
Erich-Loest-Preisträgerin 2025 Fünf Gründe, die Bücher der Autorin Ronya Othmann zu lesen
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25. Februar 2025, 20:25 Uhr
Ronya Othmann, die als Autorin von Prosa, Gedichten und Essays sowie als Journalistin arbeitet, studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Prägend in ihren Texten – darunter zwei Romane und ein Gedichtband – ist die Auseinandersetzung mit ihren jesidisch-deutschen Wurzeln. Ihre Werke wurden mehrfach ausgezeichnet. Für ihren aktuellen Roman "Vierundsiebzig" über den Völkermord an den Jesiden 2014 wurde sie mit dem Erich Loest Preis 2025 prämiert. Die Preisverleihung findet am 24. Februar 2025 in Leipzig statt. Ein guter Anlass, um sich mit ihrem vielschichtigen Werk zu befassen.
1. Eine spannende, junge Stimme der deutschen Literatur
Ronya Othmann wurde 1993 als Tochter eines kurdisch-jesidischen Vaters und einer deutschen Mutter in München geboren. Sie wuchs im bayerischen Freising auf und verbrachte die Sommer ihrer Kindheit und Jugend häufig bei der jesidischen Familie ihres Vaters im Norden Syriens. Das Dorf ihrer Großeltern wurde später zerstört, die Familie musste fliehen.
Diese Familiengeschichte und die damit verbundene Verfolgung der ethnisch-religiösen Minderheit der Jesiden spielt in Ronya Othmanns Literatur eine zentrale Rolle. Sie studierte ab 2014 am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und veröffentlichte 2020 ihren Debütroman "Die Sommer". Für ihr Schreiben wurde sie bereits vielfach ausgezeichnet, beispielsweise mit dem Erich-Loest-Preis, den sie 2024 als mit Abstand jüngste Preisträgerin in Leipzig erhielt.
2. Literatur über die Jesiden und den Genozid
Der Genozid an den Jesiden (Selbstbezeichnung: Ezîden) und damit verbunden Gewalt, Trauma und Flucht sind in Ronya Othmanns literarischen Texten zentrale Themen. Im August 2014 überfielen Kämpfer der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) die Region Shingal im Irak und begingen einen Völkermord an der jesidischen Bevölkerung. Tausende Frauen wurden systematisch vergewaltigt und als Sklavinnen verkauft, die Männer getötet und Kinder zu Soldaten gemacht. Diese Gräueltaten, der Umgang damit und auch die innere Zerrissenheit, die es bedeutet, in Deutschland in Sicherheit leben zu können, während Familienangehörige Tod und Gewalt erfahren, verarbeitet Othmann in ihrer Prosa und Lyrik.
Die Protagonistin in ihrem ersten Roman "Die Sommer" etwa reist, wie die Autorin, jedes Jahr zu ihren jesidischen Großeltern – bis diese vor dem IS aus ihrem Dorf fliehen müssen. Sie lebt gewissermaßen in zwei Welten. Der ihrer jesidischen Familie, die jederzeit von Auslöschung bedroht ist, und der sicheren in Deutschland mit alltäglichen Sorgen und Mitmenschen, die sich wenig für das Schicksal der Jesiden interessieren.
3. Der außergewöhnliche Roman "Vierundsiebzig"
Mit "Vierundsiebzig" hat Ronya Othmann einen formal ungewöhnlichen Roman geschrieben. Hier werden Fakten geschildert, "nichts daran ist fiktiv", sagt die Autorin. Die Erzählerin heißt wie sie Ronya und dokumentiert, mal anhand von eigenen Erfahrungen bei Reisen in die kurdischen Gebiete, mal anhand von Berichten und Recherchen, den vierundsiebzigsten Genozid an den Jesiden im Jahr 2014.
Ein dokumentarischer Roman, der auf 500 Seiten versucht, das Unbeschreibliche zu beschreiben. Der schwierige Schreibprozess wird immer wieder reflektiert: "Ich schreibe:" heißt es im Roman an vielen Stellen und auch: "Schreiben ist vielleicht Aufbauarbeit und vielleicht ist es auch eine Illusion". Mit ihrem zweiten Roman schreibt Ronya Othmann gegen das Vergessen an und setzt den Jesiden gewissermaßen ein literarisches Denkmal.
4. Eine politische Autorin, die sich einmischt
Ronya Othmann ist eine politische Autorin – das wird besonders in ihren journalistischen Texten deutlich. Hier äußert sie sich neben dem Genozid an den Jesiden auch zu aktuellen politischen Debatten. Sie schreibt über deutsche Außenpolitik im Nahen Osten, Islamismus, Rassismus oder queere Themen. Sie hat in Spiegel, Taz und Zeit-Online als Journalistin Texte veröffentlicht und schreibt seit 2021 für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung die Kolumne "Import Export".
Ihre klaren politischen Positionierungen hatten für sie auch schon negative Konsequenzen: Wegen ihrer Kritik an islamistischen Gruppen wurde sie Anfang 2024 kurzfristig vom Literaturfestival Karatschi in Pakistan ausgeladen. Ihr wurden "zionistische und islamophobe Positionen" vorgeworfen. Die Autorin widersprach der Darstellung ihrer Kritiker.
5. Ein starkes Lyrikdebüt mit existenziellen Themen
Ronya Othmann ist auch in der Lyrik Zuhause. Sie hat nicht nur gemeinsam mit Yevgeniy Breyger, Özlem Özgül Dündar und anderen die Lyrikanthologie "Ansicht der leuchtenden Wurzeln von unten" herausgegeben, 2021 erschien mit "die verbrechen" auch ihr erster Gedichtband. Auch ihre Lyrik kreist um die Themen Krieg, Verfolgung, Flucht und Heimatverlust. Ein Bezug zu ihrer Biografie und der Verfolgung der Jesiden ist deutlich zu erkennen, doch die Gedichte lassen sich universell lesen und greifen existenzielle menschliche Themen auf. Es geht um konkrete Orte, aber diese Orte weisen über sich hinaus. Die beschriebenen kargen Landschaften im Grenzgebiet zwischen Türkei, Syrien und Irak werden in Othmanns Gedichten mit inneren Landschaften verwoben.
Angaben zu den Büchern
"Die Sommer" (Roman)
Hanser Verlag, 2020
Hardcover, 288 Seiten
ISBN: 978-3-446-26760-2
22 Euro
"die verbrechen" (Gedichte)
Hanser Verlag, 2021
Hardcover, 112 Seiten
ISBN: 978-3-446-27083-1
20 Euro
"Vierundsiebzig" (Roman)
Rowohlt Verlag, 2024
Hardcover, 512 Seiten
ISBN: 978-3-498-00361-6
26 Euro
Dieses Thema im Programm: 3sat | Kulturzeit | 22. Januar 2025 | 19:20 Uhr