Helles Sonnenlicht strahlt hinter einem Baum hervor.
Die Ozonschicht in der oberen Atmosphäre filtert gefährliche UV-Strahlung aus dem Sonnenlicht. Wird sie zerstört, entstehen für das Leben gefährliche Ozonlöcher. Bildrechte: IMAGO / photothek

Atmosphärenchemie Forscher entdeckt riesiges Ozonloch über den Tropen – Kritiker sehen Lücken in der Studie

09. Juli 2022, 18:32 Uhr

Ein kanadischer Forscher will ein gewaltiges Ozonloch über den Tropen entdeckt haben, das die halbe Weltbevölkerung gefährlichen UV-Strahlungswerten aussetze. Unabhängige Experten sehen jedoch Lücken in der Studie.

Update 8.7.2022: Inzwischen äußern sich einige Forscher kritisch zur vorgelegten Studie. Wir haben diese Stimmen hier ergänzt.

In der Stratosphäre, also den hohen Gasschichten oberhalb von zwölf Kilometern über dem Boden, klaffe ein gewaltiges Loch: Der kanadische Forscher Qing-Bin Lu von der Universität Waterloo will bei der Auswertung umfangreicher Daten von Satelliten und Bodenmessstationen ein Ozonloch von der siebenfachen Größe desjenigen festgestellt haben, das bisher über den Polen, vor allem über dem Südpol beschrieben wurde. Das jetzt entdeckte Loch befinde sich zwischen 30 Grad nördlicher und 30 Grad südlicher Breite, also über dem Äquator, beziehungsweise den Tropen. Da in diesen Breiten etwa die Hälfte der Weltbevölkerung lebe, seien die Effekte auf die Menschheit enorm, schreibt der Forscher in seiner Studie im Journals AIP Advances. Andere, unabhängige Wissenschaftler sehen die Ergebnisse jedoch kritisch.

Viele Wissenschaftler überrascht: Ozonloch über den Tropen wurde jahrelang übersehen

Das Ozonloch über der Antarktis 2006
Im Jahr 2006 erreichte das Ozonloch über der Antarktis seine größte Ausdehnung. Die neue Arbeit eines kanadischen Forschers kommt zu dem Schluss, dass es über den Tropen ein sieben Mal größeres Ozonloch gibt. Bildrechte: imago/UPI Photo

Ozonlöcher sind definiert als Bereiche, in denen der Stratosphäre mehr als 25 Prozent ihres sonst üblichen Ozonlevels verlorengegangen ist. Ozon, ein Molekül, das aus drei Sauerstoffatomen besteht, ist ein Gas, das vor allem in der Stratosphäre vorkommt und dort UV-Strahlung aus dem Sonnenlicht filtert. Ohne Ozon gelangt mehr UV-Licht auf den Erdboden und schädigt dort die Hüllen von Pflanzen und Tieren. Zu hohe UV-Strahlung führt bei Menschen zu Sonnenbränden und langfristig zu Hautkrebs.

In den 1980er-Jahren hatten Forscher zum ersten Mal solche stark verminderten Ozonwerte in der Atmosphäre über den beiden Polen festgestellt. Als Ursache wurden Flur-Chlor-Kohlen-Wasserstoffe (FCKW oder englisch CFCs) ausgemacht, deren Einsatz in Kühlschränken und Sprühdosen daraufhin verboten wurde.

Da es sich beim Auf- und Abbau der Ozonschicht um einen dynamischen Prozess handelt, der nicht leicht zu messen ist, hätten vorangegangene Forscherteams ihre Daten nicht korrekt interpretiert, schreibt Studienautor Lu. Deshalb seien viele Wissenschaftler von der jetzigen Entdeckung sehr überrascht. Sine Auswertung zeige klar, das im Zentrum des Lochs die Ozonwerte um etwa 80 Prozent reduziert seien, und dass das Loch bereits seit Mitte der 1980er-Jahre ganzjährig existiere.

Andere Forscher halten Studie zu tropischem Ozonloch für lückenhaft

"Es gibt kein tropisches Ozonloch", hält Paul Young dagegen, Atmosphärenforscher an der Lancaster University in Großbritannien und leitender Autor des Ozonreports der Weltwetterorganisation. Dass es in der tropischen Stratosphäre Schwankungen in der Ozonschicht gebe, sei bereits seit vielen Jahren bekannt, auch, dass es sich um Prozesse handle, die durch menschliche Emissionen und den Klimawandel verstärkt würden. "Dass der Autor von einem 'tropischen Ozonloch' spricht, liegt daran, dass er die prozentualen Veränderungen des Ozons betrachtet und nicht die absoluten Veränderungen, wobei letztere für die schädliche UV-Strahlung viel relevanter sind", so Young in einem Statement für das britische Sciencemediacenter. Zudem habe Qing-Bin Lu einen großen Teil der Literatur über die Ozonentwicklung in unterschiedlichen Atmosphärenschichten offenbar nicht aufgegriffen.

Martin Chipperfield. Professor für Atmosphärenchemie an der britischen Universität Leeds geht mit der Arbeit noch härter ins Gericht. "Ich bin überrascht, dass diese Studie in dieser Form überhaupt veröffentlicht wurde", sagte er. Die Wissenschaft habe durch vergangene Arbeiten ein gutes Verständnis über den polaren Ozonabbau und den langsamen, variablen Regenerationsprozess erlangt. "Diese neue Forschungsarbeit überzeugt mich nicht vom Gegenteil." Dass überhaupt eine einzelne Arbeit derart große Ozonveränderungen in den Tropen konstatiere, die noch nirgendwo sonst festgestellt worden seien, lasse Chipperfield sehr misstrauisch werden. "Die Wissenschaft sollte sich nie nur auf eine einzige Studie stützen, und diese neue Arbeit muss sorgfältig überprüft werden, bevor sie als Tatsache akzeptiert werden kann."

Ozonloch könnte Einfluss auf Klimawandel haben.

Lu wiederum glaubt, dass die gleichen Mechanismen, die das antarktische Ozonloch verursacht hätten, auch ein tropisches hervorriefen. Demnach habe freigesetztes FCKW auch hier die Ozonschicht angegriffen. Dank des FCKW-Verbots sei der Abbau zwar verlangsamt worden, er gehe jedoch weiter. Grund dafür könnten aber auch weitere Mechanismen sein, wie die Rückstände großer Waldbrände in der oberen Atmosphäre. Auf diese Möglichkeit weisen unter anderem aktuelle Arbeiten von Forschenden des Leibniz Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig hin. Demnach könnten Waldbrände organische Moleküle in die Stratosphäre schleudern und dort chemische Prozesse zum Abbau des Ozons in Gang setzen.

(ens)

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