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Der CO2-Preis belastet Einkommensschwächere vergleichsweise stark. In Zukunft wird sich die ungleiche Belastung sogar noch verschärfen. Doch eine sozialgerechtere Klimaschutzpolitik ist möglich.

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Klimaschutz und Gerechtigkeit "Sozialer Sprengstoff" CO2-Preis. Ist eine sozialgerechte CO2-Bepreisung möglich?

29. Juni 2024, 18:00 Uhr

Der CO2-Preis belastet Einkommensschwächere vergleichsweise stark. In Zukunft wird sich die ungleiche Belastung sogar noch verschärfen. Doch es geht auch anders, sagen Experten. Und schlagen eine Reihe von Maßnahmen vor. Darunter das einkommensabhängige Klimageld.

Der CO2-Preis auf Kraftstoff und Heizen ist derzeit noch verhältnismäßig wenig zu spüren. Momentan zahlen Verbrauchende 13 Cent CO2-Abgabe pro Liter Superbenzin und rund einen Cent pro Kilowattstunde Gas. Bisher entfaltet die CO2-Steuer also kaum Lenkungswirkung. Doch im Jahr 2027 wird sich das ändern. Mit der Einführung des neuen europäischen Emissionshandels für Brennstoffe erwarten Fachleute einen sprunghaften Preisanstieg für Verkehr und Wärme.

"Eine CO2-Bepreisung muss zwingend Alternativen für klimaschädliches Verhalten bereitstellen. Wir brauchen eine sozialgerechte Abfederung. Beides ist mit der Einführung des CO2-Preises nicht geschehen“, warnt Marion Jungbluth, Expertin für Mobilität bei Verbraucherzentrale Bundesverband. "Deswegen kann ein noch höherer CO2-Preis dazu führen, dass Menschen sich Mobilität oder auch Energie und Wärme nicht mehr leisten können. Das ist ein sozialer Sprengstoff".

Der CO2-Preis belastet untere Einkommensgruppen jetzt schon stärker. Das hat Jan Weiß ausgerechnet, der sich beim Umweltbundesamt mit Grundsatzfragen des Emissionshandels beschäftigt. Haushalte mit höherem Einkommen hätten zwar höhere CO2-Kosten, weil sie mehr Auto fahren, größere Modelle haben und in größeren Wohnungen wohnen. Doch es zeige sich eine wesentlich höhere relative Belastung der unteren Einkommensgruppen. Bei den einkommensschwächsten zehn Prozent der Haushalte fließe 0,9 Prozent des verfügbaren Nettoeinkommens in den CO2-Preis, während dieser Anteil bei den Haushalten mit den höchsten Einkommen mit nur 0,3 Prozent deutlich geringer sei. Durch den erwarteten Preisanstieg würde sich die ungleiche Belastung weiter verschärfen, wenn nicht gegengesteuert wird.

Aus Fehlern lernen: Sozial gestaffeltes Klimageld

Das wäre nicht das erste Mal, dass die Energiewende einkommensstarke Haushalte begünstige. Mit der EEG-Umlage haben Stromkundinnen und -kunden zwischen 2000 und 2023 den Ausbau von Anlagen zur erneuerbaren Energiegewinnung mitfinanziert. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz war ein Erfolg: Weit über die Hälfte des erzeugten Stroms stammt mittlerweile aus erneuerbaren Quellen. Allerdings haben ärmere Bevölkerungsschichten im Verhältnis zu ihrem Einkommen deutlich mehr für den Netzausbau ausgegeben als Einkommensstarke, die zudem von weiteren Vergünstigungen für eigene Solaranlagen auf dem Dach profitieren konnten.

Damit sich diese Schieflage im Zuge der CO2-Bepreisung nicht wiederholt, fordern Klimaschützende, dass das Geld an ärmere Haushalte schnell zurückgegeben wird. Dazu hat Jan Weiß mit einer Kollegin ein umfassendes Programm vorgelegt. Ein Instrument ist das sozial gestaffelte Klimageld. "Wir wollen das Geld, was wir als Staat aus der CO2-Bepreisung einnehmen, über ein Klimageld an untere und mittlere Einkommensgruppen zurückverteilen", so Weiß. "Untere Einkommen kriegen Klimageld, obere Einkommen kriegen gar kein Klimageld, weil sie sehr gut mit den höheren CO2-Preisen umgehen können. Weil sie im Zweifel schon eine Wärmepumpe im Haus und ein Elektroauto haben und gar keine CO2-Kosten mehr haben".

Denn die Umstellung auf nicht fossile Energie laufe bei höheren Einkommensgruppen deutlich schneller ab, so der Experte. Unterstützung brauchen hingegen alle Haushalte, die einen hohen fossilen Energiebedarf haben und den Umstieg nicht aus eigener Kraft schaffen. Ergänzend zum Klimageld sollen ihnen spezifische Förderprogramme zur Seite stehen. "Zum Beispiel Leasingmodelle für Elektroautos für untere Einkommensgruppen oder, ganz wichtig im Gebäudebereich, dass wir die Sanierung mit einem sozialen Blick angehen".

Systemwechsel: Vermietende mit geringem Einkommen bei der Sanierung fördern

 "Vulnerable Haushalte bei der Senkung der CO2-Emissionen zu unterstützen, das ist der Königsweg einer sozialgerechten Klimapolitik", erklärt Kerstin Tews, Expertin für wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Umweltfragen beim Umweltbundesamt, die zusammen mit Jan Weiß das Programm entwickelt hat. Denn vulnerable Haushalte mache nicht nur das geringe oder mittlere Einkommen aus. Sie haben strukturell bedingt einen hohen fossilen Energiebedarf, aber nicht die Mittel, auf erneuerbare Quellen umzusteigen. "Das bedeutet nichts Geringeres als das aktuelle Regime der Sanierungsförderung umzugestalten", fordert Tews. "Weg von einem System, das besonders einkommensstarke Eigentümer- und Eigentümerinnenhaushalte unterstützt, hin zu einem, das diejenigen unterstützt, die nicht in der Lage sind, Anreize durch die CO2-Bepreisung umzusetzen".

Zentral sei, dass vermieteter Wohnraum mehr in den Fokus rückt. Denn ein großer Teil vom Wohnraum werde von Privatpersonen vermietet. Es gebe zwar bereits das CO2-Kostenaufteilungsgesetz. Dieses verlagere die CO2-Kosten umso stärker auf die Vermietenden, je ineffizienter das Haus ist. Aber ergänzend dazu brauche es bessere Unterstützung für Privatvermietende mit geringem Einkommen. Diese sollten höhere Fördersätze für Sanierung erhalten. Auch solche, die sozialen Wohnungsbau betreiben oder Gebäude vermieten, in denen viele Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen wohnen, sollten gefördert werden. Ein Beispiel: Aktuell erhalten Hauseigentümerinnen und -eigentümer mit einem Einkommen bis 40.000 Euro einen Bonus für den Heizungstausch. Der Einkommensbonus müsse aber auf weitere Sanierungsmaßnahmen und weitere, oben genannte Zielgruppen ausgeweitet werden.

"Vermieter und Vermieterinnen haben noch keinen ökonomischen Anreiz, um in die energetische Sanierung zu gehen"

Viele Mietende wohnen in sehr schlecht sanierten Gebäuden, können aber gar nicht darüber entscheiden, das Dach zu dämmen oder neue Fenster einzubauen. Denn das liegt in der Entscheidungsgewalt der Vermietenden. Der CO2-Preis und Förderprogramme würden deshalb allein nicht ausreichen, sagt Astrid Schaffert von der Ideenschmiede "Zukunft KlimaSozial". "Vermieter und Vermieterinnen haben momentan noch keinen ökonomischen Anreiz, um in die energetische Sanierung zu gehen. Die Mieten können auch so immer wieder angehoben werden", moniert die Expertin und fordert verbindliche Vorschriften für Sanierung.  

"Ohne bindendes Recht ist die Gefahr sehr groß, dass eben diejenigen mit wenig Geld und wenig Ressourcen im fossilen Lock-In steckenbleiben, weil sie aus eigener Kraft nicht rauskommen". Die Forderung nach gesetzlichen Vorschriften steht im Einklang mit den Ergebnissen einer Studie der Europa Universität Flensburg. Diese hat die Empfehlungen von elf europäischen Klimabürgerräten untersucht. Das sind repräsentativ zusammengesetzte Diskussionsforen, die sich mit Klimaschutz beschäftigen und Empfehlungen für die Politik aussprechen. Der Befund: Die Menschen begrüßen Regulierungen zu einem viel stärkeren Maße als steuerliche und wirtschaftliche Anreizinstrumente. Anders gesagt: Sie sehen die CO2-Bepreisung weniger positiv und empfehlen sie weniger.

E-Auto attraktiver machen: 10.000 Euro Erstzulassungssteuer für SUVs

Wenn Kraftstoffe teurer werden, birgt das die Gefahr, dass Menschen sich den Familien- oder Kinobesuch nicht mehr leisten können – alles wichtige Dinge, um sich nicht einsam zu fühlen. E-Autos seien im Moment noch keine attraktive Alternative. "E-Autos sehen aus wie Panzer, kosten ein irres Geld und schlucken auch noch viel Strom. Und Strom wird ja ebenfalls teurer", so die Mobilitätsexpertin Marion Jungbluth. E-Autos müssten daher erst kleiner und sparsamer werden. Das ließe sich über verbindliche Regulierungen für die E-Auto Industrie erreichen.

Tews und Weiß vom Umweltbundesamt schlagen ein staatlich gestütztes Leasingmodell für untere Einkommensgruppen vor, so ähnlich wie das Social Leasing in Frankreich. Dort können sich Einkommensschwächere ab 54 Euro im Monat ein E-Auto leasen. Das Programm gibt es dort seit Ende letzten Jahres und es funktioniert gut. Um den Umstieg auf Elektrofahrzeuge zu fördern, haben sie außerdem eine sogenannte E-Auto Kaufprämie entwickelt. Dabei handelt es sich um eine einmalige CO2-Erstzulassungssteuer, die beim Kauf eines Autos entrichtet werden soll. Die Höhe der Steuer soll sich nach dem CO2-Verbrauch des Fahrzeugs richten – bei einem großen SUV bis zu 10.000 Euro – und so den Verkauf von E-Autos anregen.

Eigenes Auto überflüssig machen: Rufbusse auf dem Land

Ein sozialgerechter Klimaschutz im Bereich Mobilität beinhaltet aber vor allem ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsmittelnetz für alle, darin sind sich die Fachleute einig. "Zwingend brauchen wir einen ÖPNV, der eine Mobilität ohne eigenes Auto möglich macht. Und das nicht nur in den großen Städten, sondern auch auf dem Land. Es muss durch Bedarfsverkehre, also zum Beispiel Rufbusse oder Bürgerbusse, möglich sein, ohne eigenes Auto meine Erledigungen zu machen", erklärt Jungbluth. Auf dem Land müsse kein fünf-Minuten-Takt, aber zumindest ein stündlicher Takt bereitgestellt werden. "Wir brauchen außerdem ein soziales Deutschland-Ticket für diejenigen, für die auch 49 Euro viel zu viel Geld sind, damit die sich den ÖPNV leisten können".

In der Vergangenheit wurde in der Klimaschutzpolitik zunehmend auf Umlagen zurückgegriffen, wie die eingangs erwähnte EEG-Umlage. Seit einiger Zeit ist auch die sogenannte "Tierwohl-Abgabe" wieder im Gespräch. Bei diesen Abgaben handelt es sich um Konsumsteuern, die die Einkommensschwächeren stärker belasten. Es sei wichtig, das Geld aus der CO2-Beipreisung schnell wieder rückzuverteilen, so Schaffert. Zumindest das Klimageld steht im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Die rund 18 Milliarden Euro, die vergangenes Jahr aus der CO2-Bepreisung eingenommen wurden, sind jedoch bereits anderweitig verplant. Die Expertinnen und Experten machen darauf aufmerksam: Die Energiewende ist eine gesellschafts- und generationenübergreifende Aufgabe und braucht eine breitere finanzielle Basis, neben den Einnahmen aus der CO2-Steuer also auch andere Steuergelder.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 27. Juni 2024 | 15:44 Uhr

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