Olympische Spiele 2024 Wie klimafreundlich ist Olympia in Paris wirklich?
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26. Juli 2024, 16:53 Uhr
Die Olympischen Spiele in Paris sollen die nachhaltigsten Spiele aller Zeiten werden. Aber bereits vor Beginn des Mega-Events gibt es Kritik. Maximal 1,75 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sollen im Zusammenhang mit den Spielen entstehen. Für dieses ehrgeizige Ziel haben die Veranstalter viel in Kauf genommen.
Die Olympischen Spiele in Paris sollen die grünsten und inklusivsten Spiele aller Zeiten werden, so die Aussage der Veranstalter. Aber was ist dran an dieser selbstbewussten Aussage? Ob klimafreundliche Spiele tatsächlich gelingen können, analysieren wir in den Kategorien Wasser, Mobilität, Sozialverträglichkeit und CO2-Fußabdruck. Ob am Ende auch das Klima bei diesen Spielen gewinnt ermitteln wir in einer kleinen, fiktiven Medaillenwertung.
Die Olympischen Spiele werden vom Internationalen Olympischen Komitee IOC organisiert. Dort hat man schon 1999 eine Agenda 21 für nachhaltige Entwicklung festgelegt und 2016 eine Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg.
Eine Studie im Journal nature sustainability kommt 2021 zu dem Ergebnis, dass die Spiele zwischen 1992 und 2020 immer nur ein mittleres Nachhaltigkeits-Niveau erreicht haben, Tendenz sinkend. Die Grafik stellt alle Spiele in diesem Zeitraum dar, je höher eine Olympia-Ausgabe auf dem Score rankt, desto nachhaltiger. Auch die olympischen Spiele in Lillehammer 1994 und Vancouver 2010, die sich selbst als "grün" und "nachhaltig" bezeichnet hatten, konnten nach Einschätzung der Forschenden jenseits des Labels nicht viel erreichen.
Ein Kernproblem der Spiele bleibt, dass sie im Verlauf der Jahre immer größer geworden sind und jedes Mal in einer anderen Stadt abgehalten werden, es müssen also auch jedes Mal neue Infrastrukturen geschaffen werden. Die Pariser Spiele wollen hier einiges anders machen und setzen zu 95 Prozent auf bereits bestehende oder temporäre Austragungsorte. Neu gebaut wurden lediglich ein Wassersportzentrum in Seine-Saint-Denis und das olympische Dorf.
1. Wasser
Abseits des neuen Wassersportzentrums sollen aber auch einige Wettkämpfe auf und in der Seine stattfinden – dem Fluss der sich mitten durch Paris zieht. Seit hundert Jahren war das Baden in der Seine streng verboten, weil sie als extrem verdreckt galt. Das Abwasser und Brauchwasser der Stadt wurde bei starkem Regen aus der Kanalisation direkt in den Fluss geleitet – vorbei an allen Kläranlagen. Nun soll ein neues, 50.000 Kubikmeter großes Rückhaltebecken dafür sorgen, dass Wassermassen erst einmal dort gehalten und dann in Kläranalgen geleitet werden können. 1,4 Milliarden Euro hat die Stadt für dieses System ausgegeben.
Viele Pariserinnen und Pariser hätten sich schon länger einen sauberen Fluss gewünscht – und kritisieren, dass die Stadtverwaltung das Problem nun nur angehe, um bei Olympia gut dazustehen. Unter dem Hashtag #JeChieDanslaSeine (dt.: Ich kacke in die Seine) drohten einige, den Fluss erneut mit Fäkalien zu versetzen. Wie ernst das gemeint war, ist nicht abschließend geklärt, aber zumindest scheint die Aktion nicht verhindert zu haben, dass die Seine aktuell die nötige Wasserqualität hat. Um das zu beweisen, badete die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo bereits publikumswirksam in dem Fluss. Wenn alles gut geht, sind dann Anfang August die Athletinnen und Athleten im Freiwasserschwimmen und Triathlon dran – und danach perspektivisch auch die Bürgerinnen und Bürger von Paris.
Gewinnt Paris in dieser Kategorie? Schwer abzusehen. Eine saubere Seine wäre langfristig ein echtes Upgrade für die Stadt – aber noch ist nicht so ganz klar, ob der Fluss dauerhaft die nötigen Qualitätswerte erfüllt. Wir vergeben an dieser Stelle eine Bronzemedaille für das ambitionierte Ziel. 🥉
2. Mobilität
15 Millionen Touristen werden während der Olympischen Spiele in Paris erwartet. Plus die Athletinnen und Athleten sowie ihre Teams. Die Sportstätten liegen diesmal alles in einem Radius von lediglich zehn Kilometern und können alle innerhalb von 30 Minuten erreicht werden. Kurze Wege sollen die Klimabilanz der Spiele verbessern. Unterwegs sind all die Menschen während der Olympischen Spiele bestenfalls per ÖPNV oder Rad. Bereits vor einem Jahr hat die Stadt damit begonnen, Parkplätze abzuschaffen und neue Radwege sowie Metrolinien zu bauen.
Was das Radwegenetz angeht, steht Paris schon länger ganz gut da. Im Copenhagenize Index, der die Fahrradfreundlichkeit von Städten (weltweit ab 600.000 Bewohnenden) rankt, liegt die französische Hauptstadt aktuell auf Rang acht – mit beeindruckenden Infrastruktur-Verbesserungen seit 2015. Touristen können beispielsweise eines der vielen Leihfahrräder in der Stadt nutzen.
Bereits jetzt gilt das Pariser Metro-System zu Stoßzeiten als überlastet und nicht alle der neuen Metro-Linien, die extra für die Spiele geplant wurden, werden rechtzeitig fertig. Wie sich 15 Millionen Touristen hier auswirken werden, bleibt spannend. Die Zugfrequenz soll während der Spiele deutlich erhöht werden, um dem Ansturm gerecht zu werden, außerdem werden die Linien zu den Hauptstätten verstärkt. Um die damit entstehenden Kosten zu decken, wurden die Ticketpreise rund um die Olympischen Spiele (vom 20. Juli bis 8. September) stark angehoben, ein Metro-Einzelticket kostet normalerweise 2,10 Euro und jetzt fast das doppelte, nämlich vier Euro. Damit wolle man bewusst Mehrkosten auf die Touristinnen und Touristen umlegen, erklärt die Vorsitzende des Verkehrsverband Ile-de-France, Valérie Pécresse, auf X. Monats- und Jahreskarten seien von den Preiserhöhungen nicht betroffen, sodass man davon ausgehen kann, dass die Pariserinnen und Pariser von der Preiserhöhung nicht ganz so stark tangiert werden.
Eine aktuelle Kampagne der Stadt Paris fordert alle Bürgerinnen und Bürger auf, während der Olympischen Spiele möglichst im Home-Office zu bleiben und – falls sie unterwegs sein müssen – auf das Rad umzusteigen.
Gewinnt Paris in dieser Kategorie? Ein Paradebeispiel für klimaneutrale Mobilität werden die Olympischen Spiele vermutlich nicht. Viel wahrscheinlicher ist es, dass zu Stoßzeiten Probleme im ÖPNV-Netz entstehen. Dass die Pariser selbst nun zu Hause bleiben sollen, wird vermutlich nicht zur Popularität der Mobilitätsstrategie beitragen. Aus Klima-Perspektive reicht es hier deshalb nicht für eine Medaille.
3. Sozialverträglichkeit
Dass Klimaschutz-Maßnahmen sozialverträglich sein müssen, zeigt sich in einer Großstadt wie Paris noch einmal besonders deutlich. Und im Vorlauf der Spiele hatte man den Eindruck, dass dieser Punkt auch wirklich mitgedacht wurde. Immerhin baute die Stadt das Olympische Dorf nahe Paris in Seine-Saint-Denis, einem der ärmsten Bezirke Frankreichs. Beim Bau der Häuser wurde viel Holz und CO2-armer Beton verwendet. Außerdem wurde statt Klimaanlagen ein Heiz- und Kühlsystem eingerichtet, das auf Erdwärme beruht. So haben es die Architektinnen und Architekten geschafft, dass der Bau des Olympischen Dorfes 47 Prozent weniger CO2 verursacht, als es mit herkömmlichen Verfahren der Fall wäre. Während der Spiele wohnen die Athletinnen und Athleten im Olympischen Dorf – danach werden die entstandenen 2.800 Wohnungen verkauft und vermietet. Das soll den Wohnungsmarkt entlasten und das Viertel wirtschaftlich aufwerten.
Das Vorhaben klingt erst einmal ambitioniert: Klimaschutz trifft Sozialpolitik. Allerdings werden die Wohnungen vermutlich um die 7.000 Euro pro Quadratmeter kosten – als Sozialwohnungen qualifizieren sie sich also nicht und somit werden sie vermutlich nicht für die Menschen zugänglich sein, die bisher in Seine-Saint-Denis wohnen.
Gewinnt Paris in dieser Kategorie? Die Emissionen beim Bau des Olympischen Dorfes um fast die Hälfte zu reduzieren war sicher nicht leicht. Und immerhin wurde Sozialpolitik hier mitgedacht. Wie genau sich Seine-Saint-Denis nach Olympia verändern wird, ist schwer abzusehen. Für die Mühe gibt es an dieser Stelle eine Bronzemedaille. 🥉
4. CO2-Bilanz
Fürs Klima ist diese Kategorie womöglich die wichtigste. Allerdings werden, wenn es um CO2-Bilanzen geht, häufig Zahlen veröffentlicht, deren Genese manchmal nicht ganz transparent ist. Ein Negativbeispiel ist hier die FIFA-WM in Katar – angeblich ein CO2-neutrales Event, aber die Veranstalter berücksichtigten dabei nicht alle entstandenen Emissionen und erreichten die proklamierte CO-Neutralität nicht etwa durch Anstrengungen im Vorhinein der WM, sondern hauptsächlich durch finanzielle CO2-Ausgleiche im Nachhinein.
Olympia in Paris verzichtet vermutlich aus genau diesem Grund auf das Label "CO2-Neutral". Stattdessen gibt es die Zielvorgabe, den CO2-Ausstoß der Spiele in London 2012 oder Rio 2016 zu halbieren. Das bedeutet, maximal 1,75 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sollen durch die Olympischen Spiele in Paris entstehen. Dabei möchte man nicht erst nach den Spielen ermitteln, wie viel CO2 nun ungefähr ausgestoßen wurde und das dann ausgleichen, sondern hat bereits im Vorhinein ein CO2-Ziel gesetzt, das dann möglichst eingehalten wird. Berücksichtigt werden dabei laut Angaben der Veranstalter alle direkten und indirekten Emissionen, also beispielsweise auch die Anreise der Zuschauenden oder das Catering im Olympischen Dorf.
Alle Emissionen, die nicht verhindert werden können, werden im Nachhinein kompensiert. Hier setzen die Organisatoren auf Waldprojekte in der Region und auf mehrere Projekte in besonders stark von der Klimakrise betroffenen Regionen am Äquator.
Gewinnt Paris in dieser Kategorie? Expertinnen und Experten sind skeptisch, dass die Zielmarke von 1,75 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten tatsächlich geknackt werden kann. Gerade die Anreise aller Zuschauenden ist mit einem hohen CO2-Ausstoß verbunden. Die Französische Klimainitiative The Shifters kommt auf 2,11 Millionen Tonnen CO2, die durch die Spiele entstehen könnten, die Hälfte davon entfällt auf An- und Abreisen. Dabei muss man aber auch sehen: Die meisten Großevents der Vergangenheit haben in ihren Klimabilanzen nicht so gründlich darauf geachtet, wirklich ALLES zu berücksichtigen. Selbst mit 2,11 Millionen Tonnen lägen die Spiele in Paris noch deutlich unter denen der Vergangenheit. Deshalb vergebe ich an dieser Stelle eine Silbermedaille für den CO2-Fußabdruck – auch in der Hoffnung, dass die Olympischen Spiele der Zukunft darauf noch aufbauen können. 🥈
Die nachhaltigsten Spiele aller Zeiten?
Aus Klimaperspektive holt Olympia in Paris in unserer fiktiven Wertung 2x Bronze und 1x Silber 🥉 🥉 🥈. Für Gold reicht es noch nicht, aber dennoch sind diese Spiele sicher kein reines Greenwashing-Event. Man kann nun nur hoffen, dass die Olympischen Spiele im kommenden Winter in Mailand und Cortina d'Ampezzo hier noch eins drauf setzen können und vielleicht sogar eine Goldmedaille fürs Nachhaltigkeit einfahren können.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 25. Juli 2024 | 07:35 Uhr