Klimawandel Arktis: Schrumpfende Gletscher verändern Nährstoffversorgung im Ozean

05. September 2021, 10:00 Uhr

Die Eisschilde der Arktis und Antarktis schrumpfen aufgrund steigender Temperaturen zunehmend. Die Schmelzwasser, die dabei entstehen, beeinflussen die Nährstoffversorgung der Ozeane, mit bislang noch weitgehend unbekannter Auswirkung auf die marinen Ökosysteme. Dabei spielt Eisen als Spurenelement eine erhebliche Rolle, wie eine neue Studie des Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel kürzlich zeigte.

Symboldbild Gletscherschmelze: Person auf einer steinigen Schräge, darunter und dahinter endlos Gletscher mit Schmelzerscheinung 5 min
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Nioghalvfjerdsbrae, auch der 70 Grad-Nord-Gletscher genannt, hat eine riesige Eismasse in Nordostgrönland.
Auch dieser Gletscher zieht sich infolge steigender Temperaturen zurück. welche Folgen hat das?

MDR KULTUR - Das Radio Fr 27.08.2021 07:31Uhr 05:04 min

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Es ist ein Winterlied, das Elisabeth, die Inuit-Trommlerin, mit ihren Kindern im kleinen Dorf Kangerlussaag auf Westgrönland singt. Und es ist auch ein Lied, sagt sie später, dass das Eis bleibt. Doch das Eis geht, immer mehr und immer schneller. Auch wenn im Mai die Gletscher vor Westgrönland noch voller Eismassen sind. Ebenso wie im Nordosten Grönlands.

Ändert sich die Umwelt, ändert sich auch das Leben derer, die in ihr leben. Dabei gibt es auf Grönland regionale Unterschiede in dieser Änderung, sagt Lauritz Schönfelder, der vor einiger Zeit die Expeditionsfahrt der Sea Spirit nach Westgrönland als Lektor mit Vorträgen begleitet hat. Schönfelder hat in Spitzbergen arktische Marinegeologie und Glaziologie studiert. Er sagt, dass die Auslassgletscher immer schneller fließen. Auslassgletscher sind Gletscher, die sich am Rand von Eisschilden bilden. Sie befördern das tauende grönländische Inlandeis ins Meer.

Späteres Seeeis bedeutet spätere Jagd für Inuits

"Da ist die grönländische Gemeinschaft zwiegespalten. Im Süden freuen sich die Leute über ein wärmeres Klima. Man baut dort unten Kartoffeln an, man hält Schafe", so Geologe Schönfelder. "Man kann sogar in Gewächshäusern auch schon Erdbeeren ernten, also etwas vollkommen Skurriles und Abstruses, was man sich gar nicht vorstellen kann, wenn man über Grönland nachdenkt und von ewigen Eis träumt."

Allerdings gebe es natürlich auch die Inuit im Norden, die vom Klimawandel negativ beeinflusst werden: "Ein geringeres Seeeis im Winter oder ein späteres Setzen vom Seeeis bewirkt natürlich, dass die Grönländer auf den Hundeschlitten erst später auf Jagd gehen können", erklärt Schönfelder, "Aber die Zeit zwischen dem wirklichen Setzen des Eises, bis man mit dem Hundeschlitten auch wirklich darauf fahren kann, wird immer länger und das Eis ist nicht mehr so dick, wie es einmal war."

Apparatur zur Probenentnahme über Ozeanwasser, im Hintergrund Packeis und Gletscher
Dank günstiger Wetterbedingungen konnte das GEOTRACES-Team im Jahr 2016 Proben direkt am Rande des 79N-Gletscher nehmem. Bildrechte: Geomar/Pablo Lodeiro

Stephan Krisch forscht in den Bereichen marine Biogeochemie und Chemische Ozeanographie am Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Er forscht unter anderem am Nioghalvfjersbrae. Das ist ein schwimmender Auslassgletscher im Nordosten Grönlands. "Aufgrund seiner Lage am 79. Breitengrad hat sich jedoch der Name 79-Grad-Gletscher eingebürgert. Die Gletscherzunge misst siebzig bis achtzig Kilometer Länge, ist etwa 25 Kilometer breit und an der Kalbungsfront 90 Meter dick. Die Kaverne unterhalb wird mit einer Tiefe von 900 Metern angegeben."

Aufgrund der weltweit angestiegenen atmosphärischen Temperaturen schrumpfen die globalen Eisschilde zunehmend ab. So auch beim 79-Grad-Nord-Gletscher. Im Juli 2020 brach der Spalte-Gletscher – ein Ausläufer des 79-Grad-Nord-Gletschers – innerhalb nur einiger Tage komplett auf. Bislang waren die Auswirkungen dieser Veränderungen auf das örtliche marine Ökosystem unbekannt. Unter der Leitung des Kieler Geomar-Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung hat nun ein internationales Team von Wissenschaftlern die chemischen Prozesse im Schmelzwasser untersucht.

Wärme und Nährstoffe durch atlantisches Wasser

Erstautor der Studie ist Stephan Krisch: "Was die Nährstoffversorgung unterhalb der Gletscherzungen des 79 Grad-Nord-Gletschers angeht, so spielt einströmendes atlantisches warmes Wasser eine entscheidende Rolle", so Kisch. "Dieses schwimmt als Bodenwasser in das Schelf, in die Gletscherkaverne, wo es als Zusatz von Schmelzwasser Auftrieb erhält und als mittelschweres Wasser die Gletscherkaverne wieder verlässt." Die sogenannte Umwälzzirkulation bestimme, wie lange sich schwimmendes Wasser unterhalb des Gletschers aufhalte.

Dabei stellt atlantisches Wasser sowohl die Wärme bereit, die zum Abschmelzen der Gletscher von unterhalb beiträgt, als auch wichtige Nährstoffe wie Nitrat und Phosphat. Helmholtz-Forscher Stephan Kisch sagt, bisher sei man davon ausgegangen, dass der Eiseneintrag ins Meer direkt mit dem Schmelzwasserabfluss korreliere: "Das heißt, je größer der Schmelzwassereintrag eines Gletschers ist, desto größer müsste auch der Eisenexport sein. Aber unsere Studie scheint nun dieser Annahme zu widersprechen. Wir konnten nämlich zeigen, dass ein Großteil des Eiseneintrags in atlantischem Wasser unterhalb des Gletschers nicht direkt vom Schmelzwasser stammt, sondern womöglich von den Sedimenten, also vom Meeresboden herrührt."

Folgen: unbekannt

Das Spurenelement Eisen vom Fjordgrund ist wichtig für das Planktonwachstum im Meer. Phytoplankton, Kleinstalgen stehen im Meer ganz zu Beginn der Nahrungskette. Das heißt, sie haben eine zentrale Bedeutung für das Ökosystem. Sollte die Eiszunge in Nordostgrönland aufgrund des Klimawandels noch weiter schrumpfen, wird eine noch größere Verknüpfung zwischen dem Gletscher-Süßwasser und der Ozeanchemie zu erwarten sein. Mit bislang noch unerforschten weiteren Folgen für alles Lebendige im Meer. 

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