Hand eines Mädchens und eines älteren Mannes ergänzen sich zu Herzform, im Hintergrund unscharf ein Weizenfeld
Weizen: Sozial und nur in der Gruppe stark. Bildrechte: imago/Westend61

Ernährung Warum Weizen sozial ist – und Schatten bessere Erträge macht

11. September 2023, 17:10 Uhr

Weizen funktioniert nur mit mehr Weizen: Die Nutzpflanze ist ans Gruppendasein angepasst. Das hilft zwar nicht beim drohenden Weltuntergang. Erkenntnisse, wie sie das macht, sind aber wichtig, um ertragreiche und robuste Sorten zu züchten.

Junger Mann mit Bart, runder schwarzer Brille, schwarzem Basecap vor Roll-Up-Plane mit Logo von MDR WISSEN
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Der Weizen ist ein Herdentier. Das legen zumindest die Monokulturen nahe, deren Ähren sich jeden Sommer symmetrisch im Wind wiegen, bis Ihnen das Schicksal droht, welches das Stoppelfeld zum Stoppelfeld macht. Aber eigentlich stimmt das nicht: Wilder Emmer, eine Wildform des Weizens, ist von Natur aus ein Einzelgänger, der sich nicht um seine Artgenossen schert. Für einen hohen Ertrag sind das nicht die allerbesten Voraussetzungen. Dann was nützt sie schon, diese eine kraftvolle Ähre, wenn man sich ein Laib Brot zu backen gedenkt.

"Wenn viele Pflanzen in einem Pflanzenbestand vorkommen – egal, ob als Monokultur oder als Mischung von Arten –, sollten sie möglichst effizient die knappen Ressourcen, die jeder Einzelpflanze zur Verfügung stehen, nutzen." Das sagt Thorsten Schnurbusch vom IPK-Gatersleben im Westen Sachsen-Anhalts, dem Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung. "Sie sollten sich also möglichst nicht gegenseitig um die Nährstoffe und Licht streiten, indem sie sich beispielsweise gegenseitig zu stark beschatten." Ergibt Sinn: Wenn jeder Halm auf dem Feld der dickste und höchste sein will, sorgt das erstmal nicht für gute Wachstumsbedingungen und auch keine guten Bedingungen für Frühstücksbrötchen. Nur: Schatten ist auf dem dichtbesäten Acker nicht zu vermeiden. Schnurbusch und Team wollten deshalb herausfinden, welche sozialen Eigenschaften dem Einzelweizen zum Erfolg verhelfen.

Weizen-Anbau: Gegen die Natur, für die Gemeinschaft

Damit muss der Weizen etwas leisten, was eigentlich gegen seine Natur ist. Und gegen die unsere. Und gegen alles andere, denn laut gängigen Theorien der Evolution setzen sich meist diejenigen Individuen durch, die die stärksten Merkmale aufweisen und die meisten Nachkommen züchten. "Nur – wenn wir über Landwirtschaft sprechen, geht es aber nicht um das langfristige Überleben eines Individuums, sondern vielmehr um Flächenproduktivität", gibt Thorsten Schnurbusch zu bedenken.

Auf dem Feld brauchen wir also keine Einzelkämpfer, sondern Pflanzen, die mit den gegebenen Ressourcen gut haushalten können. "Daraus resultiert natürlich auch, dass Nutzpflanzen in der Natur in der Regel nicht mehr alleine zurecht kommen können. Sie sind daher von uns Menschen abhängig, um angebaut und vermehrt zu werden." Das kennt man: Es ist tunlichst zu vermeiden, einen Chihuahua in die Lausitzer Wildnis auszusetzen, in der Annahme, es handle sich im Grunde um einen Wolf. "Andererseits muss man auch klar festhalten, dass unsere heutigen modernen Gesellschaften nicht mehr ohne diese Nutzpflanzen auskommen können — wir leben mit ihnen quasi wie in einer Symbiose. Keiner kann ohne den anderen!"

Weizenfeld mit trockenen, goldgelben, teils gebogenen Ähren, bis zum Horizont, untergehende Sonne steht knapp über Feld
Monokulturen haben zwar was Romantisches, schaden aber der Biodiversität. Weizen fühlt sich auch mit anderen Sorten wohl. Bildrechte: imago/Westend61

Etwas Schatten erhöht die Erträge beim Weizen

Um seine Rolle in der Getreide-Mensch-Symbiose zu erfüllen, muss jede einzelne Weizenpflanze ressourcen-effizient wachsen. "Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass bei Beschattung einige Pflanzen mehr Nährstoffe in die Blütenstände einlagern und damit bessere Erträge erzielen." Die Forschenden in Gatersleben haben das anhand von Schattensimulationen herausgefunden. Da wird das fehlende Licht also zur Tugend – und damit der enge Pflanzenstand.

Im Umkehrschluss war es aber nicht von Vorteil, den Egoismus der Pflanze zu wecken. Verhaltensweisen, die die Fitness einzelner Pflanzen fördern, seien nicht vorteilhaft für die Gemeinschaft und in einzelnen Fällen sogar schädlich. "Solche Erkenntnisse können zu einer schnelleren und verbesserten Züchtung des Weizens beitragen", sagt Schnurbusch im Hinblick auf die Züchtung ertragreicher, robuster Sorten. Ein wichtiger Baustein bei der Anpassung des Menschen an den Klimawandel.

Wenn wir über Landwirtschaft sprechen, geht es aber nicht um das langfristige Überleben eines Individuums, sondern vielmehr um Flächenproduktivität.

Prof. Dr. Thorsten Schnurbusch IPK-Gatersleben

Auf der anderen Seite: Wenn die Pflanzen nur in der Gemeinschaft stark sind und es keinen Vorteil mehr hat, als robuster Einzelkämpfer hervorzustechen, wer bleibt dann eigentlich übrig, wenn's mal dicke kommt? "Bei einem Fast-Weltuntergang übernimmt die Natur natürlich wieder! Gesellschaften zusammen mit ihren Nutzpflanzen können dabei komplett untergehen", erklärt Schnurbusch. Überleben würden die Wildpflanzen, die nicht vom Menschen abhängig sind.

Diversität statt Monokultur: Soziale Gemeinschaft macht Pflanzen resilient

"Aber ich weiß worauf sie hinauswollen! Heutige moderne Landwirtschaft wird meistens mit großflächigen Monokulturen in Verbindung gebracht." Diese zwar sehr ertragreichen Kulturen können sehr anfällig gegenüber Pilzkrankheiten oder Insektenbefall sein. Ein Nachteil, der meistens mit Pestizideinsätzen abgefangen wird. "Nachhaltige Landwirtschaft sollte aber möglichst ohne diese Zusatzmittel auskommen. In dem Fall könnte man über den Anbau von zum Beispiel Sortenmischungen, Artenmischungen oder grundsätzlich diversere Anbau-Umwelten nachdenken, die diese Anfälligkeitsproblematik definitiv abmildern oder sogar verhindern können."

Das heißt, unser Sozi-Weizen ist nicht nur in der monokulturellen Herde stark, sondern auch in einer diversen Vergesellschaftung. Eine, in der die gegenseitige Abhängigkeit nicht nur durch den Menschen geprägt ist. Sondern durch viele andere Arten. Und die freuen sich ebenfalls, wenn sich alle die knappen Ressourcen ein bisschen einteilen.

Schwarz-weiß-Bild von Mann mittleren Alters im Hemd in Gewächshaus, erklärende Mimik und Gestik, Hintergrund unscharf, Text: Macht uns Gentechnik alle satt? 3 min
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Links/Studien

Die Studie Exploring the trade‐off between individual fitness and community performance of wheat crops using simulated canopy shade erschien im Fachblatt Plant, Cell & Environment.

DOI: 10.1111/pce.14499

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Dieses Thema im Programm: MDR S-ANHALT | Sachsen-Anhalt heute | 07. September 2023 | 19:00 Uhr

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