Zwei Experten, zwei Meinungen Klimawandel: Weniger ist mehr oder volle Innovationskraft voraus?
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03. September 2021, 11:23 Uhr
Weniger ist mehr oder volle Kraft voraus? Im Hinblick auf den Klimawandel müssen wir handeln – in Politik, Wirtschaft und im Privaten. Aber wie? Zwei Experten haben ganz unterschiedliche Lösungsansätze. Einer sagt: Wir müssen Konsum und Wachstum reduzieren. Ein anderer sagt: Innovation und neue Lösungen sind die Antwort.
Wie der Klimawandel in den Griff zu kriegen sei, ist auch und immer dringender eine ökonomische Frage. Der Kohleausstieg kostet Geld, seit Anfang des Jahres zahlen Unternehmen für das von ihnen ausgestoßene CO2 – was wiederum Auswirkungen auf die Verbraucher hat. Auch wird darüber diskutiert, welche wirtschaftlichen Schäden der Klimawandel in Zukunft anrichten könnte, beispielsweise durch extreme Wetterereignisse, Ernteausfälle oder Auswirkungen auf den Tourismus.
Die Vermeidung oder wenigstens Begrenzung des Klimawandels kostet also Geld – vor allem bei der Umstellung auf erneuerbare Energien und eine effizientere Energieerzeugung.
Klima schutz kostet: Beispiel Strompolitik
Ein simples Beispiel: Verbraucher und Verbraucherinnen erfahren dies unter anderem beim Blick auf ihre Stromrechnung: So regelt das Erneuerbare-Energien-Gesetz die privilegierte Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Quellen in das deutsche Stromnetz und garantiert deren Erzeugern feste Einspeisevergütungen – unabhängig vom Marktpreis. Dabei übersteigen die Auszahlungen an die Erzeuger von Erneuerbarer Energie die Einnahmen aus dem Verkauf des Stroms oft maßgeblich. Die Differenz wird durch die sogenannte EEG-Umlage auf die Stromverbraucher umgelegt.
Ergebnis: Strom ist in Deutschland im europaweiten Vergleich besonders teuer. Zwar wurde die Umlage zuletzt gedeckelt und soll in den nächsten Jahren sogar sinken. Dennoch gibt es weiter Kritik aus der Wirtschaft und von Verbraucherverbänden an der Energiepolitik der Bundesregierung.
Dass der Nutzen frühzeitigen Handelns zur Bekämpfung des Klimawandels größer ist als die entstehenden Kosten, ist mittlerweile jedenfalls Konsens unter vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Expertinnen und Experten. Aber welcher Weg ist einzuschlagen, um diese Erkenntnis fruchtbar zu machen?
Ansatz 1: Weniger ist mehr
In der Vergangenheit haben sich zwei Positionen herauskristallisiert, die völlig unterschiedliche Ansätze verfolgen. Während die einen Experten sagen, wirtschaftliches Wachstum sei ein treibendes Moment bei der Zuspitzung des Klimawandels, meinen die anderen, ohne eben jenes Wachstum könne man den Planeten erst recht nicht retten.
Die ersteren Wissenschaftler setzen – zumindest in ihrer kompromisslosen Ausführung – auf "degrowth". Kurz gesagt geht es dabei um eine Art Gesundschrumpfung von Wirtschaft und Finanzen. Auf einem endlichen Planeten mit endlichen natürlichen Ressourcen sei die Belastbarkeit der Ökosysteme erreicht. Wirtschaftswachstum wird in dieser Betrachtung als Problem und nicht als Lösung gesehen.
Besonders intensiv vertritt Niko Paech diesen Standpunkt in Deutschland. Der Professor im Bereich Plurale Ökonomie an der Universität Siegen sagt klipp und klar:
"Wir müssen auf Wirtschaftswachstum verzichten." Im Gespräch mit der taz führt er weiter aus:
Früher oder später wird die Angst um die Überlebensfähigkeit unserer Zivilisation größer sein als die Angst vor dem Wohlstandsverlust, der sich zudem begrenzen und ertragen ließe.
Paech plädiert für "mehr Genügsamkeit", die keinen Verzicht, sondern eine Befreiung von Reizüberflutung bedeutet. Der Globalisierungs-Kritiker will lokales Wirtschaften stärken und setzt auf eine "Wirtschaft des Teilens und der Nutzungsdauerverlängerung" als "Alternative zur krisenbehafteten Globalisierung". Letztlich steht Paech sogar jeder Form von zusätzlichem Wirtschaftswachstum skeptisch gegenüber, ob es nun als nachhaltig, grün oder sozial deklariert wird.
Um die Welt zu retten, malt er ein Bild der Zukunft, das viele Menschen verschrecken könnte: "Ein Leben ohne Mango, Kiwi, Avocado und Futterimporte für die Fleischindustrie zum Beispiel ist erträglich. Das gilt auch für Kreuzfahrten und Urlaubsflüge." Dem Klimawandel sei nur mit einer radikalen Therapie zu begegnen.
Im folgenden Interview mit dem Deutschlandfunk fordert Paech die Rückkehr zum Konsumniveau der 1950er- und 1960er-Jahre, "das ein Fünftel des heutigen betrug". Die Forderungen des Ökonomen sehen als letzte Chance für die Menschheit: Verzicht auf Wachstum, auf Konsum, auf Wohlstand. Nur so könne der Planet vor den Gefahren des Klimawandels gerettet werden. Paech schreckt auch vor drastischen Aussagen nicht zurück: "Wer nicht hören will, muss fühlen."
→ Niko Paech hat für MDR SACHSEN-ANHALT seine Ansichten exklusiv zusammengefasst.
Ganz anders sehen das Wirtschaftswissenschaftler, die genau im ökonomischen Wachstum eine Grundvoraussetzung dafür ausmachen, den Klimawandel zu bekämpfen. Sie setzen auf unternehmerische und private Freiheit, technischen Fortschritt, eine stetige Erhöhung der Produktivität von Arbeit sowie die Bepreisung von negativen externen Effekten, also insbesondere des CO2-Ausstoßes, aber auch von anderen klimarelevanten Emissionen.
Ansatz 2: Technischer Fortschritt
Diesen vollkommen entgegengesetzten Ansatz zu Niko Paech vertritt Jan Schnellenbach, Professor für Mikroökonomik an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. In einem Interview mit dem Tagespiegel sagt er: "Wenn wir über längere Zeit eine schrumpfende Volkswirtschaft hätten, wäre es beispielsweise schwierig, all die Versprechen zu erfüllen, die unser Sozialsystem für die Zukunft bereits gegeben hat. Rentenansprüche, Krankenversorgung – das alles setzt vor allem bei der aktuellen demographischen Entwicklung voraus, dass wir produktiver werden und auch wachsen ..."
Zu den Degrowth-Thesen führt er aus: "Man sieht uns dann alle in der Landwirtschaft auf dem Feld Handarbeit leisten und die Zeit wird zurückgedreht. Ich halte technischen Fortschritt da für den sehr viel besseren und realistischeren Weg, unsere ökologischen Probleme zu lösen."
In einer offenen Gesellschaft gehe es darum, auf die "Innovationskraft der Marktwirtschaft" zu setzen, statt "zentralplanerische Ansätze" zu verfolgen. In einem Beitrag für das "Zentrum für die liberale Moderne" gibt er weiter zu bedenken:
Auch wenn ihre Befürworter dies nicht offen zugeben, gehen Degrowth-Visionen vom Ende des Wachstums doch immer damit einher, dass die Offenheit der Zukunft, und die mit ihr verbundene individuelle Freiheit, aufgegeben werden.
In einem Aufsatz für "Welt" mit dem programmatischen Titel "Wir retten das Klima nicht mit Moral, sondern mit Technologie" schreibt Schnellenbach (zusammen mit Nils Heisterhagen): "Die zunehmende ökologische Orientierung" habe in der Vergangenheit "die Entwicklung neuer Wirtschaftszweige" angestoßen. Heute arbeiteten "Hunderttausende im Bereich der erneuerbaren Energien, und Deutschland ist einer der Technologieführer bei Umweltschutzgütern und GreenTech".
Schnellenbach steht der Theorie, Wachstum und Ressourcenverbrauch ließen sich nicht entkoppeln, sehr kritisch gegenüber. Die "beträchtliche Senkung der CO2-Emissionen in der EU in den letzten 30 Jahren bei gleichzeitiger Steigerung der Wirtschaftsleistung" zeige deutlich, "dass Entkopplung keine Schimäre ist". Forderungen, auf Wachstum und somit Wohlstand zu verzichten, seien im wahrsten Sinne des Wortes unproduktiv. Dadurch würden nur Innovationen verhindert, die künftig genau die Probleme lösen könnten, wegen denen sie ursprünglich blockiert wurden.
→ Auch Jan Schnellenbach hat exklusiv für MDR SACHSEN-ANHALT kurz und knapp seine Meinung auf den Punkt gebracht.
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