Viele Urlauber genießen das schöne Wetter in Zinnowitz 2 min
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Mikrobiologie Vibrionen in der Ostsee: Zwei Tote in Mecklenburg-Vorpommern

22. August 2024, 17:08 Uhr

Es ist Hochsaison an den deutschen Küsten. Und die von Vibrionen – das ist der Name von neuerlichen Unheilsbringern, die all diejenigen betreffen, die es diesen Wochen an die Ostsee verschlägt. Vibrionen sind Bakterien im Wasser, die unter Umständen zu schweren Infektionen führen können. Im August sind zwei Menschen infolge von Vibrionen-Infektionen gestorben. Wie gefährlich sind die Bakterien?

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Wer vom Arbeitsplatz quasi direkt auf den Ostseestrand schauen kann, muss ganz offenbar zur härteren Sorte gehören: Kneifen ist nicht. Damit Matthias Labrenz in die Wellen springt, braucht es gerade mal 15 Grad Wassertemperatur. Hat aber auch sein Gutes. Denn das ist zwar weit weg von jeglichem Badewannen-Komfort, aber je kälter, desto sicherer: "Über 18 Grad wird es sehr vorteilhaft für Vibrionen und dann sind sie in der Lage, sich sehr stark zu vermehren und gegebenenfalls auch Menschen zu infizieren." Und jetzt, Mitte August, liegen die Wassertemperaturen fast überall an der Ostsee bei 18 bis 21 Grad Celsius.

Labrenz ist Mikrobiologe am Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde, direkt zwischen Kurpark und Seepromenade. Sein Forschungsgegenstand liegt also hinter dem Sand vor der Institutstür. Schon seit Jahren beschäftigt er sich mit Vibrionen, insbesondere denen, die krankheitserregend sind. Vibrionen sind eine ganze Bakterienfamilie, von denen einige zum Schrecken schwimmfreudiger Ostseeferiengäste geworden sind. Und auch wenn unbegründete Panik naheliegt, der Schrecken besteht nicht gänzlich zu Unrecht, und eine Infektion ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen: "Die kann zur Sepsis führen, zu Organversagen und letztendlich auch innerhalb von wenigen Tagen zum Tod", sagt Labrenz im nüchternen Ton, der weder aufgebracht noch beruhigend wirkt.

Eine solche Sepsis war laut einer Mitteilung des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGuS) Mecklenburg-Vorpommern auch Todesursache bei einem 59-jährigen Mann. Hier wurden Vibrionen im Blut festgestellt. Ein 81-jähriger Urlauber verstarb laut LAGus an den Folgen der Infektion, die er beim Baden in der Ostsee erworben hatte. Er hatte verschiedene chronische Erkrankungen und offene Wunden.

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Mo 09.11.2020 13:46Uhr 04:47 min

https://www.mdr.de/wissen/videos/aktuell/ostsee-waermer-gefahr-durch-vibrionen100.html

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Vibrionen mögen's warm

Ein Grund, in einen Aktionismus des Umbuchens statt in erholsame Ferien zwischen Heringsdorf und Timmendorf Strand zu verfallen, ist das aber nicht. Todesfälle sind äußerst selten. Generell empfiehlt Matthias Labrenz: Mit offenen Wunden sollte ein Bad vermieden werden, wenn die Wassertemperatur über 18 bis 20 Grad liegt und das Meer ruhig ist. Etwas, das insbesondere ältere Personen oder immungeschwächte und (chronisch) vorerkrankte Menschen beherzigen sollten. Und auch der Verzehr von rohen oder unzureichend durcherhitzten Fischen und Meeresfrüchten aus den Gewässern kann für diese Gruppen ein Infektionsrisiko mit sich bringen. Wer nach dem Bad Symptome wie Schmerzen, Fieber oder Magen-Darm-Erkrankungen feststellt, sollte umgehend medizinischer Rat einholen, "weil eine Vibrioneninfektion sehr schnell verläuft und auch sehr schnell behandelt werden muss, um eben wirksam mit Antibiotika behandelt werden zu können."

Aktuelle Informationen zu Beobachtungen von Vibrionen-Vorkommen

… gibt es beim Landesamt für Gesundheit und Soziales MV oder auf der europäischen Warnkarte für marine Vibrionen (englisch). Das RKI hat zudem hier Antworten auf häufig gestellte Fragen zusammengestellt und bietet hier eine Übersicht mit weiterführenden Links zum Thema. Das Landesamt warnt, dass "bis zum Ende der Badesaison in der Ostsee, in den Boddengewässern und im Achterwasser mit einem vermehrten Vibrionen-Aufkommen gerechnet werden muss".

So war es glücklicherweise auch im Juni, als eine 55-Jährige mit offener Wunde und Vorerkrankung nach dem Waten durchs Wasser schnell behandelt werden konnte. Der Fall ereignete sich noch vor Start des offiziellen Wochenberichts des Landesamts für Gesundheit und Soziales in Mecklenburg-Vorpommern. Und legt nahe, dass der Klimawandel den Behörden davonrennt.

Wenn der Salzgehalt zu hoch ist, wird man von Vibrionen dort nicht infiziert werden

Prof. Dr. Matthias Labrenz Mikrobiologe

Der hat in den vergangenen Monaten für eine neue Dimension an Gewässertemperaturen gesorgt. Nicht nur der Nordatlantik ist überhitzt, sondern auch die von ihm gespeisten Nebenmeere Nord- und Ostsee, die zudem auch nicht sonderlich tief sind. Die Urlaubsgewässer der Deutschen sind also warm wie nie, die Ostsee hat schon Mitte Juni stellenweise 18 Grad erreicht. Um es mit den jüngsten Worten eines Jörg Kachelmann zu sagen: Die Situation ist grotesk. Die neuen Wärmeverhältnisse wirken nicht nur einladend für Mimosen in Badehosen, sondern auch für Vibrionen als ein tendenziell neues Risiko.

Niedriger Salzgehalt der Ostsee liefert gute Bedingungen für Vibrionen

Für die Ausbreitung benötigen sie aber nicht nur Wärme, sondern auch das Mischwasser in der Nähe von Flussmündungen oder eben das Brackwasser der Ostsee mit niedrigem Salzgehalt. "Wenn er zu hoch ist, dann wird man von diesem Organismus dort nicht infiziert werden", so die Entwarnung von Matthias Labrenz. Wer also ganz sicher sein möchte, sollte einen Badeurlaub an salzigeren Orten in Erwägung ziehen. Etwa in Sankt Peter-Ording, am Stand von Amrum und sonstwo an der Nordseeküste. Oder halt gleich ans sehr salzige Mittelmeer fahren.

Forschung zu Vorhersage und Dezimierung von Vibrionen

Matthias Labrenz und Team arbeiten aber auch daran, die Ferien für all jene sorgenfreier zu gestalten, die die deutsche Nordostküste nicht missen wollen. Im Rahmen des Forschungsprojekts BaltVib werden Erkenntnisse gesammelt, die dazu beitragen sollen, Vibrionen besser vorhersagbar zu machen oder ihren Bestand zu dezimieren, etwa durch Seegraswiesen oder Muschelbänke. So fand das Team bereits heraus, dass nicht nur Salzgehalt und Temperatur im Zusammenhang mit dem Vorkommen von Vibrionen stehen, sondern auch Algenblüten für das Auftreten der Art Vibrio vulnificus eine bedeutende Rolle spielen. Dieses Wissen könne für Vorhersagen genutzt werden, so Labrenz.

Diese Form der Klimaanpassung könnte Ostseeurlauberinnen und -urlaubern in Zukunft also die Ferien retten. Andernfalls sind die gar nicht unbedingt in Gefahr. Am Strand besteht sowieso keine Infektionsgefahr. Und – auch wenn er sich täglich mit Vibrionen beschäftigt – geht Matthias Labrenz selbst bei über zwanzig Grad noch ins Wasser. Mit der entsprechenden Weitsicht dürfen es auch andere Badegäste ihm gleichtun.

Ostseebad Binz 3 min
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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 21. August 2024 | 18:15 Uhr

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