Neue Schädlinge Appetit auf Akten: Papierfischchen fühlen sich in Deutschland pudelwohl
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16. November 2024, 17:04 Uhr
Bei Motten ist die Sachlage klar: Das wichtigste Hab und Gut – also Kleidung und Lebensmittelvorräte – in Sicherheit bringen. Seit einiger Zeit machen sich aber in unseren Gefilden neue gefräßige Tiere breit, die die meisten wohl mit Silberfischchen verwechseln dürften: Papierfischchen. Wer sein Bücherregal liebt, sollte wachsam bleiben. Museen, Archive und wissenschaftliche Sammlungen sowieso.
Jedes Metier hat seinen Papst – und so ist Stephan Biebl nun eben Papierfischchenpapst. Das ist zumindest der Beiname, den man ihm mittlerweile gibt, was daran liegt, dass er sich vor ein paar Jahren auf die Krabbler spezialisiert hat. Und als Papierfischchenpapst fährt Biebl durch die Republik. Gerade spricht er auf einer Schädlingsbekämpfungsmesse in Frankfurt über sein Fachgebiet, ansonsten versucht er aber vor allem Museen und Archiven die Sorgenfalten zu nehmen, wenn die neuerlichen Krabbeltierchen erstmal aufgetaucht sind. Bis zu anderthalb Zentimeter sind sie groß, die spindelförmigen Sechsfüßer mit ihren im Verhältnis zum Körper äußerst langen Antennen an Kopf und Hinterleib. Durch die unterscheiden sie sich schon mal von den altbekannten Silberfischchen – der Rest der Erscheinung bleibt, im biologischen Sinne, weitestgehend in der Familie.
Papierfischchen sind keine Silberfischchen – und das sieht man auch so halbwegs
"Das Besondere ist, dass die Papierfischchen sich mehr im wohnlichen Bereich, also bei über zwanzig Grad und bei normalen Luftfeuchten wohlfühlen", erklärt Stephan Biebl. Und das ist schon der entscheidende Unterschied: Während die weitestgehend nützlichen Silberfischchen als Indikator für zu große Nässe gesehen werden können, die sie zur Fortpflanzung benötigen, fühlt sich das Papierfischchen auch bei Trockenheit wohl. Nur zu kalt sollte es halt nicht sein.
Und dann ist da eben noch der namensgebende Appetit: auf Papier eben. Oder genauer gesagt, auf die dort enthaltenen Kohlenhydrate. Dem Papierfischchen ist es dabei natürlich vollkommen egal, ob es sich um einen Apfelschnitz vom Vorabend oder die Urkunde aus dem Kegelklub handelt. "Die Schäden sind bislang dokumentiert an Papier, aber auch an Textilien, an Leinen gab es schon Schäden."
Papierfischchen: Mehr Befall, noch keine großen Schäden
Der Befall nimmt zu, sagt Stephan Biebl, der eigentlich Holzschutzingenieur ist. Genaue Zahlen hat er nicht vorliegen, aber dass das Thema an Fahrt aufnimmt, weiß er aus seinem Netzwerk und dem Austausch mit anderen Schädlingsbekämpferinnen und -bekämpfern. Immerhin gibt es bisher wohl keine größeren Schäden an historischem Archivgut. Nur, woher kommen die Tiere auf einmal? Und wieso hatte Gutenberg noch kein Problem mit ihnen? "Man kann sich natürlich super vorstellen, dass man im Moment durch die Globalisierung, durch den weltweiten Handel, durch Paketdienste oder die Post auch die Papierfischchen mit dem Papier von Haus zu Haus verschickt." Und das hat den Millionen Jahre alten Tieren zum Sprung nach Europa verholfen.
Wo ist denn nur die Heimat der Papierfischchen?
Wo sie aber ursprünglich herkommen, ist nicht ganz klar. Stephan Biebl schickt seine Papierfischchenfunde deshalb nach Berlin, zu Bill Landsberger, der sich als Ökologe und Insektenkundler an den Staatlichen Museen um die Vorsorge von Schädlingsbefall kümmert. Und Proben aus aller Welt genetisch unter die Lupe nimmt: "Anhand der Unterschiede lassen sich dann Stammbäume entwerfen, die uns zeigen können, welche Proben eben näher oder welche weiter voneinander entfernten Populationen angehören."
Landsbergers Hoffnung ist nicht nur, damit die Heimat der Papierfischchen zu finden, sondern auch Abhilfe: "Denn dann hätten wir die Möglichkeit dort nach natürlichen Gegenspielern zu suchen." Immerhin, eine heiße Spur gibt es bereits: Beschrieben wurde erstmals ein Fund im Jahr 1905 aus Südafrika. Gut möglich, dass dort die Heimat der Tiere ist. Genau sagen könne man es aber noch nicht, so Landsberger, trotz zahlreicher Proben. Die kommen aber besonders aus Deutschland und den europäischen Nachbarn. Was fehlt, sind Funde aus Übersee wie Nord- und Südamerika, Asien und Australien.
Papierfischchen: Vorsorge ist schwierig
Auch wenn sich die möglichen Schäden im Haushalt überschaubar gestalten, sind die kleinen Krabbler eine potenzielle Gefährdung für Archive und Museen, in denen wichtige zeitgeschichtliche Dokumente lagern. Wenn ein Verdacht auftritt, sollte man von der Chemiekeule absehen und lieber zu mechanischen Fallen wie Klebstreifen greifen, rät Stephan Biebl. Und eben am besten mit einem Sachverständigen wie ihm sprechen. Prävention hingegen ist schwer. Stephan Biebl spricht hier von Trojanischen Pferden. "Kopierpapier, Handwaschpapier könnten mit Papierfisch infiziert sein. Das heißt, ich müsste eigentlich jedes Paket vor dem Haus ausleeren."
Und jede Bestellung aus dem Internet. Noch dazu mit dem Wissen, dass man die kleinen Eier wahrscheinlich sowieso übersehen würde. Hundertprozentigen Erfolg gegen den Globalisierungsgewinner Papiertierchen verspricht zurzeit eben nur eine Maßnahme: die Digitalisierung.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 16. November 2024 | 00:00 Uhr
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