Valentinstag Die Suche nach der großen Liebe: "Wir sollten alle mehr riskieren!"
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14. Februar 2022, 12:26 Uhr
Johanna Degen ist Sozialpsychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Europa-Universität Flensburg. Dort forscht sie unter anderem zum Thema Online-Datingverhalten. Bei ihren Studierenden hat sie dadurch schon einen Spitznamen: Dr. Tinder. Welche Erkenntnisse gibt es aus wissenschaftlicher Sicht in der Frage, wie wir online versuchen, Sex oder Beziehungen zu finden – und welche Tipps und Tricks für die Praxis lassen sich daraus ableiten?
Frau Degen, was genau interessiert Sie wissenschaftlich am Online-Dating?
Johanna Degen: Uns interessieren Annäherungspraxen, wie sich Beziehungen und Sexualität vor dem Hintergrund der Online-Dating-Logik verändern, etwa auch gesellschaftliche Dynamiken. Denn diese Option verändert auch diejenigen, die gar nicht online daten, also das Thema geht nicht nur Online-Dater etwas an. Deshalb würde ich sagen: Uns interessieren generelle Annäherungspraxen und Beziehungskonstellationen im Aushandlungsprozess zwischen dem Digitalen und Analogen. Dafür analysieren wir Bilder, machen Beobachtungsstudien, Gruppendiskussionen, viele Interviews, Tinder-Biografieerhebung, wir haben sogenannte Screen Observations gemacht und Tinder-Tagebücher führen lassen.
Was sind die Unterschiede zwischen Dating in der "echten" Welt und Online-Dating – und wo gibt es Parallelen?
Degen: Es gibt so eine Dämonisierung von Online-Dating. Darum geht es aber gar nicht mehr, denn die Prinzipien, wie wir den anderen sehen, haben sich schon längst in die Gesellschaft eingeschrieben. Wir haben sozusagen einen Katalog von Entertainment und Vorteilen und daran wird dann gemessen. Das ist eine ganz spezifische Art, Beziehungen zu verstehen. Da wird dann geguckt: Was bringt mir der andere? Und da ist eben Online-Dating ein spezifischer Ort, wo auch so über den anderen nachgedacht wird: Wer ist gut genug? Wie und woran bemesse ich das? Ich höre oft auch von Journalistinnen und Journalisten die Frage: Wie sind sie denn nun, diese Online-Dater? Dann sage ich: Diese Unterscheidung ergibt keinen Sinn, weil wir einfach einen Dating-Modus haben. Und der wird dann eben analog initiiert oder digital.
Sie haben eingangs davon gesprochen, wie Online-Dating gesellschaftliche Dynamiken verändert. Haben Sie ein Beispiel?
Degen: Es wird zum Beispiel immer normaler, dass man parallel datet. Früher war das ein Ausschlusskriterium: Jemand, der im Club mit allen geflirtet hat, hat sich diskreditiert. Heute ist es sozusagen das Grundprinzip, parallel zu fahren – und das wird zugleich von allen beklagt. Es ist nicht bewiesen, aber ich glaube, das kommt eben mit dem Digitalen und schwappt von dort über.
Sie sagen, dass viele diese Parallelität beklagen. Was lässt sich daraus folgern?
Degen: Man kann sich ruhig digital kennenlernen! Aber man muss sich nicht allen Prinzipien des Online-Datings unterwerfen. Es gibt ein paar Vorkehrungen, die auf jeden Fall messbar zu erfolgreicheren Dates – im Sinne der Zufriedenheit – führen. Man kann sich zum Beispiel auf einen Kontakt konzentrieren, statt mit elf Personen gleichzeitig Kontakt zu haben. Das wird als extrem stressig empfunden und auch als erniedrigend, das könnte man also aufbrechen. Und dann könnte man das Ganze verlangsamen: Sich nicht sofort treffen. Beim Online-Dating gilt oft so eine Regel der Verfügbarkeit: Wer nicht sofort antwortet, der ist dann schon raus. Und wenn man sich nicht schon am übernächsten Tag trifft, dann ist da wohl kein Interesse. Zufriedene Online-Dater machen eben genau das anders: Sie bauen Hürden ein, sagen zum Beispiel: Wir treffen uns in zwei Wochen, vielleicht in einer anderen Stadt. Dann hat man so eine Spannungskurve, der Einsatz ist höher. Damit reinszenieren wir Spannung. Was nämlich auch immer beklagt wird, ist ein Spannungsverlust beim Online-Dating: Alle sind gleich, jedes Date ist öde, es gibt keinen Einsatz mehr, man trifft sich beim Joggen oder im Baumarkt. Und dann erlebt man eben auch nix.
Sie sprechen eine gewisse Gleichförmigkeit beim Online-Dating an. Wenn man sich auf solchen Portalen bewegt und die verschiedenen Profile betrachtet, drängt sich schnell der Eindruck auf, immer das Gleiche zu sehen: Mann mit Surfbrett oder Hund, Frau hüpft vor Sonnenuntergang in die Luft. Deckt sich dieser Eindruck eines "More of the same" mit Ihren Forschungsergebnissen?
Degen: Ja, das ist extrem so. Bei unseren seriellen Bildanalysen hat uns überrascht, dass es nur sieben Darstellungstypen gibt, geschlechtsübergreifend. Wir dachten vorher: Okay, wir gucken uns 800 Profilbilder an und sehen eine Fülle an Einzigartigkeit – aber da waren wir vielleicht ein bisschen naiv. Es gibt Selfies, Reisebilder, Bilder mit Requisite – zum Beispiel das Surfbrett als Klassiker, der Beachvolleyball, der Hund. Und in diese Kategorien passen erstaunlicherweise alle Bilder hinein. Wir haben das über mehrere Jahre hinweg beobachtet und festgestellt, dass sich die Bilder sogar immer ähnlicher werden. Deshalb ist meine Prognose, ein bisschen überspitzt formuliert, dass es bald nur noch Selfies und Reisebilder geben wird: Mann oder Frau mit lockerer Kleidung, mit dem Fahrrad in Amsterdam, in den Bergen oder am Hafen einer südländischen Stadt. Es gibt immer weniger, dafür immer gleiche Motive.
Wie erklären Sie sich diese Angleichung?
Degen: Naja, die Personen nehmen sich ja nicht vor: Ich mache jetzt mal ein ganz standardisiertes Bild, das nichts über mich aussagt. Sondern das hat mit habituellen Sehgewohnheiten zu tun. Der Gedanke beim Profilbild ist: Das sieht gut aus, damit werde ich Erfolg haben. Und Erfolg heißt beides, einerseits eine hohe Match-Quote, weil das einfach einen Belohnungseffekt hat und es nicht schön ist, beim Online-Dating Ablehnung zu erfahren oder im Vergleich zu anderen schlechter dazustehen. Nicht-erfolgreiches Tindern macht keinen Spaß. Und der andere Faktor ist eben, dass man Dates hat und die Motive passen, also dass man entweder Intimität erlebt oder Sex hat oder eine Partnerschaft findet. Genau diese zwei Achsen spielen beim "Erfolg" eine Rolle. Deshalb wählt man ein Bild, mit dem man glaubt, gut anzukommen.
Findet sich diese Anpassung an habituelle Sehgewohnheiten auch in den Profiltexten wieder?
Degen: Wir haben viele Text-Analysen gemacht. Da stand immer in verschiedenen Formen: Ich mag Sonne, Wein und Meer. Als ich das dann 600-mal oder so gelesen hatte, habe ich gedacht: Okay, krass, das ist ja echt wirklich gar keine Aussage! Und dann auch noch in dieser ständigen Wiederholung. Ich glaube, man macht das, weil man sich nicht riskieren möchte, wenn man da jetzt wirklich etwas von sich preisgibt – und Online-Dating ist sowieso schon ein Prozess, der verletzend wirkt. Das schildern alle: Ghosting ist verletzend, wenige Matches zu haben ist verletzend, Matches zu haben, die unkommentiert aufgelöst werden, ist verletzend, Dates funktionieren oft nicht. Und wenn man dann noch etwas Persönliches schreibt, dann hat man bei dieser Ablehnung mehr riskiert. Mit der "sichereren" Version riskiert man nur, sich zu fragen: Ja, hallo, wer mag denn bitte keine Sonne, Wein und Meer?
Also wäre es risikoreicher, aber auch lohnenswerter, beim Online-Dating mehr auf Authentizität und Individualität zu setzen?
Degen: Ich würde sagen: Ja, wenn Sie es aushalten. Man könnte ja mal Experimente machen und andere Logiken ausprobieren. Eben das, wovon ich schon gesprochen habe: langsam Spannungskurven aufbauen, sich riskieren. Hand aufs Herz: Das verändert was! Wenn man sich riskiert, ist die Belohnung auch größer, wenn es klappt. Ich hoffe immer so ein bisschen, dass vielleicht über solche Interviews, wenn man mehr Leute erreicht, dass sich dann mehr Menschen trauen, sich zu riskieren, etwas von sich preiszugeben und alle zusammen so am Ende viel mehr Spaß haben. Aushalten, dass man vielleicht ein paar weniger Matches hat, wenn man reinschreibt: Ich arbeite jeden Abend, lese nur Bücher und gucke nie Fernsehen – in der Hoffnung, jemanden zu finden, der vielleicht auch abends immer arbeitet und nie fernsehen möchte. Dann findet man qualitativ bessere Matches: Indem man riskiert, weniger Matches zu haben und auch mal echte, personenbezogene Ablehnung zu erfahren. Ich glaube, das hätte mehr Potenzial!
Jetzt haben wir viel darüber gesprochen, wie man beim Online-Dating möglichst viel richtig macht. Haben Sie in Ihrer Forschung auch No-Gos gefunden, etwa bei der Profil-Gestaltung?
Degen: Es gibt sozusagen eine Evolution der Profile: Man fängt intuitiv an und verändert nach und nach die Art, sich darzustellen. Es gibt sozusagen ein kollektives Nudging: manche Sachen werden belohnt und andere bestraft. Wir sehen, welche Darstellungen zurückgehen. Die scheinen zumindest kollektiv nicht zu funktionieren. Im heterosexuellen Setting sagen Frauen etwa, dass sie es wirklich nicht mögen, wenn Männer plakativ Statussymbole zeigen, also teure Uhren, teuren Schmuck oder ihr Auto. Und Männer im heterosexuellen Setting begrüßen es nicht, wenn Frauen viel Haut zeigen. Da herrschen starke Gender-Stereotype: Frauen unterstellen den Männern, Player zu sein oder verzweifelt auf der Suche nach einer Frau, die mit ihnen ein Kind kriegt, und den Frauen wird unterstellt, dass sie umtriebig sind, tausend Dates und schlimmstenfalls auch noch mit allen geschlafen haben. Deswegen ist es so, dass Männer es nicht gut bewerten, wenn sich Frauen sehr freizügig zeigen. Zumindest nicht, wenn es um was Längerfristiges geht. Es ist hart, das zu sehen. Ich dachte, wir wären da schon weit drüber hinweg. Ich würde außerdem davon abraten, einen Profiltext zu erstellen, der das Gegenüber so ein bisschen angreift, also so etwas wie: 'Raucher, Katzenliebhaber und Menschen, die jeden Abend Gitarre spielen, brauchen sich gar nicht erst zu melden, das hasse ich alles!' Sowas wird als aggressiv und negativ wahrgenommen.
Macht es einen Unterschied, welche App oder welches Portal ich nutze? Es gibt ja solche Zuschreibungen wie "Tinder ist ein Bums-Schuppen" oder "Bumble ist nur was für Feministinnen und Feministen", weil in dieser App die Frau den ersten Schritt machen muss.
Degen: Tinder ist keine App nur für Sex, das stimmt einfach nicht. Das ist völlig vielschichtig und auf solchen Apps sind Menschen aus allen Milieus unterwegs. Es gibt aber natürlich Unterschiede in den Apps, das zeigen Architektur-Analysen. Bumble ist, sagen wir mal, voll feministischer Theorie – so wird es zumindest gehandelt, darüber kann man aber streiten. Was wir aber sehen ist, dass diese emanzipierten Prinzipien umgangen werden: Da soll die Frau zuerst schreiben, die Frau wählt aus. Aber das führt einfach dazu, dass die Frau bloß ein Smiley schickt und dann doch wieder der Mann als erster "richtig" anschreibt. Wir sehen außerdem, dass Frauen, die dann zum Beispiel sehr proaktiv anschreiben und vielleicht schon sehr viel preisgeben, damit weniger Erfolg haben. Ganz so einfach ist es dann eben doch nicht, so eine Logik zu unterwandern.
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