Paläogenetik Evolution in Rekordzeit: Warum der Mensch die Milch verträgt
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16. September 2024, 12:07 Uhr
Trinken Sie gerne mal ein Glas Milch? Das können nicht alle: Der Mensch ist eines von sehr wenigen Lebewesen auf der Welt, das Milch auch über das Säuglingsalter hinaus verdauen kann. Eine zufällige Mutation im Erbgut hat diese Fähigkeit evolutionär gesehen in Rekordzeit in unserem Organismus etabliert, wie Paläogenetiker jetzt herausgefunden haben.
In engen Schlingen mäandert das Flüsschen Tollense durch das grüne Hinterland von Mecklenburg-Vorpommern. Hier ist es in der Bronzezeit brutal zugegangen: Skelette von Kriegern zeugen von einer blutigen Schlacht im Jahr 1.200 vor Christus. Paläogenetiker Joachim Burger von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz war aber weniger am Krieg damaliger Tage, als am Erbgut der Bronzezeit-Menschen interessiert. Die Frage dabei: Konnten sie Milch verdauen?
Nach unseren Studien mit den Neolithikern, den ersten sesshaften Bauern, die 5.000 Jahre früher gelebt haben, waren wir daran interessiert eine Bevölkerung zu untersuchen, die deutlich später gelebt hat, um unsere alten Hypothesen zu überprüfen.
Entwicklung in nur 120 Generationen
Die Theorie der Forschenden lautete: Mit der Einführung des Ackerbaus hat sich auch die Fähigkeit, über das Säuglingsalter hinaus Milch verdauen zu können, evolutionär entwickelt. Doch die Bronzezeit-Krieger haben für eine Überraschung gesorgt: Nur etwa jeder achte habe die entsprechende Genvariante getragen, erzählt Anthropologie-Professor Burger. Heute besäßen über 90 Prozent der Bevölkerung von Mecklenburg-Vorpommern die Fähigkeit, Milch zu verdauen.
Dazwischen liegen etwa 120 Generationen. Da wir davon ausgehen, dass die Bevölkerung nicht ausgetauscht wurde in der Zwischenzeit, muss sich dieses Merkmal in dieser Zeit eben entwickelt haben.
Also in den vergangenen rund 3.000 Jahren. Das klinge zwar nach einem langen Zeitraum, meint Burger, doch normalerweise sei er es gewohnt im Zusammenhang mit der Evolution in Zeiträumen von Zehn- oder Hunderttausenden von Jahren zu denken. Dass sich in drei- oder vielleicht sogar nur zweitausend Jahren ein Merkmal so stark durchsetzt hat, ist aus Forschersicht sehr ungewöhnlich.
Wir können sogar sagen, dass diese genomische Region die am stärksten selektierte auf dem ganzen menschlichen Genom ist. Das heißt, es gibt kein einziges Genom, das stärker darwinisch selektiert wird als die Fähigkeit im Erwachsenenalter Milch zu verdauen.
Saubere Milch oder schmutziges Wasser?
Auf 100 Kinder ohne die Mutation kamen Burger zufolge in jeder Generation 106 Kinder mit Laktosetoleranz. Aber warum hat sich diese Fähigkeit erst so spät durchgesetzt? Die Theorie, dass sie die frühen Bauern bei Hungersnöten vor dem Tod gerettet haben könnte, sei ja nun hinfällig, sagt Burger. In der Bronzezeit habe es gar keine Notwendigkeit zur Anpassung gegeben: Der Ackerbau war etabliert, die Bevölkerung stabil und es gab alternative Kohlenhydrat- und Vitaminquellen. Der Paläogenetiker kann also nur spekulieren:
Aber wir müssen an andere Sachen denken als den reinen Energiegehalt. Vitamin D spielt sicherlich eher eine kleine Rolle. Also das eine könnte sein, (…) dass ein relativ kontaminationsfreies Getränk zur Verfügung stand, was in Zeiten von verseuchtem Wasser genauso wie Alkohol einen Vorteil darstellen könnte.
Wasser sei aus Angst vor Krankheiten wie der Cholera bis in das frühe 20. Jahrhundert möglichst vermieden worden. Dagegen hätten schon Kleinkinder Alkohol wie Apfelwein zu trinken bekommen. Burgers zweite Idee: Die Milch könnte bei Kindern auch für ein besser trainiertes Immunsystem gesorgt haben, sodass die Laktose-verträglichen besser überleben konnten. Die weiteren Forschungen der Mainzer sollen mehr Klarheit bringen: Sie wollen sich jetzt die Jahre 1000 vor bis 500 nach Christus anschauen. Denn da, so sagt Burger, spiele offenbar der größte Teil der Musik.
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