Verkehrswende Straßen schließen, um sie zu öffnen
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12. Oktober 2024, 05:00 Uhr
Mehr Raum für Radfahrer, Fußgänger und Grün – das wünschen sich viele Menschen. Gerade in Städten mit wenig Platz, lässt sich das aber oft nicht besonders gut umsetzen. Ein Konzept aus Barcelona, das Durchgangsverkehr in Wohnvierteln reduziert, soll aber genau das bringen. Sogenannte Superblocks sollen für mehr Lebensqualität auf Straßen sorgen. Im Leipziger Osten gibt es dafür seit rund 1,5 Jahren ein Pilotprojekt.
In der Leipziger Hildegardstraße verläuft eine Reihe von Pollern diagonal über eine Kreuzung. Es gibt ein paar Blumenkübel und bunte Bänke – man kann noch immer durch die Straße fahren, aber der Durchgangsverkehr soll so eingeschränkt werden. Für viele ist das hier ein "Mosaikstein in der Verkehrswende", für manche ein tägliches Ärgernis.
"Wir haben hier seit über einem Jahr den ersten Modalfilter, im Volksmund Diagonalsperre, also eine Reihe von Pollern, quer über die Straße gezogen", sagt Friedemann Goerl, Fußverkehrsverantwortlicher der Stadt Leipzig dazu. "Der Raum ist natürlich schon ein bisschen besonders, wenn man hier durchläuft, weil auf einmal ganz viele Sitzmöbel im Straßenraum stehen und auch Bemalung der ansonsten tristen Asphaltfläche vorzufinden ist."
Durchgangsverkehr vermeiden
Das Pilotprojekt hier ist nur Teil eines größeren Pakets an Maßnahmen zur Umgestaltung des ganzen Viertels. Dafür gab es zuvor umfassende Analysen – von Kfz-, Rad- sowie Fußverkehr aber auch des ÖPNV, der Grünflächen und der Parksituation. Die Verkehrsberuhigung beim Pilotprojekt des Superblocks ist nur eine der Maßnahmen, die daraus abgeleitet worden sind.
Goerl erklärt auch die Idee dahinter: "Die Idee vom Superblock ist natürlich erst mal, Durchgangsverkehr zu vermeiden." Menschen, die nicht im Viertel wohnen oder dorthin wollen, sollen nach Möglichkeit auch nicht über Nebenstraßen dort abkürzen.
Das Konzept der Superblocks kommt aus Barcelona – dort wurden sie schon in den 2010er-Jahren eingeführt. Zwischen vier bis neun zusammenhängenden Häuserblocks wird beispielsweise mit Pollern, Einbahnstraßen oder auch Blumenbeeten der Durchgangsverkehr von Autos verhindert und auf Hauptstraßen umgeleitet. Es wird Platz für andere Nutzung frei und Radfahrer und Fußgänger haben Vorrang. "Solche Konzepte sind wichtig, um Städte resilienter und lebbarer zu machen", meint Annegret Haase. Sie ist Stadtsoziologin am Umweltforschungszentrum (UFZ) in Leipzig und hat das Pilotprojekt des Leipziger Superblocks wissenschaftlich begleitet. Zum einen sei der Leipziger Superblock ein Baustein in der Anpassung an die Klimakrise, zum anderen trage er auch zu sozial gerechterem Verkehr bei. "Kinder, Ältere mit Rollator oder Frauen mit Kinderwagen – die bleiben bei Stadtplanung sonst oft auf der Strecke", erklärt Haase. "Wir schließen also Straßen für den motorisierten Individualverkehr, um sie zu öffnen."
Positive Effekte für Lebensqualität und Umwelt
In Barcelona lassen sich inzwischen auch verschiedene positive Effekte wissenschaftlich beweisen: Es werden weniger Schadstoffe wie Feinstaub oder Stickstoffdioxid in der Luft gemessen, es gibt weniger Lärm und in den "Superilles" kaum noch Unfälle, dafür hat sich dort sogar mehr Gastronomie und Einzelhandel angesiedelt. Das heißt, die Superblocks erhöhen die Lebensqualität und sind für die Gesundheit.
Auch in vielen anderen Städten gibt es inzwischen Superblockprojekte. "In Deutschland ist wohl Berlin die Hauptstadt der Superblocks", meint Uta Bauer, Forscherin am Deutschen Institut für Urbanistik (DIFU). "Hier heißen sie Kiezblocks." Rund 70 Initiativen für Kiezblocks gibt es dort.
Auf den Weg gebracht wurde der Superblock in Leipzig von einer Bürgerinitiative – mit dabei war Ariane Jedlitschka. Sie wohnt in der Straße, für sie war es vor allem wichtig, mehr Sicherheit zu schaffen und einen Raum zum Austausch zu ermöglichen. "Wir wollen zeigen, dass es neue Wege gibt, Verkehr zu gestalten", sagt Jedlitschka.
Eine Herausforderung: wegfallende Parkplätze
Aber Superblocks haben nicht nur Fans. Forscherin Bauer fasst eine häufige Kritik zusammen: "Überall, wo das Konzept umgesetzt wird, gibt es auch erheblichen Widerstand und den äußern gerade diejenigen, die ein Auto besitzen." Denn durch die Verkehrsberuhigung fallen oft auch Parkplätze weg – oder wie es Bauer nennt: "Öffentliche Flächen werden von parkenden Autos befreit." Es sei nicht gerecht, dass Straßen in allererste Linie für Autos zur Verfügung stehen.
In Leipzig sprechen sich beispielsweise umliegende Gastronomiebetreiber gegen den Superblock aus: Er erschwere die Bedingungen für die Anlieferung und die weggefallenen Parkplätze seien ein Problem, weil die Gäste nicht mehr vor den Restaurants parken können. Gegen das Projekt wurde eine Petition gestartet – und eine für seine Umsetzung, die mehr Unterschriften erhielt. Im Kommunalwahlkampf machte die CDU das Pilotprojekt zum Politikum und druckte "Superblock" stoppen auf ihre Plakate.
Initiatorin Ariane Jedlitschka hatte sich anfangs nicht vorstellen können, dass solchen "massiven Widerstand" dagegen geben würde, den Autoverkehr vor ihrer Haustür etwas zu reduzieren und dass das sogar Wahlkampfthema werden würde. Sie wirkt etwas erschöpft, ist aber zufrieden. "Es ist jetzt viel ruhiger und sicher hier", sagt sie. Und es gäbe jetzt ein bisschen mehr Flächengerechtigkeit in der Stadt.
Gestoppt wird das Pilotprojekt aber nicht, der Leipziger Stadtrat hat sogar entschieden es auszuweiten – beispielsweise in dem die Straße vor der Wilhelm-Wander-Schule in Zukunft ebenfalls für den Durchgangsverkehr gesperrt wird. Erhebungen hatten ergeben, dass dort besonders viele Autofahrer lang fahren, um abzukürzen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 12. Oktober 2024 | 14:20 Uhr
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