Künstliche Intelligenz KI-Pionier Richard Socher: "KI kann Medizin und Naturwissenschaften revolutionieren"
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06. Mai 2024, 18:11 Uhr
Die Heilung von Krebs, Durchbruch in der Gen-Technologie, neue Materialien und Werkstoffe, eine Revolution im Steuersystem, neue Wirtschaftsmodelle, die auf Wunsch zwischen sozialer Gleichheit und größtmöglicher Marktfreiheit skaliert werden könnten und eine völlig neu gedachte Bildung: Der aus Dresden stammende KI-Pionier Richard Socher skizziert bei einem Vortrag an der TU Dresden, wie universal Künstliche Intelligenz in Zukunft unser Leben beeinflussen kann.
Inhalt des Artikels:
- Hoffnung, dass KI die Menschheit voranbringt
- Nicht nur Wissen, auch Kontrolle über Prozesse
- Werden Radiologen überflüssig?
- Mit KI Heilung programmieren
- Bessere Therapie von Blutarmut durch KI wahrscheinlich
- Neue Materialien und Werkstoffe
- KI für Wirtschaftsmodelle und Steuerpolitik
- Hintergrund: Evolution der Künstlichen Intelligenz
- Warum ist die Sprachverarbeitung so relevant?
- Socher erforscht künstliche neuronale Netze
Wer einer Ahnung bekommen wollte, was Künstliche Intelligenz für die Zukunft bedeutet, wie viele Aspekte sie hat und wie weit sie in die Bereiche des Lebens hineinzureichen vermag, der konnte es sich am Montagabend auf einem Sitz des Schönfeldhörsaals der TU Dresden gemütlich machen und warten, bis das große Kino begann. Der renommierte KI-Forscher und Unternehmer Richard Socher kehrte in seine Heimat zurück und brachte dabei nicht Hollywood, aber ein riesiges Stück Silicon-Valley und Zukunftsvision mit.
Hoffnung, dass KI die Menschheit voranbringt
Zusammengefasst: KI ist viel, viel mehr als ChatGPT und Bildgenerierung. KI kann die Medizin revolutionieren, überhaupt die gesamten Naturwissenschaften. KI wird auch den Wirtschaftswissenschaften etwa zu sagen haben, vielleicht kann sie neue ökonomische Ordnungen erschaffen, zumindest aber die Modelle zur Besteuerung revolutionieren. KI wird die Bildung verändern und viele neue Antworten auf viele Fragen finden. "Meine Hoffnung ist, dass die KI uns als Menschheit voranbringt", erklärte KI-Experte Richard Socher MDR WISSEN.
Nicht nur Wissen, auch Kontrolle über Prozesse
"KI kann die Naturwissenschaften und die Forschung darin automatisieren und damit revolutionieren. So ist es möglich, nicht nur die Zusammenhänge in der Biologie, der Chemie und der Physik zu verstehen, sondern auch Kontrolle über deren Prozesse wie zum Beispiel über subatomare Teile und Moleküle zu erlangen", meint Socher. Das sei momentan nur in Science-Fiction Büchern möglich. Diese Veränderungen erfolgten jedoch nicht abrupt über Nacht, sondern seien eine Entwicklung über verschiedene Zeitdekaden.
Werden Radiologen überflüssig?
Wie viel Künstliche Intelligenz leisten kann, ist laut Socher schon jetzt ansatzweise in der Medizin nachvollziehbar. "KI wird in den nächsten zehn bis 20 Jahren die Medizin revolutionieren", prognostiziert der Experte. Beispielsweise sei es denkbar, vorausgesetzt, es gebe genug Trainingsdaten, Röntgenbilder von KI auswerten zu lassen. "Die Radiologie könnte man wahrscheinlich zu 80 Prozent automatisieren", erklärte Socher. Allerdings habe bislang "keine Organisation in der Welt genügend Trainingsdaten, um das wirklich zu machen."
"Wenn wir also die besten Radiologen-Kenntnisse auch in einem kleinen Dorf-Krankenhaus in Afrika haben wollen, müssen wir zusammenfinden und die Daten anonymisiert sammeln – die verschiedenen Länder mit ihren Organisationen, Krankenhäusern und Krankenversicherungen", erklärte Socher. Nur so gelänge es, einen guten KI-Radiologen zu trainieren. "Aber das wird noch Jahre dauern".
Mit KI Heilung programmieren
Gleichzeitig sieht der KI-Pionier ein großes Potenzial, die Aminosäure-Ketten der DNA-Sequenzen fortzuschreiben, ähnlich wie bei den KI-Sprachmodellen. "Die Idee ist, Sprachmodelle auf Proteine anzuwenden", erklärt Socher. "Statt eine Antwort in Englisch oder Deutsch zu bekommen, erhalten Sie eine Sequenz von Aminosäuren, also Proteinen." So könne man die KI bitten, ein Protein zu finden, das sich an diese Krebszelle binden und sie somit zerstören könnte. "Wenn wir die Sprache der Proteine verstehen, verstehen wir Krankheiten und Gesundheit um einiges besser."
Wenn wir die Sprache der Proteine verstehen, verstehen wir Krankheiten und Gesundheit um einiges besser.
Riesiges Potenzial bei Gentherapie
Riesiges Potenzial sieht KI-Pionier Socher bei der Therapie und Heilung von Krankheiten durch die Crispr-Genschere und die Anwendung von Künstlicher Intelligenz. Mit der Genscheren-Therapie Crispr/Cas ist in den USA bereits jetzt ein gezielter Eingriff ins Erbgut möglich. Dabei werden fehlerhafte Erbinformationen aus dem DNA-Strang herausgeschnitten und durch neue, nicht fehlerhafte DNA ersetzt. KI könne hier die dafür wichtigen Proteine "programmieren".
Bessere Therapie von Blutarmut durch KI wahrscheinlich
"Crispr ist momentan noch unglaublich kompliziert", erklärt Socher. Bei der Sichelzellenanämie (eine Form der Blutarmut, bei der der Sauerstofftransporter Hämoglobin fehlt) sei noch immer eine sehr teure und schwere Operation nötig, um die Stammzellen tief aus dem Knochenmark zu entnehmen. "Crispr/Cas9 kann auch nur bestimmte Sequenzen verändern und ist dabei auch nicht immer sehr genau. Hier kann KI helfen, Proteine zu generieren, die ähnlich wie Crispr/Cas9, aber spezifischer sind und auf verschiedene DNA-Sequenzen angewendet werden können", erklärte Socher. Dieses könne dann mit dem KI-Bauplan tatsächlich im Labor nachgebaut werden. Erst kürzlich sei dies gelungen und in einer Forschungsarbeit veröffentlicht worden.
Neue Materialien und Werkstoffe
Der KI-Experte kann sich KI auch bei der Entwicklung von neuen Materialien und Werkstoffen sehr gut vorstellen. "Es gibt jetzt einige coole Resultate zum Beispiel bei kristallinen Strukturen. Hier hat man verschiedene neue kristalline Strukturen generiert und per Simulation getestet, ob sie funktionieren und stabil sind", erläuterte Socher. "Nach vielen Versuchen versteht die KI irgendwann: Wenn ich das eine mit dem anderen Molekül verknüpfe, ist es auf einmal stabil." Die KI entwickle - ähnlich wie ein Chemiker - Intuition. Allerdings, das sei der Unterschied, könne man mit einer KI-Simulation, "milliardenfach ausprobieren und milliardenfach schnell testen". So könne künstliche Intelligenz helfen, "ganz neue Batterien und Materialien zu entwickeln und auch beim Klima helfen".
KI für Wirtschaftsmodelle und Steuerpolitik
Socher sieht die Anwendung von KI auch in der Generierung von vielleicht völlig neuartigen Wirtschaftssystemen und Besteuerungsmodellen. "Künstliche Intelligenz kann die Steuerpolitik revolutionieren", erklärte der Forscher. Mit seinem Team hat er die eigene Wirtschaftssystem-KI "AI Economist" kreiert. An den Tangenten "Gleichheit" und "Produktivität" kann mittels Simulation ein eigenes präferiertes System zwischen sozialer Gerechtigkeit und Marktliberalismus gefunden werden.
Hintergrund: Evolution der Künstlichen Intelligenz
Künstliche Intellligenz wurde außerhalb der Fachwelt vor allem durch Erklär-KIs wie "ChatGPT" und "Gemini" populär. Sie basieren auf "großen Sprachmodellen" ("Large Language Models, LM). Der nächste große logische Evolutionsschritt für Künstliche Intelligenzen sind laut Wissenschaftsportal "Oiger" jetzt "große Wissenschaftsbasismodelle", welche die einzelnen Anwendungen zusammenführen.
Warum ist die Sprachverarbeitung so relevant?
Doch warum ist die Sprachverarbeitung für die Entwicklung von künstlicher Intelligenz so relevant? Was haben Sprachassistenten mit großen Wissenschaftsbasismodellen zu tun? "Sprache ist die interessanteste Manifestation der menschlichen Intelligenz und dementsprechend auch ein sehr wichtiger Baustein für die künstliche Intelligenz", erklärt Socher MDR WISSEN. "Mit Sprache erwerben, transportieren und generieren wir Wissen. Die KI muss Sprache verstehen, um unser Wissen aufzunehmen und mit uns zu kommunizieren."
Sprache ist die interessanteste Manifestation der menschlichen Intelligenz und dementsprechend auch ein sehr wichtiger Baustein für die künstliche Intelligenz.
Socher erforscht künstliche neuronale Netze
Socher hat Computerlinguistik in Leipzig (2006) und Saarbrücken (2008) studiert. An den US-Universitäten Princeton und Stanford forschte er als einer der ersten in damals äußerst innovativen Bereichen der künstlichen neuronalen Netze für die Sprachverarbeitung. Im Jahr 2020 gründete Socher ein Unternehmen zur Entwicklung der KI-basierten Suchmaschine You.com. Das Besondere: Die Suchmaschine gibt ganze Erklärtexte mit Quellenangaben und auch Bildern heraus - ähnlich wie Wikipedia. Wer möchte, kann sich auch Simulationen generieren oder kleine Computerprogramme schreiben lassen.
Das "German Wunderkind" aus dem kalifornischen Silicon Valley ist in Dresden-Friedrichstadt geboren und hat viele Jahre in der Nähe der TU Dresden gelebt. Die Fakultät Informatik würdigte ihn am vergangenen Freitag mit der Ehrendoktorwürde für seine Leistungen im "Deep Learning" und "Natural Langue Processing".
Links/Studien
- ProGen: Language Modeling for Protein Generation, Ali Madani, Bryan McCann, Nikhil Naik, Nitish Shirish Keskar, Namrata Anand, Raphael Reguchi, Po-Ssu Huang and Richard Socher.
- The AI Economist: Improving Equality and Productivity with AI-Driven Tax Policies, Stephan Zheng, Alexander Trott, Sunil Srinivasa, Nikhil Naik, Melvin Gruesbeck, David C. Parkes, Richard Socher.
[ short video]
- Deep Learning-enabled Breast Cancer Hormonal Receptor Status Determination from Base-level H&E Stains, Nikhil Naik, Ali Madani, Andre Esteva, Nitish Keskar, Michael Press, Dan Ruderman, David Agus, Richard Socher
- Dye-sensitized solar cells under ambient light powering machine learning: towards autonomous smart sensors for the internet of things, Hannes Michaels, Michael Rinderle, Richard Freitag, Lacopo Benesperi, Tomas Edvinsson, Richard Socher, Alessio Gagliardib and Marina Freitag Issue11
(tomi)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Sachsenspiegel | 29. April 2024 | 19:00 Uhr
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