Evolution des Sexualverhaltens Warum manchen Tieren das Geschlecht beim Sex egal ist
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10. November 2020, 10:40 Uhr
Es ist so eine Sache mit der Sexualität. Ein Verhalten, das Evolutionsbiologen seit Jahren vor Rätsel stellt, ist zum Beispiel die Homosexualität: Warum der ganze Aufwand für gleichgeschlechtliches Sexualverhalten, wenn am Ende gar kein Nachkomme gezeugt werden kann? Forschende aus den USA haben jetzt ein Modell entwickelt, das mögliche Erklärungen liefert. Dafür haben sie die Fragestellung einfach umgedreht: Warum sollte die Evolution Heterosexualität begünstigen und nicht die wahllose Paarung?
Die Forschenden der University of North Carolina Chapel Hill haben Modelle entwickelt, die zeigen sollen, dass weit verbreitetes gleichgeschlechtliches Sexualverhalten bei Tieren vorkommen kann, wenn die Spezies einer Strategie der "wahllosen" Paarung folgt. Das heißt, dem Tier ist es grundsätzlich egal, ob es sich mit einem Artgenossen desselben oder des anderen Geschlechts paart, obwohl im Falle einer homosexuellen Paarung kein Nachkomme entstehen kann. Aber wie kann das sein? Denn die Forschenden merken natürlich auch an: Die Tiere haben sogenannte Kosten - also müssen zum Beispiel Zeit und Energie in die Partnersuche investieren, um am Ende gar keine Nachkommen zeugen zu können. Das scheint ja auf den ersten Blick keinen Sinn zu ergeben. Die Untersuchung der Evolutionsbiologen ist im Fachmagazin Nature Ecology & Evolution erschienen.
War wahllose Paarung die Urform des Sexualverhaltens?
Die Forschenden haben für ihre Untersuchung einen grundsätzlichen Blickwechsel gewagt: Was wäre denn, wenn die wahllose Paarung die optimale Fortpflanzungsstrategie wäre? Die Hypothese: Ursprünglich beinhaltete das Sexualverhalten gar keine Differenzierung nach Geschlechtern. Alle paarten sich wahllos mit allen Geschlechtern. Erst im Laufe der Evolution haben sich Bedingungen entwickelt, die eine differenziertere, zielgerichtete Paarung mit einem bestimmten Geschlecht für einige Arten zur sinnvolleren Fortpflanzungsstrategie gemacht haben könnte.
Wir unterstützen die Hypothese, dass gleichgeschlechtliches Sexualverhalten durch die Bevorzugung von wahllosem Paarungsverhalten erhalten wird, indem wir zeigen, dass das unter bestimmten Bedingungen die optimale Fortpflanzungsstrategie ist.
Ihre Modelle legten nahe, dass die Bedingungen, die eine wahllose Paarung am stärksten begünstigten, wohl am ehesten gegeben waren, als das Sexualverhalten entstanden ist, schreiben die Forschenden.
Achtung Falle! Die Forschenden der UNC Chapel Hill weisen ausdrücklich darauf hin, dass ihre Forschungsergebnisse nicht auf den Menschen angewendet werden können. Ihr Modell gehe von Annahmen über Tiere aus, die nicht mit dem sexuellen Verhalten beim Menschen vereinbar seien.
Manchmal ist keine Wahl die beste Wahl
Die Evolutionsbiologen stützen sich also auf die Hypothese, dass wahlloses Sexualverhalten der Ursprungszustand ist und "sexuell ausschließendes Verhalten" - also der Fokus auf Mitglieder des anderen Geschlechts - sich in der Evolution durch verschiedene Mechanismen sexueller Signale und der Partnerwahl entwickelt hat. Tatsächlich gebe es aber auch Bedingungen in der Natur, die ein wahlloses Paarungsverhalten begünstigten - und damit eben auch Homosexualität. Das sei eine von vielen möglichen Hypothesen für gleichgeschlechtliches Sexualverhalten, ohne Präferenzen zu berücksichtigen, die sich bei einigen Wirbeltieren aus komplexen sozialen oder genetischen Interaktionen entwickelt haben, schreiben die Forschenden.
Aber wann ist denn nun die wahllose Paarung mit irgendeinem Artgenossen die optimale Strategie für die Fortpflanzung der Tierart?
Wenn das Zielgeschlecht - also damit die Fortpflanzung erfolgreich ist, das jeweils andere Geschlecht - kein sexuelles Signal sendet, um sich selbst als Weibchen oder Männchen zu offenbaren, und das Geschlechterverhältnis der Tierart bei eins zu eins liegt, sei die wahllose Paarung die optimale Strategie. Andernfalls würden nämlich "Kosten" anfallen, um herauszufinden, ob eine Paarung infrage kommt. Dennoch könne die wahllose Paarung auch dann noch die sinnvollste Strategie sein, wenn sexuelle Signale gesendet würden.
Das bedeutet den Forschenden zufolge auch, dass das Geschlecht in der Evolution vor den sexuellen Signalen der Geschlechter entstanden sein muss und der Ursprung dementsprechend nicht der Gleiche ist. Diese Signale haben sich wahrscheinlich erst entwickelt, nachdem die sexuelle Fortpflanzung entstanden ist, schließen sie weiter. Das bestätige, dass wahlloses Paarungsverhalten die Urform der Sexualität gewesen sein könnte.
Wenige Sexualpartner - wenig wählerische Tiere
Die Modelle des Forschungsteams zeigen also, dass ein hoher Kosteneinsatz für eine "diskriminierende" Paarung und geringe sexuelle Signale durch das Zielgeschlecht förderlich für die wahllose Paarung als die optimalere Strategie sind. Sexuelle "Diskriminierung" - also die zielgerichtete Suche nach dem anderen Geschlecht - entwickle sich eher dann, wenn die Mehrheit einer Art dem Zielgeschlecht angehört und das suchende Geschlecht mit höherer Wahrscheinlichkeit jemanden passenden findet, um sich zufällig zu paaren.
Ein Einflussfaktor sei aber auch die Sterblichkeitsrate, schreiben die Forschenden. Wenn sie lange leben, hätten Mitglieder des suchenden Geschlechts viele Fortpflanzungsmöglichkeiten im Leben. Deshalb verursache es nicht so hohe "Kosten", wenn unter den Sexualpartnern auch mal gleichgeschlechtliche dabei seien. Wenn das Leben jedoch kurz ist, dann wird es unwahrscheinlicher, dass sich das Mitglied des suchenden Geschlechts überhaupt paaren kann, so die Forschenden.
In diesem Fall können sie es sich nicht leisten, zusätzliche Kosten zu haben. Deshalb ist ihre optimale Strategie, sich wahllos zu paaren und auf das Glück zu hoffen. Natürlich führt diese wahllose Paarung dazu, dass gleichgeschlechtliches Sexualverhalten häufig vorkommt.
Insgesamt sei eine wahllose Paarung wahrscheinlicher, wenn es sich um eine spärliche Population handelt, das Zielgeschlecht wählerisch ist oder das suchende Geschlecht sehr wettbewerbsfähig, heißt es weiter.
Keine falsche Identität
Zusammenfassend weisen die Forschenden die sogenannte Identitätshypothese zurück. Die geht davon aus, dass gleichgeschlechtliches Sexualverhalten das Ergebnis einer falschen Identität sei. Ihr Modell dagegen biete eine evolutionäre Perspektive, die darauf hindeute, dass die Homosexualität aus einer wahllosen Paarungsstrategie resultiere. Die Kopulation mit einem angetroffenen Artgenossen werde hier angestrebt, weil entweder die Wahrscheinlichkeit einer Begegnung oder die Kosten für den gleichgeschlechtlichen Sexualakt gering seien, so die Evolutionsbiologen.
Das Team weist allerdings auch darauf hin, dass die wahllose Paarung nur eine von vielen Hypothesen für gleichgeschlechtliche Sexualität sei. Einige andere häufige Argumente seien auch, dass sie etwa mit gleichgeschlechtlicher sexueller Anziehung auftritt, wie dies bei vielen Wirbeltieren der Fall sei. Dann könne sie sich etwa auch als Mittel zur Stärkung der sozialen Bindungen entwickeln oder als Folge der nicht-mendelschen Vererbung (wenn z.B. nicht ein einzelnes Gen den Vererbungsvorgang bestimmt, sondern Gene gekoppelt werden). Das sei dann ein grundlegend anderes gleichgeschlechtliches Sexualverhalten, was von der wahllosen Paarung zu unterscheiden sei. Insgesamt hänge es von bestimmten Fällen ab, welche Mechanismen da jeweils im Spiel seien. Die wahllose Paarung jedenfalls liefere insbesondere für eine ganze Reihe wirbelloser Tiere eine wahrscheinliche Erklärung. Ein gutes Beispiel für solche Tiere: Stachelhäuter wie beispielsweise Seeigel oder Seesterne.
Hier finden Sie die komplette Publikation zum Nachlesen.
(kie)
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