Eine Wissenschaftlerin steht auf einer Bühne und hält eine Präsentation. 3 min
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Wissenschaft trifft Politik Wie schlagen wir die gesellschaftliche Brücke zur "Net Zero Future"?

31. Mai 2024, 11:00 Uhr

Die Europawahl ist auch eine Klimawahl: Ohne die Entscheidungen der Politikerinnen und Politiker ist die Lösung der Klimakrise nicht möglich. Doch dafür müssen sie auch wissen, was zu tun ist. Die Mehrländerkonferenz "Building Bridges for a Net Zero Future" in Dresden hat versucht die sprichwörtliche Brücke zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zu schlagen. Im Fokus waren dabei Technologien wie Kernfusion und Wasserstoff, aber auch soziale Gerechtigkeit.

MDR AKTUELL Autorin Kristin Kielon
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"Wir wollen ja nicht auf dem Elfenbeinturm irgendwelche Phänomene entdecken", sagt der wissenschaftliche Direktor des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf, Sebastian M. Schmidt, und trifft damit den Kern des Problems. Denn Wissenschaft hat auch den Zweck, ein neutraler Vermittler zu sein, Fakten zu schaffen, auf deren Grundlage politische Entscheidungen getroffen werden können und eben auch Brücken zu bauen zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren. Genau das ist das Anliegen der Konferenz "Building Bridges for a Net Zero Future".

Entscheidungsgrundlage für die Politik

In Dresden haben sich dafür Forschende und Vertreterinnen und Vertreter aus der Politik getroffen. "Es geht in erster Linie darum, im Gespräch zu bleiben, sich auszutauschen", erläuterte Sachsens Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow. Zwar werde die Stimme der Forschenden auch sonst gehört in der Landespolitik, meint Helmholtz-Direktor Schmidt, aber sie wollten auch die Öffentlichkeit mitnehmen. Und viele kluge Ideen kämen eben auch von Menschen, die in den Diskurs sonst nicht eingebunden seien.

Schmidt verweist auf das Kernthema der diesjährigen Konferenz: das Netto-Null-Ziel. "Wenn es um den Klimawandel geht, haben wir ja nicht nur ein Technologiewechsel, wie das manchmal dargestellt wird - weg von der Kernenergie hin zu erneuerbaren Energien oder weg von der Kohle hin zu einer Wasserstoffwirtschaft - aber vielleicht der schwierigste Punkt ist ja der Kulturwandel, der dahintersteht." Womöglich könnten wir in diesem Transformationsprozess unseren Wohlstand gar nicht in dem Maße bewahren und gleichzeitig die Energiewende schaffen, erläutert Schmidt weiter. "Das heißt, wir müssen Abstriche machen und dafür müssen wir alle zusammenbringen und alle miteinander reden." Und die Wissenschaft habe in diesem Dialog eben eine wichtige Rolle, wenn nicht die wichtigste überhaupt, meint Schmidt: "Wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen natürlich die Politik beraten, wir müssen ihnen Optionen aufzeigen, und zwar nicht polemisch, sondern rein faktenbasiert."

Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat sich diesem Austausch gestellt. Auf einer Podiumsdiskussion mit Forschenden und Politikerinnen und Politikern ging es dabei um die Frage, wie die Politik die Forschung effektiver unterstützen kann und wie neue wissenschaftliche Erkenntnisse die Entwicklung innovativer Technologien und Produkte beschleunigen können.

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Dieser Text erschien zuerst im MDR Klima-Update #143

Globale Probleme vereint angehen

Die "Building Bridges"-Konferenz verfolgt aber nicht nur inhaltlich das Ziel, verschiedene Gruppen zusammenzubringen, sondern auch beim Teilnehmerkreis. Als Mehrländerkonferenz kamen auch Vertreterinnen und Vertreter unserer Nachbarländer in Mitteleuropa – also aus der Tschechischen Republik und aus Polen – sowie erstmals auch aus Slowenien hinzu. Denn die Transformation, die für eine Netto-Null-Zukunft nötig ist, die ist natürlich keine nationale Angelegenheit. In Sachsen muss man bei dem Thema zwangsläufig auch "über den Tellerrand hinausschauen", erläutert Minister Gemkow diesen Mehrländeransatz. "Klimawandel ist ein Thema, das uns alle betrifft, das unsere Generation betrifft, aber die kommenden Generationen noch viel mehr."

Das ist die größte Herausforderung, die wir zurzeit haben. Es ist nicht so, dass wir ein Problem haben, irgendwo Geld reinstecken und dann gibt's eine Lösung und danach ist alles wieder gut. So einfach ist das nicht mit dem Klimawandel. Das ist ein globales Problem.

Prof. Sebastian M. Schmidt, Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf

Der Austausch auf der Konferenz hilft Gemkow zufolge auch dabei, zu schauen, wo die anderen Regierungen stehen. "Wie wird es in anderen Ländern gesehen? Am Ende wird schnell deutlich, wir haben alle dieselben Herausforderungen in Europa und in der Welt", so der sächsische Wissenschaftsminister. "Der eigentlich wesentliche Punkt ist, wo bekommen wir möglichst viel Energie in den nächsten Jahren und Jahrzehnten her?"

Sechs Personen sitzen auf einer Bühne auf einem Podium.
Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wissenschaft bei der Eröffnungsdiskussion (v.l.n.r.: Jan-Martin Wiarda (Moderation), Sebastian Gemkow (Sachsen), Sebastian M. Schmidt (Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf), Igor Papič (Slowenien), Jana Havlikova (Tschechische Republik), Maria Mrówczyńska (Polen)) Bildrechte: MDR Wissen / Kristin Kielon

Aber worüber wurde nun eigentlich inhaltlich gesprochen? So futuristisch wie der Titel war auch die Auswahl der Schlüsselforschungsbereiche, in denen Forschende über ihre neuesten Erkenntnisse und Analysen gesprochen haben. Insgesamt waren es vier Felder: Mikroelektronik (Green IT), Nachhaltiges Bauen, Wasserstoff und Kernfusion.

Dass es ausgerechnet diese Themen geworden sind, hat auch politische Gründe. So erläuterte Wissenschaftsminister Gemkow, dass die Konferenz auch dazu diene, für den Freistaat Sachsen und seine Forschungslandschaft strategische Ziele zu definieren. "Und diese strategischen Ziele liegen ganz klar im Bereich der Energie - zum Beispiel im Bereich der Kernfusion, im Bereich Wasserstoff, erneuerbare Energien und Materialwissenschaften. Das sind die Schwerpunkte, die wir strategisch für uns definieren." Zwar sei die Energieherstellung durch die Kernfusion noch eine Sache von Jahren, so der Wissenschaftsminister, aber es sei eine wichtige Technologie. Umso wichtiger sei das Thema Wasserstoff, etwa als Speichertechnologie für Wind- und Sonnenenergie. 

Angesprochen auf die Zukunftstechnologie auf der Zukunftskonferenz muss Sebastian Schmidt vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf schmunzeln. "Wir sind ja Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und wenn wir die Themen wählen würden, die gerade so ganz einfach laufen, die völlig klar sind, dann bräuchten wir die ja nicht adressieren", sagt er. Das seien genau die richtigen Themen, da die Spitzenforschung in der Region auch genau auf diese großen Herausforderungen ausgerichtet sei.

Eine Wissenschaftlerin steht auf einer Bühne und hält eine Präsentation.
Kerstin Eckert vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf bei ihrem Vortrag zum Thema "Dynamik von Wasserstoff- und Sauerstoffblasen während der Wasserelektrolyse". Bildrechte: MDR Wissen / Kristin Kielon

Die wissenschaftlichen Vorträge auf der Konferenz waren entsprechend anspruchsvoll:

Im Bereich Wasserstoffforschung hat Helmholtz-Forscherin Kerstin Eckert etwa über die Dynamik von Wasser- und Sauerstoffblasen während der Elektrolyse gesprochen. Ihre Forschung hat das Ziel, die Herstellung grünen Wasserstoffs energieeffizienter und damit vor allem preiswerter zu machen. 

Fusionsforscher Ambrogio Fasoli (EUROfusion) erläuterte den aktuellen Stand der Kernfusionsforschung in Europa. Er berichtet unter anderem von der teilweisen Fertigstellung des Versuchs-Kernfusionsreaktors ITER, in dem aktuell die technische Anlage aufgebaut werde. Und er wagte sogar eine Prognose: Bis zum ersten Kernfusionskraftwerk dauere es noch weniger als 30 Jahre, ist Fasoli überzeugt. Dennoch: Ob es die Tritium-Herstellung ist, das Bändigen des Plasmas oder auch die Sicherheit – viele Fragen sind noch längst nicht geklärt, wie etwa Dominik Kraus von der Universität Rostock in seinem Kurz-Talk erläutert hat. 

Schneller vorangehen könnte es dagegen im Bereich nachhaltiges Bauen. Hier hat unter anderem Tine Tysmans von der Vrije Universiteit in Brüssel von neuen Betonkonstruktionen berichtet, die dank des Verzichts auf klassischen Stahl und neuen Materialien wie Carbon viel weniger Beton benötigen. Die slowenische Forscherin Anna Sandak stellte sogar lebende Materialien der Zukunft vor – in Form eines schützenden Biofilms für Gebäude.

Just transition: Gerechtigkeit überzeugt Menschen

Neben den vielen technologischen Ansätzen hat der amerikanische Wissenschaftler Benjamin Sovacool von der Boston University einen Vortrag mit einem ganz anderen Schwerpunkt gehalten, der aber nicht weniger wichtig ist. Wie kann die Transformation der industriellen Dekarbonisierung gerecht ablaufen und welche Auswirkungen hat der Prozess auf die Gesellschaft? Denn die Netto-Null-Emissionen in der Industrie zu erreichen, ist auch eine soziale Herausforderung. Der Industriesektor ist nämlich die am schnellsten wachsende Emissionsquelle – und mittlerweile auch die größte, sagt Sovacool. Er ist Professor für Erde und Umwelt und ein renommierter Experte für Energie- und Umweltpolitik. Der US-Amerikaner war auch ein Hauptautor des sechsten Sachstandsberichts des IPCC. 

Es ist ihm wichtig, den Fokus der Debatte auch auf die Vorteile und die Risiken des Transformationsprozesses auf die Gemeinschaft zu legen, sagt er. "Ich glaube, dass das ein Teil der Debatte ist, der fehlt." Wir konzentrierten uns häufig ausschließlich auf Technologie, Technologie und nochmal Technologie zur Lösung des Klimawandels. Aber es gehe dabei auch um andere Themen wie Ethik, Gemeinschaften, Arbeitsplätze und Lebensqualität. Das seien die Themen, bei denen einiges auf dem Spiel stehe, denn der Prozess der Dekarbonisierung sei eine heftige Zäsur. Es sei deshalb zwingend nötig, die Menschen davon zu überzeugen, dass das ein wichtiger Prozess ist, betont der Forscher.

Früher habe man gedacht, dass alle Probleme gelöst wären, wenn man einfach ein besseres Atomkraftwerk oder das perfekte Energiesystem aufstellt, erläutert Sovacool. "Aber so wie wir in einer Welt mit reichlich Nahrung immer noch Hungersnöte haben, haben wir in einer Welt mit reichlich Energiequellen immer noch Energieunsicherheit und -gefährdung." Und deshalb glaube er, dass eine von oben aufgesetzte "top-down"-Lösung nicht funktioniere. Man brauche jeden einzelnen Menschen, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen. "Menschen treffen Entscheidungen und konsumieren Produkte. 72 Prozent der globalen CO2-Emissionen hängen mit den Verbrauchern zusammen." Unsere Entscheidungen darüber, was wir essen, wo wir leben und wie wir reisen, machen also einen erheblichen Anteil aus, der unter der Kontrolle jedes Einzelnen liege, erläutert der Forscher.

Deshalb müsse die Klimapolitik auch die Menschen in den Fokus nehmen. Sovacool sagt also: Der Verweis auf Politik, die Industrie – die "big player" - ist nicht zulässig, es geht auch um den Konsum des Individuums. Das zeigten auch Untersuchungen seines Teams in europäischen Haushalten in Deutschland, Norwegen, Schweden und Frankreich. Das Ergebnis: Wenn die Haushalte nur drei Dinge ändern würden, könnten sie ihre persönlichen CO2-Emissionen um 80 Prozent senken. Die zentralen drei Dinge sind Sovacool zufolge die Ernährung, die Mobilitäts- und Reisegewohnheiten und das Heizen. Und er betont: Ein Verzicht aufs Auto sei dafür noch nicht einmal nötig!

Brauchen wir ein neues Narrativ?

Aber wie bekommt man die Menschen dazu, sich freiwillig am Transformationsprozess zu beteiligen? Immerhin stellt der US-Forscher in seinem Vortrag selbst fest: Die Debatte um erneuerbare Energien etwa, die sei mittlerweile komplett "bananas" – verrückt also. Die Menschen lehnten die Technologien teilweise ohne jede rationale Begründung ab. Wie also Menschen mitnehmen, die gegen jedes Windrad auf die Barrikaden gehen? Es ist schwierig, sagt der Forscher. "Denn viele dieser Ansichten sind fest verwurzelt und ein Großteil der Landschaft, erscheint uns natürlich, obwohl sie voller früherer Technologien ist - Übertragungsnetze, Straßen und Brücken. Wenn man in eine Welt hineingeboren wird, in der es bereits Kohlekraftwerke gibt, ist das normal. Sie sind seit der Geburt da. Und doch würden die Menschen heute, wenn man versuchen würde, ein neues Kohlekraftwerk zu bauen, dagegen sein, weil es neu und störend ist."

Hinzu kommt zum Beispiel bei Windrädern, dass sie überall zu sehen seien. Ein einzelnes Kraftwerk dagegen stehe an einem Ort und für die meisten Menschen sei es damit aus dem Auge, aus dem Sinn. "Ich denke, es geht sowohl darum, die Gemeinschaft einzubeziehen, als auch einen Schritt weiterzugehen und sicherzustellen, dass die Gemeinschaft davon profitiert", meint Sovacool. Wenn es eine Gewinnbeteiligung gibt oder Gelder zurück in die Gemeinde fließen für Schulen, Krankenhäuser oder Sportvereine, dann sei die Akzeptanz höher. Deshalb gebe es in den Vereinigten Staaten seit Neuestem die "Justice 40"-Regelung. Die besagt, dass künftig 40 Prozent der Einnahmen aus Projekten im Bereich der Erneuerbaren Energien in benachteiligte Gemeinden fließen müssen. Die Regelung sei noch sehr neu, es sehe aber so aus, als ob sie gut funktioniere. 

Forscher Sovacool verweist immer wieder auf den Begriff der "just transition" – des gerechten oder fairen Übergangs. Dabei gehe es darum, dass es beim Transformationsprozess keine Verlierer geben dürfe. "Wie man das handhabt, dafür gibt es viele wirklich gute Werkzeuge. Es gibt Arbeitsgruppen und Dialoge für einen gerechten Übergang. Schottland hat eine Kommission, Südafrika hat Regelungen, die bis auf die Ebene des Präsidenten und des Premierministers angesiedelt sind." Auch der Fonds für den Kohleausstieg der Europäischen Union sei so ein Werkzeug für eine "just transition".

Die kurze Antwort sei, so der Forscher, dass man den Menschen zeigen müsse, dass die grüne Transformation ihnen enorme Vorteile bringe – und dass die Kosten enorm wären, wenn man es jetzt versäumt. Ganz im Gegenteil gebe es sogar finanzielle Potenziale: "Wenn man nur zwei externe Effekte monetarisiert, Luftverschmutzung und Kraftstoffeinsparungen, zahlt sich die industrielle Dekarbonisierung bereits selbst aus", erläutert Sovacool. Doch die Leute denken, die Transformation sei ein Kostenfaktor, obwohl es in Wirklichkeit genau umgekehrt sei – das Kosten-Nutzen-Verhältnis sei überaus positiv. 

The effects of industrial decarbonization are not just a free lunch, it's the free lunch you get paid to eat.

Prof. Benjamin Sovacool, Boston University

"Wir haben das nur wirklich schlecht kommuniziert. Wir sagen nicht, es geht um das Leben von Kindern, es geht um Sicherheit, es geht um Wasser, es geht um Lebensräume, es geht um Widerstandsfähigkeit und es geht um Gemeinschaft." Der Forscher schlägt deshalb vor: Ändern wir die Erzählung in eine, die viel menschlicher und in die Zukunft gerichtet ist. Immerhin blieben nur noch ein oder zwei Jahrzehnte, um die Klimakrise zu lösen. 

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 03. Juni 2024 | 09:47 Uhr

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