Über Grenzen hinweg Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena: Ein Rettungsteam für Mensch und Erde
Hauptinhalt
01. Juli 2024, 21:47 Uhr
Die Erde schwebt in Gefahr: Immer mehr Treibhausgase, Versauerung der Meere, Artensterben und Kriege. Seit dem Beginn des Anthropozän Mitte des 20. Jahrhunderts explodieren die Messgrößen in vielen Teilbereichen des Erdsystems geradezu. Unser Planet gerät zunehmend an seine Grenzen, langfristig droht uns der Kollaps, sagen Forschende. Wie kann die Menschheit dieser Entwicklung begegnen? Antworten auf diese Frage werden seit kurzem in Jena am Max-Planck-Institut für Geoanthropologie erforscht.
Die Geoanthropologie widmet sich der Erforschung der vielfältigen Krisen des Anthropozäns aus einer transdisziplinären Perspektive, fasst der Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Geoanthropologie, Jürgen Renn, die Mission seines Hauses bei der internationalen Eröffnungskonferenz in Zusammenarbeit mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina zusammen. Diese neue Disziplin versuche, die Auswirkungen der menschgemachten Systeme und Eingriffe auf das natürliche Erdsystem zu verstehen. Es sei die Wissenschaft vom gekoppelten Mensch-Erde-System. Denn dessen Dynamik sei noch nicht gut verstanden.
Geoanthropologie ist die Wissenschaft vom gekoppelten Mensch-Erde-System.
Diese Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur ist die Folge menschlicher Handlungen. Ob es das Klima ist, der Rückgang der Biodiversität oder der intensive Verbrauch von Boden, Wasser und Rohstoffen: Überall hat der Mensch seine Finger im Spiel. Er greift direkt in die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde ein. Fachleute sprechen deshalb auch vom Anthropozän – dem Zeitalter des Menschen. Dieser große menschliche Einfluss tut unserem Planeten nicht gut, er destabilisiert ihn zunehmend. Deshalb müssen die komplexen Ursachen, Prozesse und Entwicklungen des Anthropozäns verstanden werden, um die Grenzen zu definieren und mit den Folgen umgehen zu können.
In Jena wolle man künftig einem Weg folgen, der von den Erdsystemwissenschaften seit Jahrzehnten vorgezeichnet worden sei, erläutert Renn. Dabei berücksichtige man jetzt aber in vollem Umfang die beispiellosen Auswirkungen der globalen Menschheit auf das Erdsystem. "Unser Forschungsauftrag umfasst Fragen nach globalen Lösungen, danach, was getan werden kann, damit unsere Lebensbedingungen auf diesem Planeten angesichts des raschen Klimawandels, des Verlusts der biologischen Vielfalt, der Verschlechterung der Umweltbedingungen und der gefährdeten Gesundheit des Planeten erhalten bleiben", so Renn.
Anthropozän
Das Anthropozän ist das Erdzeitalter des Menschen. Der Begriff ist zusammengesetzt aus dem altgriechischen "Ánthropos" für "Mensch" und der Endung "-zän", die von "kainós" abgeleitet ist und "neu" bedeutet. Anthropozän bezeichnet also ein neues geologisches Zeitalter, das vom Menschen bestimmt ist. Denn der Mensch greift seit jeher, aber insbesondere seit dem Beginn der Industriellen Revolution vor rund 200 Jahren so massiv in die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde ein, dass die Auswirkungen noch in 100.000 bis 300.000 Jahren zu spüren sein werden. Mindestens so lange dauern die Epochen in der Erdgeschichte.
Der Begriff und das Konzept des Anthropozän ist um die Jahrtausendwende erstmals von Nobelpreisträger Paul Crutzen aufgebracht worden und seitdem umstritten. Erst kürzlich hat die International Union of Geological Sciences (IUGS), das höchste Wissenschaftsgremium seiner Disziplin, es abgelehnt, das Zeitalter des Anthropozän offiziell auszurufen.
Einer der entscheidenden Begriffe der Anthropozänforschung ist die "große Beschleunigung" (Great Acceleration). Unter diesem Schlagwort wird die Entwicklung zusammengefasst, dass seit den 1950er Jahren eine Vielzahl sozio-ökonomischer, ökologischer und geografischer Messgrößen regelrecht explodiert. So etwa bei der Weltbevölkerung, dem Verlust an Biodiversität, den Mengen an CO2 und Methan in der Atmosphäre sowie bei Erosion und Entwaldung.
Forschung über Grenzen hinweg
Das Max-Planck-Institut für Geoanthropologie verfolgt zwar ein komplett neues Forschungskonzept, ist aber keine gänzlich neue Forschungseinrichtung. Es ist aus dem Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte hervorgegangen. Der Senat der Max-Planck-Gesellschaft hat bereits Mitte 2022 die Umbenennung und eine wissenschaftliche Neuausrichtung beschlossen. Neben Wissenschaftshistoriker Renn ist auch die Klimaforscherin Ricarda Winkelmann Gründungsdirektorin.
Das Institut führt gezielt Forschungsgebiete zusammen, um inter- und transdisziplinär arbeiten zu können. Denn zum Verständnis der komplexen Mensch-Ökosystem-Dynamik reiche die Expertise der einzelnen Disziplinen nicht aus. Deshalb werden Forschungsgebiete wie Klimaforschung und Biodiversitätsforschung aus den Naturwissenschaften mit Geistes- und Sozialwissenschaften zusammengebracht. Es ist das erste Max-Planck-Institut, das alle drei Sektoren der Max-Planck-Gesellschaft vereint: die Abteilung für Humanwissenschaften, die Abteilung für Chemie, Physik und Technologie sowie die Abteilung für Biologie und Medizin. Und es ist explizit auf die Kooperation mit anderen Forschungseinrichtungen auf der ganzen Welt ausgelegt.
Wie können wir es überhaupt wagen zu denken, dass wir solche komplexen Fragen angehen können? Wir fangen ja nicht bei Null an. Wir haben eine große Expertise hier am Institut, in der Max-Planck-Gesellschaft und darüber hinaus in der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft.
Und das haben die Verantwortlichen auch für ihre Eröffnungskonferenz gemacht: Auf der gemeinsamen Konferenz mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina "The Anthropocene - Addressing its challenges for humanity - crossing the boundaries of science" sind zahlreiche renommierte Vertreterinnen und Vertreter ihrer Disziplinen aufeinandergetroffen, um sich über Ursachen und Prozesse des Anthropozäns und auch über mögliche Handlungsspielräume auszutauschen. Dabei haben die Forschenden auch immer wieder betont: Es braucht neue Wege, um den Krisen des Anthropozäns zu begegnen – innerhalb der Forschung etwa die Hilfe künstlicher Intelligenz, aber auch in der Kommunikation mit Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.
(kie)
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 28. Juni 2024 | 17:40 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/596fd448-b0d6-4472-bb05-0cd813ac1d05 was not found on this server.