorgen, Organisieren. Sie legen sich einfach auf die Straße.
Die Geschichte zeigt, wozu Frauen in ihrer Solidarität und Männer in ihrer Aggression fähig sind. Der Roman erzählt dieses Szenario aus der Sicht von drei Generationen, die alle geprägt sind von ihren Werten und Lebensumständen. Am Ende haben sie alle etwas gemeinsam: Die tiefe Erschöpfung von ihrer Rolle und dem Wunsch, dass es ihre Töchter besser und leichter haben.
Eine Empfehlung von Annalena Hartwig
Angaben zum Buch (zum Ausklappen)
Mareike Fallwickl: "Und alle so still"
368 Seiten, 23 Euro
Rowohlt Verlage
ISBN: 978-3-498-00298-5
Wang Xiaobo: "Das Goldene Zeitalter"
Die Hauptfigur dieses Kultbuches heißt Wang. Er ist ein leicht verpeilter Draufgänger und gleichzeitig Alter Ego des Verfassers. Wie Wang Xiaobo wird er während der Kulturrevolution aufs Land geschickt, um später seinen Weg ins bürgerliche Leben als Dozent und Schriftsteller zu finden. Doch überall kommt er als moderner Schwejk-Wiedergänger in Konflikt mit Partei, Bürokratie und Nomenklatura.
Dieses Buch strotzt vor Ironie und Freiheitsdrang und erscheint 2024 erstmals auf Deutsch. Die wunderbare Übersetzung von Karin Betz bringt die schnoddrige Großmäuligkeit dieses romantischen Taugenichts' herrlich ins Poltern. Ein Tipp für alle, die neugierig auf China abseits der bekannten Vorurteile und Projektionen sind.
Eine Empfehlung von Torsten Reitler
Angaben zum Buch (zum Ausklappen)
Wang Xiaobo: Das Goldene Zeitalter
Matthes & Seitz Berlin
286 Seiten, 19,99 Euro
ISBN: 978-3-7518-0988-7
Ronya Othmann: "Vierundsiebzig"
Eine leichte Lektüre ist "Vierundsiebzig" nicht: Ronya Othmann schreibt in ihrem zweiten Roman über den Genozid an der jesidischen Bevölkerung, den Kämpfer des IS 2014 in der Region Shingal im Irak verübt haben. Auf 500 Seiten unternimmt die Autorin den Versuch, eine Sprache für das Unbeschreibliche zu finden – für Gewalt, Terror, Trauma und Flucht. Der Schreibprozess wird immer wieder reflektiert und kritisch hinterfragt. Gerade das macht den Roman auch formal so interessant.
"Vierundsiebzig" ist ein dokumentarischer Roman. Ronya Othmann dokumentiert, anhand von eigenen Erfahrungen bei Reisen in die kurdischen Gebiete sowie von Berichten und Recherchen, den vierundsiebzigsten Genozid an den Jesiden. Sie schreibt gegen das Vergessen an. Ein starkes und wichtiges Buch!
Eine Empfehlung von Lilly Günthner
Angaben zum Buch (zum Ausklappen)
Ronya Othmann: "Vierundsiebzig"
Rowohlt Verlage
512 Seiten, 26 Euro
ISBN: 978-3-498-00361-6
Sachbuch
Steffen Mau: "Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt"
2024 waren Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Die AfD ging daraus gestärkt hervor – obwohl sie in zwei der Länder vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. Ich habe mich gefragt: Woher kommt dieser Erfolg besonders im Osten?
Antworten habe ich in dem Sachbuch "Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt" gefunden. Autor ist der Soziologe Steffen Mau, ein gebürtiger Rostocker und Professor an der Humboldt-Uni. In seinem Buch zeigt er nicht nur Ursachen auf, sondern auch Ideen für politisches Handeln.
Mehrfach bezieht er sich auf Dirk Oschmanns "Der Osten: eine westdeutsche Erfindung". Rädchen, die Oschmann in Gang gesetzt hat, dreht Mau weiter. So spricht er sich für einen "Solidarpakt 2.0" und Experimente mit Bürgerräten aus. Unbedingt lesen!
Eine Empfehlung von Simon Bernard
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Steffen Mau: "Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt"
Suhrkamp Verlag
168 Seiten, 18 Euro
ISBN: 978-3-518-02989-3
Beate Wagner: "Moritz & Franz Wagner – Glanz in ihren Augen"
Mein Buch des Jahres ist "Moritz & Franz Wagner – Glanz in ihren Augen" von Beate Wagner. Sie ist eine sogenannte "Athlete Mom", denn sie ist die Mutter der erfolgreichen Nationalspieler und NBA-Basketballer Moritz und Franz. Im Buch gibt sie Einblicke in so eine Sportlerkarriere: Von der Geburt bis zum WM-Titel, den ihre Söhne mit dem Team 2023 geholt haben.
Sie erzählt, wie sie das Familienleben und den Leistungssport unter einen Hut gebracht haben und wie sich europäische Basketballer in der amerikanischen NBA, der absoluten Topliga, durchkämpfen müssen. Wagner zeigt, dass so eine Leistungssportler-Karriere (und das auch noch doppelt!) für die Eltern eine große Herausforderung ist. Dabei gibt sie sehr private Einblicke und schreibt kritisch, psychologisch, liebevoll und oft sehr witzig.
Eine Empfehlung von Kristin Franke
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Beate Wagner: "Moritz & Franz Wagner – Glanz in ihren Augen"
Ariston Verlag
256 Seite, 23 Euro
ISBN: 978-3-424-20290-8
Ratgeber
Nora Imlau: "Bindung ohne Burnout"
"Eltern-Burnout", diese heftige Diagnose hatten in den USA bereits acht Prozent der Mütter und Väter. Auch in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern steigt die Häufigkeit der Diagnose. In Umfragen geben mehr als die Hälfte der Eltern an, sich ausgebrannt oder gestresst zu fühlen. Was lässt sich gegen den Stress im Alltag mit Kindern tun?
Ein wunderbares Buch, das mir dieses Jahr auf die warme Empfehlung einer Freundin in die Hände fiel, ist "Bindung ohne Burnout" von Nora Imlau. Konkret und alltagsnah führt die Erziehungsexpertin darin aus, worauf es im Zusammenleben mit Kindern wirklich ankommt. Wie bleibt die Bindung stabil, der Alltag bedürfnisorientiert, ohne dabei auszubrennen? Muss es immer das frische, selbstgekochte Essen sein, darf es keinesfalls mehr sein als 30 Minuten Bildschirmzeit?
Imlau vermittelt Gelassenheit und macht klar: Für eine sichere Bindung und ein bedürfnisorientiertes Aufwachsen müssen Eltern nicht perfekt sein, bloß gut genug. Und was das genau heißt, kann man in dem schmalen Buch anhand vieler persönlicher Beispiele gespickt mit Expert*innenwissen nachlesen. "Bindung ohne Burnout. Kinder zugewandt begleiten, ohne auszubrennen" ist ein Herzensgeschenk für alle, die im Alltag mit Kindern am Limit sind oder schon darüber hinaus gegangen sind.
Eine Empfehlung von Hanna Romanowsky
Angaben zum Buch (zum Ausklappen)
Nora Imlau: Bindung ohne Burnout. Kinder zugewandt begleiten, ohne auszubrennen
Beltz Verlag
205 Seiten, 20 Euro
ISBN: 978-3-407-86811-4
Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Diskurs | 19. Oktober 2024 | 19:00 Uhr