Drei Affen
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Psychologie Informationsverweigerung: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß

22. Dezember 2024, 13:50 Uhr

Obwohl Extremwettereignisse 2024 immense Schäden angerichtet haben, war die globale Erwärmung kaum ein Thema. Stattdessen gewinnen Klimawandelleugner Wahlen. Die Psychologie kann das Phänomen erklären.

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Anhänger der Marktwirtschaft beschwören häufig die Vernunft des Homo Oekonomicus: Menschen seien angeblich zweckrationale Wesen, die auf Basis der verfügbaren Information die rational beste Wahl ("rational choice") treffen. Allerdings: Das Problem des Klimawandels zeigt, dass ganz offensichtlich das Gegenteil stimmt. Viele Menschen nehmen (frei) verfügbare Informationen (über den Klimawandel) nicht wahr. Oder sie weigern sich, die ganz offensichtlichen Schlüsse daraus zu ziehen.

Information Avoidance: Der Ostrich-Effekt

Warum das so ist, mit dieser Frage durchkämmten die Wirtschaftspsychologen Russell Golman, David Hagmann und George Loewenstein die verfügbare Literatur, um dem Phänomen der "Information Avoidance" auf den Grund zu gehen. Für Unternehmen, die am Markt bestehen wollen, ist das eine durchaus wichtige Sache: Es gibt gar nicht so wenige Manager, die ihre Investitionen in dem Moment ignorieren, in dem das angelegte Geld Schiffbruch erleidet. Die Forschung spricht vom "Ostric-Effekt", zu deutsch die "Vogel-Strauss-Taktik", also kurz: Wenns brennt, stecken viele am liebsten den Kopf in den Sand.

Golman und seine Co-Autoren zählen Studien auf, die zeigen: Viele Manager großer Investmentfonds rufen Informationen über die Kurse ihrer Anlagen dann besonders häufig ab, wenn das Geschäft brummt, manchmal sogar mehrfach an einem Wochenende, auch wenn es dann aufgrund geschlossener Börsen gar keine Bewegungen gibt. Die Forscher vergleichen das Verhalten mit dem von Kindern, die ihr Sparschwein schütteln und entzückt dem Klang der klappernden Münzen lauschen. Umgekehrt: Wenn es schlecht lief, dann wollten manche Manager davon am liebsten gar nichts mehr wissen. Wichtige Informationen riefen sie dann oft mehrere Tage lang nicht ab.

Ein Reporter steht in kniehohem Wasser und spricht in ein Mikrofon. Eine Person mit Kamera filmt ihn. 6 min
Medien berichten zu selten lösungsorientiert über die Klimakrise, beklagt Medienpsychologin Maren Urner. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | dpa

Informationsvermeidung: Es gibt gute Gründe, nicht alles wissen zu wollen

Menschen, so Golman, Hagmann und Loewenstein, haben vielfältige Gründe, Informationen zu ignorieren oder sie sogar aktiv abzuwehren. Mitunter kann das sehr nachvollziehbar sein. Wer etwa unheilbar krank ist, will vielleicht gar nicht alle Details über sein bevorstehendes Schicksal erfahren, weil das nur mehr Angst erzeugt. Manche betrogenen Menschen ziehen es vor, den Seitensprung des Partners zu ignorieren, was eine Beziehung manchmal retten kann. Weitere Gründe für Informationsverweigerung: Vermeidung von Enttäuschung und Reue, Erhalt von Optimismus, Erhalt der eigenen Motivation aber auch Schutz von Grundüberzeugungen und getroffenen Entscheidungen sowie der Versuch, Verantwortung abzuwehren.

Für andere Menschen kann die Informationsverweigerung richtig gefährlich werden. Dann etwa, wenn Menschen mit einer sexuell übertragbaren Krankheit wie HIV sich weigern, das eigene Testergebnis abzuholen. Bei einem Experiment, bei dem Teilnehmer Testergebnisse auf sexuell übertragbare Herpesviren bekommen konnten, waren 16 Prozent der Befragten sogar bereit, Geld dafür zu bezahlen, das Ergebnis nicht zu erhalten.

Gegenläufige Fakten führen zu Polarisierung: Menschen bewerten ihre Überzeugungen höher

Menschen wollen sich und das eigene Selbstbild schützen. Das gilt auch für Überzeugungen in Bezug auf politische Themen wie Todesstrafe oder Klimawandel. Für einen Versuch rekrutierten Forscher Teilnehmer, die entweder Befürworter oder Gegner der Todesstrafe waren. Ihnen wurden zufällig verteilt Studienergebnisse vorgelegt, die entweder den abschreckenden Effekt der Strafe belegten oder umgekehrt negative Effekte für die Gesellschaft nachwiesen. Die Teilnehmenden sollten dann die Qualität der Studien und ihr Design beurteilen. Dabei zeigte sich: Widersprachen die Ergebnisse der eigenen Einstellung, wurden die Studien abgewertet.

Mitunter gab es sogar Bumerang-Effekte: Konfrontiert mit Fakten, die in eine gegenteilige Richtung zeigten, erinnerten sich die Probanden an die Argumente, die für die eigene Überzeugung standen und die ursprüngliche Einstellung verfestigte sich. Die direkte Konfrontation mit gegenläufigen Fakten führte also nicht zu einer Änderung der Einstellung, sondern nur zu einer stärkeren Polarisierung.

Wer vom Klimawandel überzeugt ist, sieht die Zukunft lieber düster

Ähnliche Effekte zeigte eine Studie mit Leugnern des Klimawandels und Menschen, die überzeugt sind, dass der menschliche Ausstoß von Gasen wie CO2 zur Erwärmung der Atmosphäre führt. Beide Gruppen erhielten zunächst eine Schätzung, wie stark die durchschnittlichen Temperaturen bis 2100 ansteigen werden. Dann wurden ihnen Artikel vorgelegt. Entweder wurde darin eine Besserung der Situation beschrieben (etwa einen Rückgang der Emissionen oder geringere Temperaturanstiege). Oder die Texte zeichneten ein noch düsteres Bild der Lage. Nun sollten beide Gruppen einschätzen, wie stark sich die Temperaturprognose verändern könnte.

Die Gruppe "menschengemachter Klimawandel" hob bei schlechten Nachrichten die Schätzung der zu erwartenden Temperaturen wesentlich stärker an, als sie sie bei guten Nachrichten absenkte. Golman und Kollegen notieren erstaunt, dass die eigenen Überzeugungen für die Probanden wichtiger waren, als eine positive Perspektive auf die Zukunft zu gewinnen. Die Gruppe der Klimawandelleugner war hingegen nicht bereit, bei Hinweisen auf negative Entwicklungen eine höhere Temperaturschätzung abzugeben.

Und wer jetzt glaubt, dass diese Strategien vor allem Menschen mit geringem IQ betreffen, täuscht sich: Laut Studien verwenden intelligente Menschen ihre größere kognitive Leistung vor allem dafür, kreativer zu rechtfertigen, was sie glauben wollen.

Scham weist auf tödliche Gefahren hin – Fehler zuzugeben ist schwierig

Menschen bauen ihre Identität auf ihren Überzeugungen und ihren Entscheidungen auf, sie stellen damit ihren Wert gegenüber anderen Menschen dar. Einen Fehler einzuräumen, einmal getroffene Annahmen fallen zu lassen und vielleicht zuzugeben, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben, ist in den allermeisten Fällen mit Scham verbunden.

Scham wiederum ist die Angst davor, von der sozialen Bezugsgruppe ausgeschlossen zu werden. Als Menschen sind wir auf andere Menschen für unser Überleben angewiesen. Der Ausschluss aus unserer Bezugsgruppe ist so ziemlich das Schlimmste, was uns passieren kann. Folglich gehört Fehler zuzugeben zu den emotional größten Herausforderungen des Lebens.

Plausible Deniability: Was man lieber nicht weiß

Unter anderem deswegen wollen Entscheider manchmal mitunter nicht so genau wissen, welche Folgen ihre Entscheidungen eigentlich haben. Das illustriert eine Spielart des sogenannten Diktator-Experiments. Dabei stehen Teilnehmende vor der Wahl zwischen zwei Optionen: Eine Option hat Vorteile für den Teilnehmer, aber möglicherweise Nachteile für die Gesellschaft. Nun bekommen die Probanden die Möglichkeit, zu erfahren, was die bessere Option für die Gesellschaft ist.

Ergebnis: Ein großer Teil derjenigen, die für die egoistische Option votiert haben, zieht es vor, über die Folgen für die Gesellschaft in Unkenntnis zu bleiben. So wird es leichter, eine "plausible deniability" zu erhalten: "Davon habe ich nichts gewusst".

Widde widde wie sie mir gefällt

Golmann, Hagmann und Loewenstein zeigen mit ihrer Studie vor allem, dass Informationen kein reines Mittel zum Zweck sind, auf deren Basis Menschen Entscheidungen mit höherem Nutzen treffen können. Sondern die Informationen stellen für sich selbst genommen einen Nutzen dar: Sie bestätigen die eigene Identität oder sie stellen sie infrage.

Was bedeutet das für den Klimawandel? Darauf, dass die Spaltung überwunden werden kann, wenn die Fakten einer Seite recht geben, sollte man besser nicht hoffen. Denn dann drohen reflexartige Schuldzuweisungen, die lediglich zu neuer Scham und neuen Ausschlüssen führen. Es wird den Willen zur Versöhnung und zum Verzeihen brauchen, zur Anerkennung des Werts als Mensch, bevor Menschen bereit sind, unangenehme Informationen wahrzunehmen.

Links/Studien

  • Russell Golman, David Hagmann und George Loewenstein (2017): Information Avoidance, Journal of Economic Literature

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 23. August 2024 | 21:25 Uhr

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