Experiment Schwerelosigkeit
Bildrechte: ESA/ N. Melville

Experimente in Schwerelosigkeit Warum Forscher Staub in den Weltraum schießen

10. Dezember 2019, 11:45 Uhr

Experimente in der Schwerelosigkeit können beispielsweise klären, wie sich kosmischer Staub zu Planeten verdichtet hat. Man muss dafür nicht in den äußersten Weltraum reisen, ein Raketenflug über Schweden reicht aus.

Nordschweden im November 2019: Esrange, der einzige Weltraumstartplatz auf europäischen Boden, ist von Schnee bedeckt. Von hier aus werden Experimente in den suborbitalen Weltraum befördert. Auf 260 Kilometern Höhe sind die Versuche sechs Minuten lang der Schwerelosigkeit ausgesetzt, bevor sie an einem Fallschirm befestigt wieder zu Boden gleiten. TEXUS (Technologische Experimente unter Schwerelosigkeit) ist ein deutsches Forschungsprogramm und besteht bereits seit 1976. Anfang November flog TEXUS-56. An Bord waren drei Experimente. Inzwischen können die beteiligten Forscher eine erste Bilanz ziehen.

Zwei der Versuche wurden von der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA durchgeführt. Das ICAPS-Experiment untersucht die Entstehung der Planeten, ausgehend von einem Staubkorn. PREWAVES sucht nach der optimalen Mischung für einen umweltschonenden Treibstoff aus Metall in Pulverform. Der dritte Versuch wurde vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) durchgeführt. Das InSuitKis-Experiment soll helfen, die Einarbeitung von Schmutzpartikeln bei der Werkstoffschmelze besser zu verstehen.

So sieht es in Esrange aus:

Esrange in Nordschweden ist der einzige Starplatz für Weltraumflüge in Europa. Die von hier aus startenden Raketen erreichen allerdings nur den suborbitalen Raum und kehren rasch auf den Boden zurück.

Experiment Schwerelosigkeit
Abschussrampen für Forschungsraketen auf der nordschwedischen Raketenbasis Esrange. Bildrechte: DLR
Experiment Schwerelosigkeit
Abschussrampen für Forschungsraketen auf der nordschwedischen Raketenbasis Esrange. Bildrechte: DLR
Texus 53 wird zum Startturm transportiert.
Die Rakete von TEXUS 53 wird zum Startturm transportiert. Bildrechte: DLR
Experiment Schwerelosigkeit
Der Blick nach oben im Launch-Turm im nordschwedischen Esrange. Bildrechte: ESA/ N. Melville
Eine Rakete startet über einer schneebedeckten Winterlandschaft
Eine Rakete startet über einer schneebedeckten Winterlandschaft in Esrangen. Bildrechte: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR
Ein Mann gibt ein Autogramm
Hier signiert der Projektleiter Antonio Verga die Rakete. An Bord befindet sich das PREWAVES-Experiment. Bildrechte: Neil Melville - ESA
Tina Sorgenfrei (l.) und Nadine Pfändler vor der ESA-Texus 56 Rakete
Hier stehen die Projektleiterin Tina Sorgenfrei (l.) und ihre Kollegin Nadine Pfändler vor der ESA-Texus 56 Rakete. Bildrechte: Ingo Beinaar, Airbus D&S
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Experiment 1: Wie aus Metall der Treibstoff der Zukunft wird

Treibstoff aus Metall? Klingt vielleicht abwegig, hat aber viele Vorteile: Im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen verbrennt Metallpulver, ohne dass dabei Kohlenstoff frei wird. Um die perfekte Mischung aus Sauerstoff, Metallpulver und dessen Staubgrößen zu erhalten, forschen der ESA-Projektleiter Antonio Verga und sein Team am PREWAVES-Projekt.

Ähnlich wie Holz verbrennt auch Eisen diskret. Was das bedeutet, lässt sich bei einem Lagerfeuer beobachten: Ein Holzspalt fängt erst an zu brennen, wenn genügend Hitze vorhanden ist. Deshalb müssen zunächst Stroh, Äste oder kleine Holzstückchen entzündet werden.

Ein Mann gibt ein Autogramm
Der Projektleiter Antonio Verga signiert gerade die Forschungsrakete der Texus 56 Mission. Bildrechte: Neil Melville - ESA

Warum wollen die Forscher ein solches Verbrennen in der Schwerelosigkeit beobachten? Weil die Staubkörner dort frei schweben und nicht zu einem Fleck verklumpen. So werden viele Details der Reaktion sichtbar. Da sich die Metallpulverteilchen frei im Raum befinden, wird das Experiment auch nicht von der Innenwand des Behälters verunreinigt.

Vorteile bei der Verbrennung von Metallpulver: Die Energieausbeute ist vergleichbar mit der von Benzin, es wird aber kein Kohlenstoff freigesetzt. Es kann für Hochleistungsbatterien verwendet und als Kraftstoff oder alternative Energiequelle eingesetzt werden. Als einziges Abfallprodukt entsteht Rost, der in Metall umgewandelt werden kann. So wären saubere Kreisläufe möglich.

Experiment 2: Die Entstehung der Planeten

Woher kommen wir und wohin gehen wir? Dieser Grundfrage geht Jürgen Blum von der TU Braunschweig nach. Er leitet das ICAPS-Experiment der ESA und schaut auf die Anfänge des Sonnensystems. Denn die Entstehung von Planeten hat einst mit einem Haufen von Staub angefangen.

Im noch sehr jungen Sonnensystem gab es "eine ganze Reihe sehr kleiner Staubteilchen, die bei der Abkühlung einer Gaswolke entstanden sind", erklärt Blum. Die Moleküle und Atome dieser Staubteilchen sind in ständiger Bewegung. Dadurch stoßen sie aneinander und berühren Moleküle und Atome anderer Staubteilchen. Diese werden angestoßen und bleiben aneinander kleben.

Blum und sein Team glauben, "dass in diesen sanften Kollisionsprozessen die Teilchen aufgrund anziehender Oberflächenkräfte aneinander kleben blieben und somit zu größeren, stark verzweigten Agglomeraten anwuchsen." Unter Agglomeraten versteht man eine Anhäufung von vorher losen Teilchen, wie Staubkörner, die nun zu einem losen bis festen Klumpen angewachsen sind. Dieser Vorgang geschieht sehr langsam.

Rücktransport der Experimente nach dem Raketenflug

Nach dem Flug von Texus-56 wurde der Transportbehälter geborgen und zur Basis zurückgebracht.

Ein Helikopter hat den an einem Fallschirm auf den Boden zurückgekehrten Transportbehälter mit den Experimenten eingesammelt und fliegt ihn zurück zur Raketenbasis in Esrange.
Ein Helikopter hat den an einem Fallschirm auf den Boden zurückgekehrten Transportbehälter mit den Experimenten eingesammelt und fliegt ihn zurück zur Raketenbasis in Esrange. Bildrechte: Ingo von Borstel /TU Braunschweig
Ein Helikopter hat den an einem Fallschirm auf den Boden zurückgekehrten Transportbehälter mit den Experimenten eingesammelt und fliegt ihn zurück zur Raketenbasis in Esrange.
Ein Helikopter hat den an einem Fallschirm auf den Boden zurückgekehrten Transportbehälter mit den Experimenten eingesammelt und fliegt ihn zurück zur Raketenbasis in Esrange. Bildrechte: Ingo von Borstel /TU Braunschweig
Der Transportbehälter mit den Experimenten ist nach dem Raketenflug zurück in einer Halle in Esrange.
Der Transportbehälter mit den Experimenten ist nach dem Raketenflug zurück in einer Halle in Esrange. Bildrechte: Ingo von Borstel /TU Braunschweig
Der Transportbehälter mit den Experimenten ist nach dem Raketenflug zurück in einer Halle in Esrange.
Forscher packen das ICAPS Experiment aus dm Raketenbehälter aus. Bildrechte: Ingo von Borstel /TU Braunschweig
Die beteiligten Forscher am Flug von TEXUS-56: Ingo von Borstel (TU Braunschweig), Antonio Verga (ESA), Adrien T'Kint (Lambda-X), Ellen de Cock (QinetiQ), Daniayar Balapanov (Universite Libre de Bruxelles), Jeroen Petersen (QinetiQ), Rainer Schräpler (TU Braunschweig), Andrei Vedernikov (Universite Libre de Bruxelles)
Die beteiligten Forscher am Flug von TEXUS-56: Ingo von Borstel (TU Braunschweig), Antonio Verga (ESA), Adrien T'Kint (Lambda-X), Ellen de Cock (QinetiQ), Daniayar Balapanov (Universite Libre de Bruxelles), Jeroen Petersen (QinetiQ), Rainer Schräpler (TU Braunschweig), Andrei Vedernikov (Universite Libre de Bruxelles) Bildrechte: Ingo von Borstel /TU Braunschweig
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Sie können "zu jedem Zeitpunkt des Experiments messen, wie weit das Wachstums bereits vorangeschritten ist und welche Größenverteilung vorliegt", erklärt Blum. Dabei befindet sich eine Wolke aus Staubpartikeln in einer mit Gas gefüllten Vakuumröhre. In der Natur würde diese Wolke sich ausdehnen. Im Experiment wird sie künstlich zusammengehalten, damit man ihre Kollisionseigenschaften untersuchen kann. Je größer und poröser diese Teilchen werden, desto schwieriger wird die Beobachtung. Auf der Erde würden sie nicht zusammenhalten, in der Schwerelosigkeit schon.

Experiment 3: Bessere Kristallproduktion für bessere Solarzellen

Der Klimawandel bedroht die Menschheit. Photovoltaik ist eine Möglichkeit, klimaneutral Strom zu erzeugen. Doch Photovoltaikzellen könnten noch viel leistungsstärker sein. Das Problem sind Schmutzpartikel, die bei der Produktion zwangsläufig miteingebaut werden.

Ähnliches passiert bei der Kristallzüchtung, der sich die Wissenschaftlerin Tina Sorgenfrei widmet. Für das DLR arbeitet sie am InSituKris-Experiment, um bessere Kristalle günstiger zu züchten. Da Kristalle genau wie Siliziumblöcke aus der Schmelze heraus entstehen, kann das Experiment für die Industrie wertvoll sein.

Tina Sorgenfrei (l.) und Nadine Pfändler vor der ESA-Texus 56 Rakete
Projektleiterin Tina Sorgenfrei (l.) und ihre Kollegin Nadine Pfändler vor der ESA-Texus 56 Rakete. Bildrechte: Ingo Beinaar, Airbus D&S

Schmutzpartikel lassen sich auf der Erde nicht vermeiden. Einige von ihnen setzen sich am Boden von Flüssigkeiten ab. Die meisten schwirren jedoch in ihnen herum. "Bei der Herstellung der Siliziumblöcke wird die Schmelze im Tiegel kontrolliert von unten nach oben abgekühlt und das Material erstarrt", erläutert Sorgenfrei. Das Material wird dabei zunächst am Boden und später erst weiter oben hart. Die störenden Schmutzpartikel befinden sich nun überall im Material.

Um ihr Verhalten in Schmelzflüssigkeiten besser zu verstehen, wird das Experiment in die Schwerelosigkeit verlagert. Eine transparente Flüssigkeit – in diesem Fall Wasser – wird mit kugelartigen Partikeln unterschiedlicher Größe beschossen. Hierbei kann direkt beobachtet werden, wie die Partikel mit der Erstarrungsfront reagieren, um die spätere Kristallzüchtung zu optimieren und die Partikel zielgerichtet herauszuschneiden.

Auf der Erde würde das Experiment von vielen Störfaktoren wie der Gravitation, Schmelzbewegungen oder isometrischen Partikeln behindert. Die Schwerelosigkeit neutralisiert diese Faktoren. Im Gegensatz zu bisherigen Theorien, die laut Sorgenfrei nicht der Realität entsprechen, kann dieses Experiment neue Erkenntnisse über das Verhalten von Schmutzpartikeln liefern. Züchtungsprozesse würden dadurch effizienter und  kostengünstiger werden.

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