Querdenken-Demo
Eine Demonstration der "Querdenken"-Bewegung in Deutschland. Bei den beiden Großdemonstrationen der Bewegung in Berlin, Anfang und Ende August 2020, bedienten die Menschen auf dem Podium auf vielfältige Weise die Interpretation, nach der die staatlichen Maßnahmen gegen das Coronavirus einem ganz anderen Zweck dienten. Bildrechte: IMAGO / aal.photo

Metastudie aus der Psychologie Komplexe Mechanismen: Warum Menschen an Verschwörungsmythen glauben

26. Juni 2023, 16:57 Uhr

Eine neue Metastudie zeigt: Menschen, die an Verschwörungsmythen glauben, sind keineswegs einfältig. Eine einfache Erklärung für diesen Glauben gibt es meistens nicht, die Gründe sind oft komplex.

Seit dem vergangenen Sonntag ist klar, dass die AfD im thüringischen Sonneberg den ersten Landrat in Deutschland stellen wird. Die Gründe für den Erfolg der rechten Partei dürften komplex sein, ein Alleinstellungsmerkmal der AfD ist dabei oft, dass sie beispielsweise in der Klimakrise oder dem Krieg Russlands gegen die Ukraine – nicht durchgehend, aber teilweise – Positionen vertritt, die eine Nähe zu populären Verschwörungsmythen aufweisen.

So stimmten in einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung überdurchschnittlich viele AfD-Wählerinnen und -Wähler der These zu, der Krieg in der Ukraine diene lediglich der Ablenkung von der Corona-Pandemie. Ein kausaler Zusammenhang mit den Wahlerfolgen der Partei ist zwar kaum herstellbar (immerhin sind auch in der Gruppe der Nichtwählenden Verschwörungsmythen verbreitet), aber oft liegt ein Zusammenhang mit einer negativen Bewertung der Demokratie vor.

Eine aktuelle Studie aus den USA liefert jetzt spannende Einblicke in Motivation und Persönlichkeitsmerkmale von Menschen, die an Verschwörungsmythen glauben.

54 Prozent glauben an mindestens einen Verschwörungsmythos

Solche Mythen sind an sich kein neues Phänomen – aber moderne Medien wie Internet und Social Media haben ihnen zu neuer Verbreitung verholfen. In einer Befragung der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2022 gaben 54 Prozent der Teilnehmenden an, mindestens einer von fünf abgefragten Verschwörungstheorien zuzustimmen. Dabei ging es um Aussagen wie "Die westliche Welt hat sich gegen Russland und Putin verschworen, um die eigene Macht auszubauen" oder "Die herrschenden Eliten verfolgen das Ziel, das deutsche Volk durch Einwanderer auszulöschen".

Gerade Menschen im politisch rechten Spektrum glaubten häufig an Verschwörungen – was auch mit einer negativen Bewertung der Demokratie korrelierte.

Verschwörungsglauben hat wenig mit Alter, Bildungsstand etc. zu tun

Jenseits davon sind Verschwörungstheorien eine sehr komplexe Sache: Bisherige Studien konnten zeigen, dass der Glaube an diese Mythen nicht mit psychischen Problemen oder einem bestimmten Bildungsstand zu tun hat – und auch Alter, Bildungsstand, Intelligenz oder Religion spielen keine entscheidende Rolle.

Die neue Metastudie im Journal Psychological Bulletin liefert nun spannende Erkenntnisse darüber, was Menschen ausmacht, die an Verschwörungsmythen glauben. Auf konkrete, einzelne Persönlichkeitsmerkmale lässt sich nicht zurückführen, ob Menschen anfällig für solche Erzählungen sind, aber: Eine erhöhte Anfälligkeit gibt es bei Menschen, die stark an die eigene Intuition glauben oder ihrem Umfeld gegenüber eher feindselig gegenüberstehen, beziehungsweise sich gegenüber ihrem Umfeld überlegen fühlen. Außerdem konnten die Forschenden eine höhere Anfälligkeit für Verschwörungsmythen bei Menschen feststellen, die sich durch ihr Umfeld bedroht fühlten.

Menschen, die an Verschwörungsmythen glauben, sind keineswegs einfältig

Im Rahmen der Meta-Studie analysierten die Forschenden Daten aus 170 Untersuchungen mit über 158.000 Teilnehmenden, hauptsächlich aus den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und Polen. Sie konzentrierten sich auf Studien, in denen die Motivationen oder Persönlichkeitsmerkmale der Teilnehmenden im Zusammenhang mit konspirativem Denken gemessen wurden.

"Verschwörungstheoretiker sind nicht alle einfältige, geistig verwirrte Menschen - ein Bild, das in der Populärkultur häufig gezeichnet wird", sagt Shauna Bowes, die Hauptautorin der Studie: "Stattdessen wenden sich viele Verschwörungstheorien zu, weil das bestimmte Bedürfnisse bei ihnen befriedigt, oder um Not und Dingen, die schieflaufen, einen Sinn zu geben."

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Persönlichkeitsmerkmale spielen nur teilweise eine Rolle

Spannend ist auch, dass die Big Five der Persönlichkeitsmerkmale (Extraversion, Verträglichkeit, Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus) kaum eine nennenswerte Rolle im Zusammenhang mit Verschwörungsglauben spielten. Einen Zusammenhang fanden die Forschenden in der aktuellen Studie dafür zwischen Persönlichkeitsmerkmalen wie Paranoia und Misstrauen gegenüber dem Umfeld. Außerdem stellten sie fest, dass diejenigen, die an Verschwörungsmythen glaubten, auch eher unsicher, paranoid, emotional instabil, impulsiv, misstrauisch, zurückgezogen, manipulativ, egozentrisch oder exzentrisch waren.

Zusammenfassend ergaben sich die stärksten Korrelationen zwischen konspirativem Denken und

  1. einem Gefühl von Gefahr oder Bedrohung, oder
  2. dem Glauben an Intuition und "odd beliefs and experiences " (das sind Erfahrungen, die von der Realität abweichen), oder
  3. sich anderen Menschen überlegen fühlen oder Antipathien hegen.

Verschwörungsideologien haben einen Einfluss auf die Demokratie

Shauna Bowes betont anlässlich ihrer Studie zum Thema, dass wir die genauen psychologischen Mechanismen hinter verschwörungsideologischem Denken immer noch kaum verstehen. Sie wünsche sich, dass weitere Forschung in dem Bewusstsein durchgeführt wird, dass konspiratives Denken komplex ist. Ein besseres Verständnis dieses Denkens erscheint aktuell auch deshalb relevant, weil Verschwörungsmythen nicht entkoppelt von demokratischen Einstellungen sind.

"Da sie der Regierung und politischen Eliten stark misstrauen, lehnen viele der Verschwörungsideologen die repräsentative Demokratie ab", sagt Anne Küppers vom Institut für Politikwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Gespräch mit der tagesschau. Sie ist Co-Autorin der erwähnten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über Demokratievertrauen in Krisenzeiten. Aus ihrer Sicht könne man beispielsweise mit Bildung den Anteil der Verschwörungsgläubigen in der Gesamtbevölkerung durchaus senken – ganz verschwinden werde Verschwörungsdenken aber nicht.

Links/Studien

Zur Metastudie "The conspirational Mind" im Journal Psychological Bulletin geht es hier.
Einen Hintergrundartikel über die AfD und Verschwörungsmythen gibt es hier auf den Seiten der tagesschau.

iz

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 16. Mai 2023 | 06:17 Uhr

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