Kommentar zu Sonneberg "Die Wähler interessieren keine Grabenkämpfe"
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26. Juni 2023, 05:00 Uhr
In Deutschland ist erstmals ein AfD-Politiker zum Landrat gewählt worden. Im Kreis Sonneberg stimmte in der Stichwahl am Sonntag die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler für den AfD-Kandidaten Robert Sesselmann. Redakteur Guido Fischer ordnet das Ergebnis im Kommentar ein.
Sonneberg hat Geschichte geschrieben. Im zweitkleinsten Landkreis der Republik erobert die AfD zum ersten Mal ein Landratsamt. Mit Robert Sesselmann wurde ausgerechnet ein loyaler Gefolgsmann des gefährlichsten Rechtsextremisten innerhalb der AfD, ihrem Thüringer Landes-Chef Björn Höcke, zum Landrat gewählt.
Die Entscheidung haben die Wählerinnen ganz bewusst getroffen: Trotz aller Warnungen nach Sesselmanns 47-Prozent-Ergebnis im ersten Wahlgang. Trotz Wahlempfehlungen aller anderen Parteien für Sesselmanns CDU-Gegenkandidaten Jürgen Köpper. Diese Allparteienallianz hat vermutlich Sesselmann mehr geholfen als geschadet.
Geholfen hat Sesselmann auch der Zustand der CDU im Kreis Sonneberg. Die Union ist heillos zerstritten. Sie sitzt mittlerweile mit jeweils zwei Fraktionen im Stadtrat und Kreistag, wo die AfD eine unscheinbare Sachpolitik gemacht hat.
Auf Protest- und Frustwähler gesetzt
Gesetzt hat Sesselmann im Wahlkampf vor allem auf Themen, die nicht zur Wahl standen. Parolen wie "Raus aus dem Euro" wird er im Landratsamt Sonneberg nicht umsetzen können. Das wissen die meisten seiner Wählerinnen und Wähler. Neben dem nicht unerheblichen Sockel an überzeugten AfD-Wählern haben viele auch Protest gewählt. Auch wenn der Kreis Sonneberg auf den ersten Blick wirtschaftlich ganz gut dasteht - Gründe für Frust gibt es genug.
Für Frust sorgen die anhaltenden Krisen, von denen Sesselmann profitiert hat. Die Corona-Krise hat das Land entzweit. Der Ukrainekrieg verschärft dies noch. Viele bezweifeln, dass es richtig ist, immer mehr Waffen in die Ukraine zu schicken. Die Energiepreise sind für Privatleute und vor allem für die Wirtschaft eine immense Belastung. Es gehen wieder existenzielle Ängste um. Ganze Industriezweige wie die regional bedeutende Glasindustrie stehen vor dem Aus. Die ohnehin schon schlecht bezahlten Jobs drohen zu verschwinden.
AfD muss nur zuschauen und abwarten
Was hat Sesselmann als bisheriger Landtagsabgeordneter dagegen unternommen? Nichts. Die AfD muss ja im Thüringer Parlament auch nur zusehen, wie sich die anderen Parteien gegenseitig beschädigen. Rot-rot-grüne Minderheitsregierung und CDU-Opposition blockieren sich mehr als zu kooperieren. Da, wo Kompromisse gefunden wurden, werden sie entweder von den Landesministerien verschleppt oder erhalten im Landtag doch nicht die nötigen Mehrheiten.
Ist Sesselmanns Wahlsieg daher der Vorbote eines Erfolges der AfD bei der nächsten Landtagswahl? Nicht, wenn sich die anderen Parteien wieder um die Probleme der Menschen im Land kümmern. Die Menschen interessieren keine Kooperationsverbote aus Parteizentralen und ideologische Grabenkämpfe der 90er-Jahre. Sie erwarten, dass Flüchtlinge menschenwürdig untergebracht und schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden. Sie erwarten, dass Menschen, die kein Bleiberecht haben, schnell abgeschoben werden.
Auftrag: Erwartungen der Menschen erfüllen
Eltern erwarten, dass in den Schulen genug Lehrerinnen unsere Kinder unterrichten. Unternehmer und Arbeitnehmer hoffen auf finanzielle Hilfen gegen die hohen Energiepreise. Die Menschen auf dem flachen Land brauchen bessere ÖPNV-Angebote und eine gute medizinische Versorgung.
Wenn es insbesondere Linke und CDU gelingt, diese Probleme gemeinsam anzugehen, bleibt wenig Platz mehr für Stimmungsmache durch Sesselmann und seinen Parteichef Höcke. Dann gilt - in Umkehrung der AfD-Devise: Wenn es dem Land und seinen Menschen besser geht, sieht es schlecht aus für die AfD. Die Parteien im Erfurter Landtag haben es in der Hand.
Hinweis aus der Redaktion: User-Kommentare sind unter diesem Beitrag zur Wahl in Sonneberg möglich.
MDR (gh)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 25. Juni 2023 | 19:00 Uhr